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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks Vermächtnis

Zwingherrn der wirtschaftlichen Arbeit machen, wie die Sozialdemokratin
aber der Staat sollte der wirtschaftlichen Arbeit anch nicht nur als Zu¬
schauer gegenüberstehen, wie er das vor dem Aufkommen der Manchestertheorie
thatsächlich auch niemals gethan hatte. Er sollte vielmehr die nationale Arbeit
überall energisch schützen, vor allem die Landwirtschaft, das ursprünglichste
und unentbehrlichste aller Gewerbe, er sollte der nationalen Produktion den ein¬
heimischen Markt thunlichst sichern, ihre Absatzgebiete im Auslande erhalten
und erweitern, der überschüssigen Bevölkerung Auswanderungsgebiete erwerben,
wo sie ihre Nationalität behaupten könne, zugleich die Beziehungen zwischen
den Unternehmern und Arbeitern durch seine Gesetzgebung, Aufsicht und Bei¬
hilfe so regeln, daß die Arbeiter thunlichst vor ungerechter Ausbeutung und
vor den Folgen der Betriebsunfälle, des Alters und der Krankheit geschützt
seien. Das ist der Kern seiner seit 1878/79 kraftvoll einsetzenden Wirtschafts¬
und Sozialreform. Der Vorwurf, das sei Sozialismus. schreckte ihn nicht;
er berief sich auf "die Stein-Hardenbergische Gesetzgebung glorreichen An¬
denkens," auf die Befreiung des Bauernstands, die größte soziale That der
deutschen Monarchie; er sagte in der großen Rede vom 15. März 1884 über
das Unfallversicherungsgesetz: "Das Ganze liegt in der Frage begründet: Hat
der Staat die Pflicht, für seine hilflosen Mitbürger zu sorgen, oder hat er sie
nicht? Ich behaupte: Er hat sie, und zwar nicht bloß der christliche Staat . . .
sondern jeder Staat an und für sich." Niemals hat ein Staat auch uur an¬
nähernd so großes für die Millionen der handarbeitenden Klassen geleistet, wie
das Deutsche Reich seit 1883. und das ist in erster Linie Fürst Bismarcks
Verdienst. Zugleich sicherte sein Zollschutz die wichtigsten Zweige der deutschen
Volkswirtschaft vor "Verblutung," und seine ebenso besonnene und klug berechnende
wie kühn ausgreifende Kolonialpolitik, die er einer verständnislosen, in Vor¬
urteilen verrannten Opposition ebenso mühsam abringen mußte wie einst die
preußische Heeresreform, legte den Grund für die Weltstellung des Deutschen
Reichs, die für die Sicherung seiner Zukunft unentbehrlich ist.

Seine innere Politik ist vielfach -- grundlos -- bestritten worden, seiner
auswärtigen haben alle Parteien, von einzelnen Thoren abgesehen, die Palme
der Meisterschaft zuerkannt. Aber beides ist gar nicht zu trennen, denn der
Geist, der sie beide durchdrang, war derselbe: der nationale Geist. Fürst
Vismarck kannte kein höheres und kein andres Ziel als das Glück und die
Größe seiner Nation, die saws vuvliea war ihm die suprsma. Isx, nichts mehr,
nichts weniger. Er verfolgte keine Prinzipienpolitik, wie es Österreich zu
seinem Schaden bis in die neuste Zeit hinein so oft gethan hat, und wie sie
die heilige Allianz verfolgte, wenn sie die europäische Polizei gegen die "Re¬
volution" ausübte; dergleichen nannte er Phrasen.

Er begehrte auch keinerlei Vorherrschaft für seine Nation, wie sie die
Franzosen zweimal ausgeübt haben und gewissermaßen zu ihren natürlichen
Rechten zählen, er machte vielmehr die neue europäische Zentralmacht zur


Fürst Bismarcks Vermächtnis

Zwingherrn der wirtschaftlichen Arbeit machen, wie die Sozialdemokratin
aber der Staat sollte der wirtschaftlichen Arbeit anch nicht nur als Zu¬
schauer gegenüberstehen, wie er das vor dem Aufkommen der Manchestertheorie
thatsächlich auch niemals gethan hatte. Er sollte vielmehr die nationale Arbeit
überall energisch schützen, vor allem die Landwirtschaft, das ursprünglichste
und unentbehrlichste aller Gewerbe, er sollte der nationalen Produktion den ein¬
heimischen Markt thunlichst sichern, ihre Absatzgebiete im Auslande erhalten
und erweitern, der überschüssigen Bevölkerung Auswanderungsgebiete erwerben,
wo sie ihre Nationalität behaupten könne, zugleich die Beziehungen zwischen
den Unternehmern und Arbeitern durch seine Gesetzgebung, Aufsicht und Bei¬
hilfe so regeln, daß die Arbeiter thunlichst vor ungerechter Ausbeutung und
vor den Folgen der Betriebsunfälle, des Alters und der Krankheit geschützt
seien. Das ist der Kern seiner seit 1878/79 kraftvoll einsetzenden Wirtschafts¬
und Sozialreform. Der Vorwurf, das sei Sozialismus. schreckte ihn nicht;
er berief sich auf „die Stein-Hardenbergische Gesetzgebung glorreichen An¬
denkens," auf die Befreiung des Bauernstands, die größte soziale That der
deutschen Monarchie; er sagte in der großen Rede vom 15. März 1884 über
das Unfallversicherungsgesetz: „Das Ganze liegt in der Frage begründet: Hat
der Staat die Pflicht, für seine hilflosen Mitbürger zu sorgen, oder hat er sie
nicht? Ich behaupte: Er hat sie, und zwar nicht bloß der christliche Staat . . .
sondern jeder Staat an und für sich." Niemals hat ein Staat auch uur an¬
nähernd so großes für die Millionen der handarbeitenden Klassen geleistet, wie
das Deutsche Reich seit 1883. und das ist in erster Linie Fürst Bismarcks
Verdienst. Zugleich sicherte sein Zollschutz die wichtigsten Zweige der deutschen
Volkswirtschaft vor „Verblutung," und seine ebenso besonnene und klug berechnende
wie kühn ausgreifende Kolonialpolitik, die er einer verständnislosen, in Vor¬
urteilen verrannten Opposition ebenso mühsam abringen mußte wie einst die
preußische Heeresreform, legte den Grund für die Weltstellung des Deutschen
Reichs, die für die Sicherung seiner Zukunft unentbehrlich ist.

Seine innere Politik ist vielfach — grundlos — bestritten worden, seiner
auswärtigen haben alle Parteien, von einzelnen Thoren abgesehen, die Palme
der Meisterschaft zuerkannt. Aber beides ist gar nicht zu trennen, denn der
Geist, der sie beide durchdrang, war derselbe: der nationale Geist. Fürst
Vismarck kannte kein höheres und kein andres Ziel als das Glück und die
Größe seiner Nation, die saws vuvliea war ihm die suprsma. Isx, nichts mehr,
nichts weniger. Er verfolgte keine Prinzipienpolitik, wie es Österreich zu
seinem Schaden bis in die neuste Zeit hinein so oft gethan hat, und wie sie
die heilige Allianz verfolgte, wenn sie die europäische Polizei gegen die „Re¬
volution" ausübte; dergleichen nannte er Phrasen.

Er begehrte auch keinerlei Vorherrschaft für seine Nation, wie sie die
Franzosen zweimal ausgeübt haben und gewissermaßen zu ihren natürlichen
Rechten zählen, er machte vielmehr die neue europäische Zentralmacht zur


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[0399] Fürst Bismarcks Vermächtnis Zwingherrn der wirtschaftlichen Arbeit machen, wie die Sozialdemokratin aber der Staat sollte der wirtschaftlichen Arbeit anch nicht nur als Zu¬ schauer gegenüberstehen, wie er das vor dem Aufkommen der Manchestertheorie thatsächlich auch niemals gethan hatte. Er sollte vielmehr die nationale Arbeit überall energisch schützen, vor allem die Landwirtschaft, das ursprünglichste und unentbehrlichste aller Gewerbe, er sollte der nationalen Produktion den ein¬ heimischen Markt thunlichst sichern, ihre Absatzgebiete im Auslande erhalten und erweitern, der überschüssigen Bevölkerung Auswanderungsgebiete erwerben, wo sie ihre Nationalität behaupten könne, zugleich die Beziehungen zwischen den Unternehmern und Arbeitern durch seine Gesetzgebung, Aufsicht und Bei¬ hilfe so regeln, daß die Arbeiter thunlichst vor ungerechter Ausbeutung und vor den Folgen der Betriebsunfälle, des Alters und der Krankheit geschützt seien. Das ist der Kern seiner seit 1878/79 kraftvoll einsetzenden Wirtschafts¬ und Sozialreform. Der Vorwurf, das sei Sozialismus. schreckte ihn nicht; er berief sich auf „die Stein-Hardenbergische Gesetzgebung glorreichen An¬ denkens," auf die Befreiung des Bauernstands, die größte soziale That der deutschen Monarchie; er sagte in der großen Rede vom 15. März 1884 über das Unfallversicherungsgesetz: „Das Ganze liegt in der Frage begründet: Hat der Staat die Pflicht, für seine hilflosen Mitbürger zu sorgen, oder hat er sie nicht? Ich behaupte: Er hat sie, und zwar nicht bloß der christliche Staat . . . sondern jeder Staat an und für sich." Niemals hat ein Staat auch uur an¬ nähernd so großes für die Millionen der handarbeitenden Klassen geleistet, wie das Deutsche Reich seit 1883. und das ist in erster Linie Fürst Bismarcks Verdienst. Zugleich sicherte sein Zollschutz die wichtigsten Zweige der deutschen Volkswirtschaft vor „Verblutung," und seine ebenso besonnene und klug berechnende wie kühn ausgreifende Kolonialpolitik, die er einer verständnislosen, in Vor¬ urteilen verrannten Opposition ebenso mühsam abringen mußte wie einst die preußische Heeresreform, legte den Grund für die Weltstellung des Deutschen Reichs, die für die Sicherung seiner Zukunft unentbehrlich ist. Seine innere Politik ist vielfach — grundlos — bestritten worden, seiner auswärtigen haben alle Parteien, von einzelnen Thoren abgesehen, die Palme der Meisterschaft zuerkannt. Aber beides ist gar nicht zu trennen, denn der Geist, der sie beide durchdrang, war derselbe: der nationale Geist. Fürst Vismarck kannte kein höheres und kein andres Ziel als das Glück und die Größe seiner Nation, die saws vuvliea war ihm die suprsma. Isx, nichts mehr, nichts weniger. Er verfolgte keine Prinzipienpolitik, wie es Österreich zu seinem Schaden bis in die neuste Zeit hinein so oft gethan hat, und wie sie die heilige Allianz verfolgte, wenn sie die europäische Polizei gegen die „Re¬ volution" ausübte; dergleichen nannte er Phrasen. Er begehrte auch keinerlei Vorherrschaft für seine Nation, wie sie die Franzosen zweimal ausgeübt haben und gewissermaßen zu ihren natürlichen Rechten zählen, er machte vielmehr die neue europäische Zentralmacht zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/399>, abgerufen am 28.07.2024.