Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
3000 Mark Belohnung I

des gestohlnen Geldes einige tausend Mark Belohnung. Natürlich muß sich da
der erste vorläufig gedulden, obgleich die kleine Summe vielleicht für ihn mehr
bedeutet als die Hunderttausende für jenen, und obgleich er mindestens das
gleiche Recht auf energischen Schutz hat wie der andre. In dem allgemeinen
Interesse der Gesellschaft läge es sogar, daß sein Fall den Vorzug erhielte,
denn es liegt auf der Hand, daß der routinirte Einbrecher doch weit gemein¬
gefährlicher ist als der Defraudant. Statt dessen ist es aber heute beinahe
umgekehrt, und das doch zweifellos nur, weil auf der einen Seite bei ver¬
hältnismäßig leichter Mühe -- denn das Einfangen eines bekannten Defrau-
danten ist im Zeitalter der Photographie und des Telegraphen für die Polizei
ein Kinderspiel -- ein großes Trinkgeld winkt, während im andern Falle keine
besondre Belohnung in Aussicht steht.

Man sage etwa nicht, das sei denn doch zu schwarz gesehen; wenn es
auch an und für sich gewiß kein besonders erquickliches Schauspiel sei, daß sich
der Polizeibeamte für die einfache Pflichterfüllung eine Extrabelohnung von
Privatpersonen zahlen lasse, so würde er sich doch gewiß niemals so weit ver¬
gessen, daß er in der Hoffnung auf eine solche Prämie geradezu seine übrigen
Pflichten gröblich vernachlässigte. Es leuchtet doch wohl ohne weiteres ein,
daß niemand eine besondre Belohnung aussetzen würde, wenn er nicht die
wohlbegründete Hoffnung hegte, dadurch seiner Angelegenheit eine besondre
Bevorzugung zu sichern, und diese kann ihm natürlich immer nur auf Kosten
andrer Amtspflichten eingeräumt werden. Der Umstand, daß sich die Behörde
dabei niemals direkter Thatsünden, sondern immer nur leichter Unterlassungs-
sünden schuldig zu machen braucht, ist noch eine Versuchung mehr, sich über
irgend welche Skrupel hinwegzusetzen, denn einfache Unterlassungssünden sind
Dinge, mit denen das Gewissen aller Menschen bekanntlich sehr leicht fertig
wird, sobald der eigne Vorteil irgendwo in Frage kommt.

Dieses Aussetzen von Belohnungen würde also selbst dann noch eine schwere
Versuchung sein, wenn jedes Mitglied des in Frage kommenden Beamtenstandes
im übrigen auch das Urbild deutscher Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit wäre.
Die Erfahrungen der letzten Zeit haben aber leider genugsam bewiesen, daß
es auch hier nicht an Elementen fehlt, die gegen eine Entschädigung in mehr
oder weniger verblümter Form die Hand zu allerlei unsaubern Manipulationen
bieten. Ich sehe dabei noch ganz ab von den fragwürdigen Erscheinungen, wie
sie in den politischen Scnsationsprozessen der letzten Jahre an die Öffentlichkeit
getreten sind, aber solche Fälle, wie die famose Hummersuppengeschichte, wo sich
der betreffende Kriminnlkommisfar dem Nahrungsmittelfülscher gegenüber ganz
offenherzig anheischig machte, gegen eine Belohnung von 300 Mark die Denun¬
ziation zu beseitigen, geben doch gewiß zu denken, umso mehr, als sich auch
sonst in jüngster Zeit die Fälle bedenklich häufen, wo selbst hervorragende
Kriminalbeamte wegen begangner Pflichtwidrigkeiten entlassen werden müssen.
Daß diese Vorkommnisse aber nur die natürliche Folge der heute üblichen


3000 Mark Belohnung I

des gestohlnen Geldes einige tausend Mark Belohnung. Natürlich muß sich da
der erste vorläufig gedulden, obgleich die kleine Summe vielleicht für ihn mehr
bedeutet als die Hunderttausende für jenen, und obgleich er mindestens das
gleiche Recht auf energischen Schutz hat wie der andre. In dem allgemeinen
Interesse der Gesellschaft läge es sogar, daß sein Fall den Vorzug erhielte,
denn es liegt auf der Hand, daß der routinirte Einbrecher doch weit gemein¬
gefährlicher ist als der Defraudant. Statt dessen ist es aber heute beinahe
umgekehrt, und das doch zweifellos nur, weil auf der einen Seite bei ver¬
hältnismäßig leichter Mühe — denn das Einfangen eines bekannten Defrau-
danten ist im Zeitalter der Photographie und des Telegraphen für die Polizei
ein Kinderspiel — ein großes Trinkgeld winkt, während im andern Falle keine
besondre Belohnung in Aussicht steht.

Man sage etwa nicht, das sei denn doch zu schwarz gesehen; wenn es
auch an und für sich gewiß kein besonders erquickliches Schauspiel sei, daß sich
der Polizeibeamte für die einfache Pflichterfüllung eine Extrabelohnung von
Privatpersonen zahlen lasse, so würde er sich doch gewiß niemals so weit ver¬
gessen, daß er in der Hoffnung auf eine solche Prämie geradezu seine übrigen
Pflichten gröblich vernachlässigte. Es leuchtet doch wohl ohne weiteres ein,
daß niemand eine besondre Belohnung aussetzen würde, wenn er nicht die
wohlbegründete Hoffnung hegte, dadurch seiner Angelegenheit eine besondre
Bevorzugung zu sichern, und diese kann ihm natürlich immer nur auf Kosten
andrer Amtspflichten eingeräumt werden. Der Umstand, daß sich die Behörde
dabei niemals direkter Thatsünden, sondern immer nur leichter Unterlassungs-
sünden schuldig zu machen braucht, ist noch eine Versuchung mehr, sich über
irgend welche Skrupel hinwegzusetzen, denn einfache Unterlassungssünden sind
Dinge, mit denen das Gewissen aller Menschen bekanntlich sehr leicht fertig
wird, sobald der eigne Vorteil irgendwo in Frage kommt.

Dieses Aussetzen von Belohnungen würde also selbst dann noch eine schwere
Versuchung sein, wenn jedes Mitglied des in Frage kommenden Beamtenstandes
im übrigen auch das Urbild deutscher Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit wäre.
Die Erfahrungen der letzten Zeit haben aber leider genugsam bewiesen, daß
es auch hier nicht an Elementen fehlt, die gegen eine Entschädigung in mehr
oder weniger verblümter Form die Hand zu allerlei unsaubern Manipulationen
bieten. Ich sehe dabei noch ganz ab von den fragwürdigen Erscheinungen, wie
sie in den politischen Scnsationsprozessen der letzten Jahre an die Öffentlichkeit
getreten sind, aber solche Fälle, wie die famose Hummersuppengeschichte, wo sich
der betreffende Kriminnlkommisfar dem Nahrungsmittelfülscher gegenüber ganz
offenherzig anheischig machte, gegen eine Belohnung von 300 Mark die Denun¬
ziation zu beseitigen, geben doch gewiß zu denken, umso mehr, als sich auch
sonst in jüngster Zeit die Fälle bedenklich häufen, wo selbst hervorragende
Kriminalbeamte wegen begangner Pflichtwidrigkeiten entlassen werden müssen.
Daß diese Vorkommnisse aber nur die natürliche Folge der heute üblichen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0412" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228714"/>
          <fw type="header" place="top"> 3000 Mark Belohnung I</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1444" prev="#ID_1443"> des gestohlnen Geldes einige tausend Mark Belohnung. Natürlich muß sich da<lb/>
der erste vorläufig gedulden, obgleich die kleine Summe vielleicht für ihn mehr<lb/>
bedeutet als die Hunderttausende für jenen, und obgleich er mindestens das<lb/>
gleiche Recht auf energischen Schutz hat wie der andre. In dem allgemeinen<lb/>
Interesse der Gesellschaft läge es sogar, daß sein Fall den Vorzug erhielte,<lb/>
denn es liegt auf der Hand, daß der routinirte Einbrecher doch weit gemein¬<lb/>
gefährlicher ist als der Defraudant. Statt dessen ist es aber heute beinahe<lb/>
umgekehrt, und das doch zweifellos nur, weil auf der einen Seite bei ver¬<lb/>
hältnismäßig leichter Mühe &#x2014; denn das Einfangen eines bekannten Defrau-<lb/>
danten ist im Zeitalter der Photographie und des Telegraphen für die Polizei<lb/>
ein Kinderspiel &#x2014; ein großes Trinkgeld winkt, während im andern Falle keine<lb/>
besondre Belohnung in Aussicht steht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1445"> Man sage etwa nicht, das sei denn doch zu schwarz gesehen; wenn es<lb/>
auch an und für sich gewiß kein besonders erquickliches Schauspiel sei, daß sich<lb/>
der Polizeibeamte für die einfache Pflichterfüllung eine Extrabelohnung von<lb/>
Privatpersonen zahlen lasse, so würde er sich doch gewiß niemals so weit ver¬<lb/>
gessen, daß er in der Hoffnung auf eine solche Prämie geradezu seine übrigen<lb/>
Pflichten gröblich vernachlässigte. Es leuchtet doch wohl ohne weiteres ein,<lb/>
daß niemand eine besondre Belohnung aussetzen würde, wenn er nicht die<lb/>
wohlbegründete Hoffnung hegte, dadurch seiner Angelegenheit eine besondre<lb/>
Bevorzugung zu sichern, und diese kann ihm natürlich immer nur auf Kosten<lb/>
andrer Amtspflichten eingeräumt werden. Der Umstand, daß sich die Behörde<lb/>
dabei niemals direkter Thatsünden, sondern immer nur leichter Unterlassungs-<lb/>
sünden schuldig zu machen braucht, ist noch eine Versuchung mehr, sich über<lb/>
irgend welche Skrupel hinwegzusetzen, denn einfache Unterlassungssünden sind<lb/>
Dinge, mit denen das Gewissen aller Menschen bekanntlich sehr leicht fertig<lb/>
wird, sobald der eigne Vorteil irgendwo in Frage kommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1446" next="#ID_1447"> Dieses Aussetzen von Belohnungen würde also selbst dann noch eine schwere<lb/>
Versuchung sein, wenn jedes Mitglied des in Frage kommenden Beamtenstandes<lb/>
im übrigen auch das Urbild deutscher Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit wäre.<lb/>
Die Erfahrungen der letzten Zeit haben aber leider genugsam bewiesen, daß<lb/>
es auch hier nicht an Elementen fehlt, die gegen eine Entschädigung in mehr<lb/>
oder weniger verblümter Form die Hand zu allerlei unsaubern Manipulationen<lb/>
bieten. Ich sehe dabei noch ganz ab von den fragwürdigen Erscheinungen, wie<lb/>
sie in den politischen Scnsationsprozessen der letzten Jahre an die Öffentlichkeit<lb/>
getreten sind, aber solche Fälle, wie die famose Hummersuppengeschichte, wo sich<lb/>
der betreffende Kriminnlkommisfar dem Nahrungsmittelfülscher gegenüber ganz<lb/>
offenherzig anheischig machte, gegen eine Belohnung von 300 Mark die Denun¬<lb/>
ziation zu beseitigen, geben doch gewiß zu denken, umso mehr, als sich auch<lb/>
sonst in jüngster Zeit die Fälle bedenklich häufen, wo selbst hervorragende<lb/>
Kriminalbeamte wegen begangner Pflichtwidrigkeiten entlassen werden müssen.<lb/>
Daß diese Vorkommnisse aber nur die natürliche Folge der heute üblichen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0412] 3000 Mark Belohnung I des gestohlnen Geldes einige tausend Mark Belohnung. Natürlich muß sich da der erste vorläufig gedulden, obgleich die kleine Summe vielleicht für ihn mehr bedeutet als die Hunderttausende für jenen, und obgleich er mindestens das gleiche Recht auf energischen Schutz hat wie der andre. In dem allgemeinen Interesse der Gesellschaft läge es sogar, daß sein Fall den Vorzug erhielte, denn es liegt auf der Hand, daß der routinirte Einbrecher doch weit gemein¬ gefährlicher ist als der Defraudant. Statt dessen ist es aber heute beinahe umgekehrt, und das doch zweifellos nur, weil auf der einen Seite bei ver¬ hältnismäßig leichter Mühe — denn das Einfangen eines bekannten Defrau- danten ist im Zeitalter der Photographie und des Telegraphen für die Polizei ein Kinderspiel — ein großes Trinkgeld winkt, während im andern Falle keine besondre Belohnung in Aussicht steht. Man sage etwa nicht, das sei denn doch zu schwarz gesehen; wenn es auch an und für sich gewiß kein besonders erquickliches Schauspiel sei, daß sich der Polizeibeamte für die einfache Pflichterfüllung eine Extrabelohnung von Privatpersonen zahlen lasse, so würde er sich doch gewiß niemals so weit ver¬ gessen, daß er in der Hoffnung auf eine solche Prämie geradezu seine übrigen Pflichten gröblich vernachlässigte. Es leuchtet doch wohl ohne weiteres ein, daß niemand eine besondre Belohnung aussetzen würde, wenn er nicht die wohlbegründete Hoffnung hegte, dadurch seiner Angelegenheit eine besondre Bevorzugung zu sichern, und diese kann ihm natürlich immer nur auf Kosten andrer Amtspflichten eingeräumt werden. Der Umstand, daß sich die Behörde dabei niemals direkter Thatsünden, sondern immer nur leichter Unterlassungs- sünden schuldig zu machen braucht, ist noch eine Versuchung mehr, sich über irgend welche Skrupel hinwegzusetzen, denn einfache Unterlassungssünden sind Dinge, mit denen das Gewissen aller Menschen bekanntlich sehr leicht fertig wird, sobald der eigne Vorteil irgendwo in Frage kommt. Dieses Aussetzen von Belohnungen würde also selbst dann noch eine schwere Versuchung sein, wenn jedes Mitglied des in Frage kommenden Beamtenstandes im übrigen auch das Urbild deutscher Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit wäre. Die Erfahrungen der letzten Zeit haben aber leider genugsam bewiesen, daß es auch hier nicht an Elementen fehlt, die gegen eine Entschädigung in mehr oder weniger verblümter Form die Hand zu allerlei unsaubern Manipulationen bieten. Ich sehe dabei noch ganz ab von den fragwürdigen Erscheinungen, wie sie in den politischen Scnsationsprozessen der letzten Jahre an die Öffentlichkeit getreten sind, aber solche Fälle, wie die famose Hummersuppengeschichte, wo sich der betreffende Kriminnlkommisfar dem Nahrungsmittelfülscher gegenüber ganz offenherzig anheischig machte, gegen eine Belohnung von 300 Mark die Denun¬ ziation zu beseitigen, geben doch gewiß zu denken, umso mehr, als sich auch sonst in jüngster Zeit die Fälle bedenklich häufen, wo selbst hervorragende Kriminalbeamte wegen begangner Pflichtwidrigkeiten entlassen werden müssen. Daß diese Vorkommnisse aber nur die natürliche Folge der heute üblichen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/412
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/412>, abgerufen am 28.07.2024.