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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks Vermächtnis

stärksten Hüterin des Weltfriedens. Wenn thatsächlich der Schwerpunkt der
europäischen Politik zwei Jahrzehnte lang in der deutschen Reichshauptstadt
gelegen hat, so war das vornehmlich die Folge der beispiellosen Autorität, die
Fürst Wismarer durch seine besonnene Haltung gewonnen hatte. Aber wo es
das nationale Interesse erforderte, und nur dort, da schritt er mit dem vollsten
Nachdruck ein, mit einem Nachdruck, der zuweilen in der lange mißhandelten
und verschüchterten Nation nicht weniger Erstaunen hervorrief als im Aus¬
lande, aber dort regelmäßig der gebührenden Achtung begegnete. "Es ist Zeit,
das Ausland daran zu gewöhnen, daß man auch Deutsche nicht ungestraft er¬
morden darf," sagte er am 4. Dezember 1874 im Reichstage, als der deutsche
Hauptmann Schmidt, ein friedlicher Zeitungskorrespondent, von den Karlisten
in kricgsrechtlichen Formen ermordet worden war, und erkannte sofort die revo¬
lutionäre Diktatur des Marschalls Serrano an, und seine letzte große Neichs-
tagsrede am 6. Februar 1888 gipfelte in dem monumentalen Satze: "Wir
können durch Liebe und Wohlwollen leicht bestochen werden, aber durch
Drohungen ganz gewiß nicht. Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts
in der Welt!" Als das natürlichste Bündnis galt ihm das mit Österreich,
aber der Angelpunkt seiner auswärtigen Politik war das Verhältnis zu Ru߬
land, das Friedrich der Große begründet hatte. Nicht, weil ihm der russische
Absolutismus etwa sympathisch gewesen wäre -- die Staatsform fremder
Völker war ihm kein Grund von Ab- und Zuneigung --, sondern weil zwischen
Rußland und Deutschland keine Interessengegensätze bestünden, weil beide Mächte
sogar das gemeinsame Interesse hätten, die für beide gefährlichen polnischen
Bestrebungen niederzuhalten, denen er in Preußen selbst unnachsichtlich und
ohne Schwanken entgegentrat, und weil nur dies Verhältnis Deutschland vor
einem Kriege auf zwei Fronten schütze. Er hat sich keinen Augenblick be¬
sonnen, auch den Russen die Zähne zu weisen, als nach dem Berliner Kongreß
1878 und noch mehr seit der Thronbesteigung Alexanders III. 1881 eine
deutsch-feindliche Strömung die Oberhand zu gewinnen drohte, aber er ließ
den Draht zwischen Berlin und Petersburg selbst unter den schwierigsten Ver¬
hältnissen niemals abreißen. Von Frankreich erwartete er in absehbarer Zeit
keine Änderung seiner Revanchegelüste und suchte es deshalb in thunlichster
Jsolirung zu halten, aber er war niemals sein Feind, er förderte es sogar in
seinen kolonialen Bestrebungen und ging in solchen Fragen ohne Bedenken nut
ihm zusammen. Von einem engern Einvernehmen mit England wollte er
niemals etwas wissen. Denn einmal wird England durch seine Verfassung
verhindert, ein dauerndes Bündnis mit irgend einer Macht abzuschließen,
sodann hat es sich jahrhundertelang der Deutschen bedient, um seine besondern
Interessen auf dem Festlande militärisch zu vertreten -- Deutschland würde
daher bei jedem Zusammenstoße zwischen England und Nußland sofort die
Hauptlast des Krieges auf sich zu nehmen haben, ohne die geringste Aussicht
auf einen entsprechenden Gewinn; und es hat endlich die deutsche Kolonial-


Fürst Bismarcks Vermächtnis

stärksten Hüterin des Weltfriedens. Wenn thatsächlich der Schwerpunkt der
europäischen Politik zwei Jahrzehnte lang in der deutschen Reichshauptstadt
gelegen hat, so war das vornehmlich die Folge der beispiellosen Autorität, die
Fürst Wismarer durch seine besonnene Haltung gewonnen hatte. Aber wo es
das nationale Interesse erforderte, und nur dort, da schritt er mit dem vollsten
Nachdruck ein, mit einem Nachdruck, der zuweilen in der lange mißhandelten
und verschüchterten Nation nicht weniger Erstaunen hervorrief als im Aus¬
lande, aber dort regelmäßig der gebührenden Achtung begegnete. „Es ist Zeit,
das Ausland daran zu gewöhnen, daß man auch Deutsche nicht ungestraft er¬
morden darf," sagte er am 4. Dezember 1874 im Reichstage, als der deutsche
Hauptmann Schmidt, ein friedlicher Zeitungskorrespondent, von den Karlisten
in kricgsrechtlichen Formen ermordet worden war, und erkannte sofort die revo¬
lutionäre Diktatur des Marschalls Serrano an, und seine letzte große Neichs-
tagsrede am 6. Februar 1888 gipfelte in dem monumentalen Satze: „Wir
können durch Liebe und Wohlwollen leicht bestochen werden, aber durch
Drohungen ganz gewiß nicht. Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts
in der Welt!" Als das natürlichste Bündnis galt ihm das mit Österreich,
aber der Angelpunkt seiner auswärtigen Politik war das Verhältnis zu Ru߬
land, das Friedrich der Große begründet hatte. Nicht, weil ihm der russische
Absolutismus etwa sympathisch gewesen wäre — die Staatsform fremder
Völker war ihm kein Grund von Ab- und Zuneigung —, sondern weil zwischen
Rußland und Deutschland keine Interessengegensätze bestünden, weil beide Mächte
sogar das gemeinsame Interesse hätten, die für beide gefährlichen polnischen
Bestrebungen niederzuhalten, denen er in Preußen selbst unnachsichtlich und
ohne Schwanken entgegentrat, und weil nur dies Verhältnis Deutschland vor
einem Kriege auf zwei Fronten schütze. Er hat sich keinen Augenblick be¬
sonnen, auch den Russen die Zähne zu weisen, als nach dem Berliner Kongreß
1878 und noch mehr seit der Thronbesteigung Alexanders III. 1881 eine
deutsch-feindliche Strömung die Oberhand zu gewinnen drohte, aber er ließ
den Draht zwischen Berlin und Petersburg selbst unter den schwierigsten Ver¬
hältnissen niemals abreißen. Von Frankreich erwartete er in absehbarer Zeit
keine Änderung seiner Revanchegelüste und suchte es deshalb in thunlichster
Jsolirung zu halten, aber er war niemals sein Feind, er förderte es sogar in
seinen kolonialen Bestrebungen und ging in solchen Fragen ohne Bedenken nut
ihm zusammen. Von einem engern Einvernehmen mit England wollte er
niemals etwas wissen. Denn einmal wird England durch seine Verfassung
verhindert, ein dauerndes Bündnis mit irgend einer Macht abzuschließen,
sodann hat es sich jahrhundertelang der Deutschen bedient, um seine besondern
Interessen auf dem Festlande militärisch zu vertreten — Deutschland würde
daher bei jedem Zusammenstoße zwischen England und Nußland sofort die
Hauptlast des Krieges auf sich zu nehmen haben, ohne die geringste Aussicht
auf einen entsprechenden Gewinn; und es hat endlich die deutsche Kolonial-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/400>, abgerufen am 28.07.2024.