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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die versicherungsbedingungen der privaten Feuerversicheruilasgesellschafteii

der ersten Gesellschaft verklagen läßt, so kann er ziemlich sicher sein, daß er
verurteilt werden wird. Da die Versicherungsverträge von der Gesellschaft
auf eiuen möglichst langen Zeitraum von zehn und mehr Jahren abgeschlossen
werden und nach ihrem Ablauf auf dieselbe Dauer als verlängert zu gelten
pflegen, wenn sie nicht vorher rechtzeitig aufgekündigt sind, so ist der Ver¬
sicherte dann wider seinen Willen genötigt, bei einer Gesellschaft zu versichern,
die er vielleicht nicht für vertrauenswürdig hält, und mit der er nach allen
Vorgängen nur mit äußerstem Widerstreben verhandeln kann.

Neuerdings haben einige Landgerichte im Bereiche des rheinischen Rechts
die vorliegende Frage im Sinne der Versicherten dahin entschieden, daß nach
dem Grundsatze 6o ut clss die anderweitige Versicherung dem neuen Erwerber
frei zu geben sei, sofern die Versicherungsgesellschaft die Fortsetzung der Versiche¬
rung von ihrem Ermessen abhängig macht. In den Gründen des Urteils ist
folgendes angeführt: "Durch diese Bestimmung (nämlich, daß beim Eigentums¬
wechsel die Entschädigungspflicht der Gesellschaft ruht und sie nach erfolgter
Anzeige das Recht hat, die Versicherung fortzusetzen oder abzulehnen) ist beim
Eigentumswechsel die Erfüllung des Versicherungsvertrags lediglich der Willkür
der verpflichteten Gesellschaft überlassen, da sie ohne jeden Grund die Ver¬
änderungsgenehmigung versagen kann, ihr auch bezüglich derselben keine Frist
gesetzt ist." Das Gericht hat daraufhin angenommen, daß gegenüber dem Er¬
werber der versicherten Gegenstände ein unverbindlicher Vertrag vorliege, und
hat die auf die Fortsetzung der Versicherung gerichtete Klage der Gesellschaft
abgewiesen.

Dies ist vom Standpunkt der Billigkeit aus die einzig richtige Auf¬
fassung. Freilich sind die neuerdings gefällten Urteile altprcußischer Gerichte
wieder in anderm Sinne ausgefallen, und das Reichsgericht hat diesen ab¬
weichenden, sich mehr an den Wortlaut der Vertragsbestimmungen bindenden
Standpunkt ebenfalls eingenommen. In den betreffenden Erkenntnissen ist aus¬
geführt worden, daß in der Machtbefugnis der Gesellschaft, den Versicherungs¬
vertrag aufzuheben, wenn ihr der neue ErWerber nicht ansteht (während dieser
dieses Recht nicht hat), immerhin eine gewisse Willkür enthalten sei, daß aber
die einseitig einer Partei eingeräumte Befugnis, ein Vertragsverhältnis unter
bestimmten Bedingungen zu lösen, bei vielen Verträgen vorkomme, ohne als
Willkür im vertragsrechtlichen Sinne betrachtet zu werden. Auch ruhe die
Entschädigungspflicht der Gesellschaft nicht für eine ganz dem Belieben der
Klägerin überlassene Zeit, sondern bis zum Ablauf einer den üblichen Regeln
des Lebens entsprechenden, nötigenfalls durch das Gericht zu bestimmenden Frist-

Diese letzte, Begründung ist vom Standpunkt des praktischen Bedürfnisses
aus sehr anfechtbar. Wir fragen: Welche "üblichen Lebensregeln" sollen für
die Dauer des Nutzens der Versicherung beim Eigentumswechsel maßgebend
sein? Wenn eine Frist nach "üblichen Lebensregeln" überhaupt bemessen


Die versicherungsbedingungen der privaten Feuerversicheruilasgesellschafteii

der ersten Gesellschaft verklagen läßt, so kann er ziemlich sicher sein, daß er
verurteilt werden wird. Da die Versicherungsverträge von der Gesellschaft
auf eiuen möglichst langen Zeitraum von zehn und mehr Jahren abgeschlossen
werden und nach ihrem Ablauf auf dieselbe Dauer als verlängert zu gelten
pflegen, wenn sie nicht vorher rechtzeitig aufgekündigt sind, so ist der Ver¬
sicherte dann wider seinen Willen genötigt, bei einer Gesellschaft zu versichern,
die er vielleicht nicht für vertrauenswürdig hält, und mit der er nach allen
Vorgängen nur mit äußerstem Widerstreben verhandeln kann.

Neuerdings haben einige Landgerichte im Bereiche des rheinischen Rechts
die vorliegende Frage im Sinne der Versicherten dahin entschieden, daß nach
dem Grundsatze 6o ut clss die anderweitige Versicherung dem neuen Erwerber
frei zu geben sei, sofern die Versicherungsgesellschaft die Fortsetzung der Versiche¬
rung von ihrem Ermessen abhängig macht. In den Gründen des Urteils ist
folgendes angeführt: „Durch diese Bestimmung (nämlich, daß beim Eigentums¬
wechsel die Entschädigungspflicht der Gesellschaft ruht und sie nach erfolgter
Anzeige das Recht hat, die Versicherung fortzusetzen oder abzulehnen) ist beim
Eigentumswechsel die Erfüllung des Versicherungsvertrags lediglich der Willkür
der verpflichteten Gesellschaft überlassen, da sie ohne jeden Grund die Ver¬
änderungsgenehmigung versagen kann, ihr auch bezüglich derselben keine Frist
gesetzt ist." Das Gericht hat daraufhin angenommen, daß gegenüber dem Er¬
werber der versicherten Gegenstände ein unverbindlicher Vertrag vorliege, und
hat die auf die Fortsetzung der Versicherung gerichtete Klage der Gesellschaft
abgewiesen.

Dies ist vom Standpunkt der Billigkeit aus die einzig richtige Auf¬
fassung. Freilich sind die neuerdings gefällten Urteile altprcußischer Gerichte
wieder in anderm Sinne ausgefallen, und das Reichsgericht hat diesen ab¬
weichenden, sich mehr an den Wortlaut der Vertragsbestimmungen bindenden
Standpunkt ebenfalls eingenommen. In den betreffenden Erkenntnissen ist aus¬
geführt worden, daß in der Machtbefugnis der Gesellschaft, den Versicherungs¬
vertrag aufzuheben, wenn ihr der neue ErWerber nicht ansteht (während dieser
dieses Recht nicht hat), immerhin eine gewisse Willkür enthalten sei, daß aber
die einseitig einer Partei eingeräumte Befugnis, ein Vertragsverhältnis unter
bestimmten Bedingungen zu lösen, bei vielen Verträgen vorkomme, ohne als
Willkür im vertragsrechtlichen Sinne betrachtet zu werden. Auch ruhe die
Entschädigungspflicht der Gesellschaft nicht für eine ganz dem Belieben der
Klägerin überlassene Zeit, sondern bis zum Ablauf einer den üblichen Regeln
des Lebens entsprechenden, nötigenfalls durch das Gericht zu bestimmenden Frist-

Diese letzte, Begründung ist vom Standpunkt des praktischen Bedürfnisses
aus sehr anfechtbar. Wir fragen: Welche „üblichen Lebensregeln" sollen für
die Dauer des Nutzens der Versicherung beim Eigentumswechsel maßgebend
sein? Wenn eine Frist nach „üblichen Lebensregeln" überhaupt bemessen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/352>, abgerufen am 28.07.2024.