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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Fürst Bismarck? Vermächtnis

nationale Mehrheit fehlt, nur darf sie nicht so naiv sein, alle Parteien für
national zu halten.

Fürst Bismarck war der Retter des preußischen Königtums und wollte
von seiner verfassungsmäßigen Gewalt kein Titelchen aufgeben; aber von dem
bureaukratisch-juristischen Geiste des Beamtentums wollte er nichts wissen.
Er, der außerhalb der üblichen Veamtenlaufbahn emporgekommen und lange
Jahre praktischer Landwirt gewesen war, hielt schon die Vorbildung der Be¬
amte" auf den Universitäten unter dem Einflüsse des Korpslebcns, das seine
Leute gerade so vom Volke und vom wirklichen Leben abschließe, wie die
Seminarbildung die katholische Geistlichkeit, für sehr ungünstig, weil sür viel
zu theoretisch, unpraktisch und exklusiv, und er sah in dem Geheimenrat den
Typus dieses Beamtentums, das immer nur nach oben sehe und kein "Rückgrat"
habe. Wie oft hat er gegen diese "Streber und Kleber" gewettert! Sein
Ideal des Verwaltungsbenmten war der altpreußische Landrat, der als ein¬
gesessener Edelmann mit seinem Kreise eng verwachsen war, zeitlebens dort
blieb und "alles und jedes in seinem Bezirke kannte." In der That hat ein
solches Beamtentum unter der absoluten Monarchie in Preußen bestanden,
jene bedeutenden, selbständigen, auch nach oben freimütiger und aufrechten
Männer, die nach dem Zusammenbruche von 1806/7 den Staat wieder her¬
stellten und den Zollverein gründeten. Nur bei einem Teile des alten Landadels,
seinen Standesgenossen, fand Bismarck "einiges Rückgrat," und er beklagte es
tief, daß daneben ein vatcrlandsloser Geldadel aufkomme, den er nicht weniger
zu den "Drohnen" rechnete wie den "besitzlosen Hofadel." Er wünschte über¬
haupt ein selbstbewußtes Volk, das in freier Hingabe, mit wirklichem Ver¬
ständnis seiner Bedürfnisse dem Vaterlande diene und dadurch sich selbst.

Wollte er von einer "Omnipotenz" des Staates nichts wissen, die doch
auf die Omnipotenz der Bureaukratie hinauslaufen würde, so hielt er doch
unnachsichtlich an der Souveränität des Staates fest. Gegenüber der Ver¬
kündigung des Unfehlbarkeitsdoginas verhielt er sich gleichgiltig, das war ihm
eine innere Angelegenheit der römischen Kirche; aber sobald durch die Konse¬
quenzen daraus der Ultramontanismus im Zentrum den Anspruch auf die
sogenannte Freiheit der Kirche, d. h. auf ihre Souveränität erhob, also die
Souveränität des Staats bestritt, griff er ein. "Es handelt sich nicht um den
Kampf einer evangelischen Dynastie gegen die katholische Kirche -- es handelt
sich um den uralten Machtstreit, der so alt ist wie das Menschengeschlecht,
um den Machtstreit zwischen Königtum und Priestertum. Es handelt sich um
die Verteidigung des Staats -- deun in dem Reiche dieser Welt hat er das
Regiment und den Vortritt" (10. März 1873). Nur in diesem Sinne hat er
selbst den "Kulturkampf" geführt, nur als "Kampfgesetze," nicht als dauernde
Institutionen hat er die Maigesetzgebung aufgefaßt, und einen grundsätzlichen
Ausgleich hat er vernünftigerweise nicht erstrebt, weil ein solcher unmöglich
ist, sondern nur einen rnoäus vivsnäi, sobald die Gelegenheit günstig war,


Fürst Bismarck? Vermächtnis

nationale Mehrheit fehlt, nur darf sie nicht so naiv sein, alle Parteien für
national zu halten.

Fürst Bismarck war der Retter des preußischen Königtums und wollte
von seiner verfassungsmäßigen Gewalt kein Titelchen aufgeben; aber von dem
bureaukratisch-juristischen Geiste des Beamtentums wollte er nichts wissen.
Er, der außerhalb der üblichen Veamtenlaufbahn emporgekommen und lange
Jahre praktischer Landwirt gewesen war, hielt schon die Vorbildung der Be¬
amte» auf den Universitäten unter dem Einflüsse des Korpslebcns, das seine
Leute gerade so vom Volke und vom wirklichen Leben abschließe, wie die
Seminarbildung die katholische Geistlichkeit, für sehr ungünstig, weil sür viel
zu theoretisch, unpraktisch und exklusiv, und er sah in dem Geheimenrat den
Typus dieses Beamtentums, das immer nur nach oben sehe und kein „Rückgrat"
habe. Wie oft hat er gegen diese „Streber und Kleber" gewettert! Sein
Ideal des Verwaltungsbenmten war der altpreußische Landrat, der als ein¬
gesessener Edelmann mit seinem Kreise eng verwachsen war, zeitlebens dort
blieb und „alles und jedes in seinem Bezirke kannte." In der That hat ein
solches Beamtentum unter der absoluten Monarchie in Preußen bestanden,
jene bedeutenden, selbständigen, auch nach oben freimütiger und aufrechten
Männer, die nach dem Zusammenbruche von 1806/7 den Staat wieder her¬
stellten und den Zollverein gründeten. Nur bei einem Teile des alten Landadels,
seinen Standesgenossen, fand Bismarck „einiges Rückgrat," und er beklagte es
tief, daß daneben ein vatcrlandsloser Geldadel aufkomme, den er nicht weniger
zu den „Drohnen" rechnete wie den „besitzlosen Hofadel." Er wünschte über¬
haupt ein selbstbewußtes Volk, das in freier Hingabe, mit wirklichem Ver¬
ständnis seiner Bedürfnisse dem Vaterlande diene und dadurch sich selbst.

Wollte er von einer „Omnipotenz" des Staates nichts wissen, die doch
auf die Omnipotenz der Bureaukratie hinauslaufen würde, so hielt er doch
unnachsichtlich an der Souveränität des Staates fest. Gegenüber der Ver¬
kündigung des Unfehlbarkeitsdoginas verhielt er sich gleichgiltig, das war ihm
eine innere Angelegenheit der römischen Kirche; aber sobald durch die Konse¬
quenzen daraus der Ultramontanismus im Zentrum den Anspruch auf die
sogenannte Freiheit der Kirche, d. h. auf ihre Souveränität erhob, also die
Souveränität des Staats bestritt, griff er ein. „Es handelt sich nicht um den
Kampf einer evangelischen Dynastie gegen die katholische Kirche — es handelt
sich um den uralten Machtstreit, der so alt ist wie das Menschengeschlecht,
um den Machtstreit zwischen Königtum und Priestertum. Es handelt sich um
die Verteidigung des Staats — deun in dem Reiche dieser Welt hat er das
Regiment und den Vortritt" (10. März 1873). Nur in diesem Sinne hat er
selbst den „Kulturkampf" geführt, nur als „Kampfgesetze," nicht als dauernde
Institutionen hat er die Maigesetzgebung aufgefaßt, und einen grundsätzlichen
Ausgleich hat er vernünftigerweise nicht erstrebt, weil ein solcher unmöglich
ist, sondern nur einen rnoäus vivsnäi, sobald die Gelegenheit günstig war,


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[0397] Fürst Bismarck? Vermächtnis nationale Mehrheit fehlt, nur darf sie nicht so naiv sein, alle Parteien für national zu halten. Fürst Bismarck war der Retter des preußischen Königtums und wollte von seiner verfassungsmäßigen Gewalt kein Titelchen aufgeben; aber von dem bureaukratisch-juristischen Geiste des Beamtentums wollte er nichts wissen. Er, der außerhalb der üblichen Veamtenlaufbahn emporgekommen und lange Jahre praktischer Landwirt gewesen war, hielt schon die Vorbildung der Be¬ amte» auf den Universitäten unter dem Einflüsse des Korpslebcns, das seine Leute gerade so vom Volke und vom wirklichen Leben abschließe, wie die Seminarbildung die katholische Geistlichkeit, für sehr ungünstig, weil sür viel zu theoretisch, unpraktisch und exklusiv, und er sah in dem Geheimenrat den Typus dieses Beamtentums, das immer nur nach oben sehe und kein „Rückgrat" habe. Wie oft hat er gegen diese „Streber und Kleber" gewettert! Sein Ideal des Verwaltungsbenmten war der altpreußische Landrat, der als ein¬ gesessener Edelmann mit seinem Kreise eng verwachsen war, zeitlebens dort blieb und „alles und jedes in seinem Bezirke kannte." In der That hat ein solches Beamtentum unter der absoluten Monarchie in Preußen bestanden, jene bedeutenden, selbständigen, auch nach oben freimütiger und aufrechten Männer, die nach dem Zusammenbruche von 1806/7 den Staat wieder her¬ stellten und den Zollverein gründeten. Nur bei einem Teile des alten Landadels, seinen Standesgenossen, fand Bismarck „einiges Rückgrat," und er beklagte es tief, daß daneben ein vatcrlandsloser Geldadel aufkomme, den er nicht weniger zu den „Drohnen" rechnete wie den „besitzlosen Hofadel." Er wünschte über¬ haupt ein selbstbewußtes Volk, das in freier Hingabe, mit wirklichem Ver¬ ständnis seiner Bedürfnisse dem Vaterlande diene und dadurch sich selbst. Wollte er von einer „Omnipotenz" des Staates nichts wissen, die doch auf die Omnipotenz der Bureaukratie hinauslaufen würde, so hielt er doch unnachsichtlich an der Souveränität des Staates fest. Gegenüber der Ver¬ kündigung des Unfehlbarkeitsdoginas verhielt er sich gleichgiltig, das war ihm eine innere Angelegenheit der römischen Kirche; aber sobald durch die Konse¬ quenzen daraus der Ultramontanismus im Zentrum den Anspruch auf die sogenannte Freiheit der Kirche, d. h. auf ihre Souveränität erhob, also die Souveränität des Staats bestritt, griff er ein. „Es handelt sich nicht um den Kampf einer evangelischen Dynastie gegen die katholische Kirche — es handelt sich um den uralten Machtstreit, der so alt ist wie das Menschengeschlecht, um den Machtstreit zwischen Königtum und Priestertum. Es handelt sich um die Verteidigung des Staats — deun in dem Reiche dieser Welt hat er das Regiment und den Vortritt" (10. März 1873). Nur in diesem Sinne hat er selbst den „Kulturkampf" geführt, nur als „Kampfgesetze," nicht als dauernde Institutionen hat er die Maigesetzgebung aufgefaßt, und einen grundsätzlichen Ausgleich hat er vernünftigerweise nicht erstrebt, weil ein solcher unmöglich ist, sondern nur einen rnoäus vivsnäi, sobald die Gelegenheit günstig war,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/397>, abgerufen am 28.07.2024.