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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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3000 Mark Belohnung I

lich die am höchsten "prämiirten Verbrecher" sind gewöhnlich Defraudanten,
also Menschen, von denen man wohl im allgemeinen mit ziemlicher Sicherheit
behaupten kann, daß sie wahrscheinlich niemals den sittlichen Halt verloren
hätten, wenn die augenblickliche Versuchung nicht gar zu groß für sie gewesen
wäre. Das einzig Merkwürdige an ihnen ist ja regelmäßig nur die kolossale
Summe, die ihnen gerade in die Hände fiel, aber dieser Umstand dürste doch,
wie gesagt, eher ein Grund sein, sie zu entschuldigen, als sie als besonders
schwere Verbrecher zu behandeln.

In Wahrheit denkt ja auch kein vernünftiger Mensch daran, in diesen
Leuten gefährliche Verbrechernaturen zu sehen, deren Vernichtung in dem
dringenden Interesse der Gesellschaft mit allen Mitteln anzustreben sei -- man
weiß vielmehr ganz genau, daß es sich in der Hauptsache immer nur in allen diesen
Fällen um die Herbeischnffuug des gestohlnen Gutes handelt, während die Person
des Thäters und damit die Sühnung des Verbrechens eigentlich ganz neben¬
sächlich ist. Damit kommen wir nun aber auch schon zu dem Kernpunkt der
ganzen Frage. Die ausgesetzte Belohnung hat nämlich, wie wir sehen, von
Hause aus gar nicht den Zweck, die Thätigkeit der Polizeibehörden im Interesse
des besouders stark verletzten und beleidigten Rechtsgefühls der Gesellschaft
anzuspornen, sondern sie dient oft lediglich dazu, eine kleine Anzahl Reich¬
begüterter auf Kosten der übrigen vor einem empfindlichen Aderlaß zu
bewahren. Dieses "auf Kosten der Gesamtheit" ist es eben, was die Gesell¬
schaft nötigen müßte, gegen dieses Unwesen entschieden Front zu machen, denn
da es schlechterdings unmöglich ist, die Interessen des einen zu bevorzugen,
ohne die des andern zu vernachlässigen, so liegt es auf der Hand, daß auch
das Publikum ein lebhaftes Interesse daran hat, daß bei der polizeilichen Ver¬
folgung und Aufhellung von Verbrechen nicht die verheißungsvoll winkende
Belohnung, sondern lediglich die mehr oder weniger große Gemeingefährlichkeit
des Verbrechers das ausschlaggebende Motiv für die mehr oder weniger ener¬
gische Verfolgung sein darf. '

Man denke sich einmal den Fall, daß vielleicht zu gleicher Zeit ein Mord
und eine Unterschlagung auf dem Polizeibureau gemeldet werden, und daß
nun die Verfolgung des Mörders über der des Defraudanten vernachlässigt
wird, weil im letztern Falle eine hohe Belohnung winkt, während die Auf¬
hellung der Mordthat nichts einbringt. Ich weiß zwar nicht, ob ein solcher
6'all schon jemals vorgekommen ist, obgleich es bei dem kriminalistisch bewegten
Leben einer modernen Großstadt durchaus keine Unmöglichkeit wäre; wir
brauchen ja aber auch gar nicht gleich an diese äußersten Gegensätze zu denken,
auch solche Fälle, wie sie thatsächlich schon ost genug vorgekommen sein
werden, sind noch immer schlimm genug. Da kommt vielleicht ein kleiner
Handwerksmeister und meldet einen Einbruch, bei dem ihm 100 Thaler ge¬
stohlen worden sind, und zugleich kommt der zehnfache Millionär und Börsenmann,
dem gerade sein Kasstrer durchgegangen ist, und bietet für die Herbeischaffung


3000 Mark Belohnung I

lich die am höchsten „prämiirten Verbrecher" sind gewöhnlich Defraudanten,
also Menschen, von denen man wohl im allgemeinen mit ziemlicher Sicherheit
behaupten kann, daß sie wahrscheinlich niemals den sittlichen Halt verloren
hätten, wenn die augenblickliche Versuchung nicht gar zu groß für sie gewesen
wäre. Das einzig Merkwürdige an ihnen ist ja regelmäßig nur die kolossale
Summe, die ihnen gerade in die Hände fiel, aber dieser Umstand dürste doch,
wie gesagt, eher ein Grund sein, sie zu entschuldigen, als sie als besonders
schwere Verbrecher zu behandeln.

In Wahrheit denkt ja auch kein vernünftiger Mensch daran, in diesen
Leuten gefährliche Verbrechernaturen zu sehen, deren Vernichtung in dem
dringenden Interesse der Gesellschaft mit allen Mitteln anzustreben sei — man
weiß vielmehr ganz genau, daß es sich in der Hauptsache immer nur in allen diesen
Fällen um die Herbeischnffuug des gestohlnen Gutes handelt, während die Person
des Thäters und damit die Sühnung des Verbrechens eigentlich ganz neben¬
sächlich ist. Damit kommen wir nun aber auch schon zu dem Kernpunkt der
ganzen Frage. Die ausgesetzte Belohnung hat nämlich, wie wir sehen, von
Hause aus gar nicht den Zweck, die Thätigkeit der Polizeibehörden im Interesse
des besouders stark verletzten und beleidigten Rechtsgefühls der Gesellschaft
anzuspornen, sondern sie dient oft lediglich dazu, eine kleine Anzahl Reich¬
begüterter auf Kosten der übrigen vor einem empfindlichen Aderlaß zu
bewahren. Dieses „auf Kosten der Gesamtheit" ist es eben, was die Gesell¬
schaft nötigen müßte, gegen dieses Unwesen entschieden Front zu machen, denn
da es schlechterdings unmöglich ist, die Interessen des einen zu bevorzugen,
ohne die des andern zu vernachlässigen, so liegt es auf der Hand, daß auch
das Publikum ein lebhaftes Interesse daran hat, daß bei der polizeilichen Ver¬
folgung und Aufhellung von Verbrechen nicht die verheißungsvoll winkende
Belohnung, sondern lediglich die mehr oder weniger große Gemeingefährlichkeit
des Verbrechers das ausschlaggebende Motiv für die mehr oder weniger ener¬
gische Verfolgung sein darf. '

Man denke sich einmal den Fall, daß vielleicht zu gleicher Zeit ein Mord
und eine Unterschlagung auf dem Polizeibureau gemeldet werden, und daß
nun die Verfolgung des Mörders über der des Defraudanten vernachlässigt
wird, weil im letztern Falle eine hohe Belohnung winkt, während die Auf¬
hellung der Mordthat nichts einbringt. Ich weiß zwar nicht, ob ein solcher
6'all schon jemals vorgekommen ist, obgleich es bei dem kriminalistisch bewegten
Leben einer modernen Großstadt durchaus keine Unmöglichkeit wäre; wir
brauchen ja aber auch gar nicht gleich an diese äußersten Gegensätze zu denken,
auch solche Fälle, wie sie thatsächlich schon ost genug vorgekommen sein
werden, sind noch immer schlimm genug. Da kommt vielleicht ein kleiner
Handwerksmeister und meldet einen Einbruch, bei dem ihm 100 Thaler ge¬
stohlen worden sind, und zugleich kommt der zehnfache Millionär und Börsenmann,
dem gerade sein Kasstrer durchgegangen ist, und bietet für die Herbeischaffung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/411>, abgerufen am 28.07.2024.