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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die große Kunstausstellung in Berlin

Vollendete, in Berlin ausgestellte Werke gelehrt: das Bildnis des Prinz¬
regenten Luitpold von Bayern und das des "Generals" Booth. Bei dem
ersten wird man sich daran erinnern, daß Herkomer ein geborner Bayer ist,
und daß seine Kunst trotz seiner englischen Erziehung und seiner englischen
Lebensgewohnheiten und -Anschauungen doch einen deutschen Charakter und
vor allem deutsche Gesundheit behalten hat. Indem er die Gestalt des Prinz¬
regenten mit einem warmen Goldton umgab, scheint es fast, als habe er mit
Rembrandt, zum mindesten aber mit Lenbach wetteifern wollen, und wie hoch
man auch diesen als Ergründer der menschlichen Seele schätzen mag -- als
Koloristen hat ihn Herkomer mit diesem Bilde jedenfalls übertroffen, und eine
so vornehme Auffassung, wie sie Herkomer hier gezeigt hat, trifft man bei
Lenbach selten. Bei dem Bildnis des wunderlichen Heiligen Booth fesselt
nicht so sehr das Kolorit, das hier freilich keine großen Reize entfalten konnte,
als die Schärfe der Charakteristik, die wie eine Offenbarung ans uns wirkt.
Aus dem seltsamen Gemisch von Schlauheit, Energie, vertrauenerweckenden
Wohlwollen und bis zum Fanatismus gesteigerter Glaubensfreudigkeit, das
uns aus diesen verwitterten Zügen entgegenblickt, begreifen wir wohl, wie es
diesem Manne gelingen konnte, viele Tausende, ja Millionen von Menschen am
Narreuseile zu lenken und sie daran festzuhalten.

Die Schotten, die vor sieben Jahren beinahe eine Revolution in der
deutschen Kunst hervorgerufen, aber glücklicherweise nur ein paar Schwachköpfe
um den letzten Rest ihres Verstandes gebracht haben, sind von der Bildfläche
der deutschen Ausstellungen fast ganz verschwunden. Nachdem sich die deutschen
Künstler von ihrem ersten Schrecken erholt hatten, haben sie den Glasgower
doz^s bald die Geheimnisse ihrer verblüffenden Kunst abgelernt, und als mau
den Mut faßte, sie in ihre Elemente zu zerlegen, fand man, daß die Glas¬
gower nur eine alte Weisheit mit einem aus bunten Lappen zusammengesetzten
Kleide maskirt hatten. Schon vor dreihundert Jahren haben die Holländer
ebenso tief wie sie und noch tiefer in die Naturseele hineingeschaut, und je be¬
scheidner, anspruchsloser, armseliger der Naturausschnitt war, an dem sie ihre
große Kunst erprobten, desto größere Triumphe stierten sie. Auch das bunte
Modekleid hatten die Schotten von den Impressionisten und Naturalisten ge¬
liehen, die allerdings -- das wollen wir unsrer Zeit gern zugestehen -- eine
im wesentlichen moderne Erscheinung sind.

Wenn wir von dem Berliner Max Liebermann, in dessen Kunst wir
übrigens nicht einen einzigen germanischen Zug zu erkennen vermögen, und den
wir deshalb willig dem Auslande, insbesondre den Franzosen überlassen, und
von seinen Gefolgsmännern absehen, scheinen Impressionisten und Naturalisten
gegenwärtig in Belgien und Holland den größten Anhang zu haben. Die
Schlimmsten unter ihnen, wie z. B. der Amsterdamer Vreitner, der Maler von
Straßenbildern aus holländischen Städten, sind in Berlin allerdings nicht ver-


Die große Kunstausstellung in Berlin

Vollendete, in Berlin ausgestellte Werke gelehrt: das Bildnis des Prinz¬
regenten Luitpold von Bayern und das des „Generals" Booth. Bei dem
ersten wird man sich daran erinnern, daß Herkomer ein geborner Bayer ist,
und daß seine Kunst trotz seiner englischen Erziehung und seiner englischen
Lebensgewohnheiten und -Anschauungen doch einen deutschen Charakter und
vor allem deutsche Gesundheit behalten hat. Indem er die Gestalt des Prinz¬
regenten mit einem warmen Goldton umgab, scheint es fast, als habe er mit
Rembrandt, zum mindesten aber mit Lenbach wetteifern wollen, und wie hoch
man auch diesen als Ergründer der menschlichen Seele schätzen mag — als
Koloristen hat ihn Herkomer mit diesem Bilde jedenfalls übertroffen, und eine
so vornehme Auffassung, wie sie Herkomer hier gezeigt hat, trifft man bei
Lenbach selten. Bei dem Bildnis des wunderlichen Heiligen Booth fesselt
nicht so sehr das Kolorit, das hier freilich keine großen Reize entfalten konnte,
als die Schärfe der Charakteristik, die wie eine Offenbarung ans uns wirkt.
Aus dem seltsamen Gemisch von Schlauheit, Energie, vertrauenerweckenden
Wohlwollen und bis zum Fanatismus gesteigerter Glaubensfreudigkeit, das
uns aus diesen verwitterten Zügen entgegenblickt, begreifen wir wohl, wie es
diesem Manne gelingen konnte, viele Tausende, ja Millionen von Menschen am
Narreuseile zu lenken und sie daran festzuhalten.

Die Schotten, die vor sieben Jahren beinahe eine Revolution in der
deutschen Kunst hervorgerufen, aber glücklicherweise nur ein paar Schwachköpfe
um den letzten Rest ihres Verstandes gebracht haben, sind von der Bildfläche
der deutschen Ausstellungen fast ganz verschwunden. Nachdem sich die deutschen
Künstler von ihrem ersten Schrecken erholt hatten, haben sie den Glasgower
doz^s bald die Geheimnisse ihrer verblüffenden Kunst abgelernt, und als mau
den Mut faßte, sie in ihre Elemente zu zerlegen, fand man, daß die Glas¬
gower nur eine alte Weisheit mit einem aus bunten Lappen zusammengesetzten
Kleide maskirt hatten. Schon vor dreihundert Jahren haben die Holländer
ebenso tief wie sie und noch tiefer in die Naturseele hineingeschaut, und je be¬
scheidner, anspruchsloser, armseliger der Naturausschnitt war, an dem sie ihre
große Kunst erprobten, desto größere Triumphe stierten sie. Auch das bunte
Modekleid hatten die Schotten von den Impressionisten und Naturalisten ge¬
liehen, die allerdings — das wollen wir unsrer Zeit gern zugestehen — eine
im wesentlichen moderne Erscheinung sind.

Wenn wir von dem Berliner Max Liebermann, in dessen Kunst wir
übrigens nicht einen einzigen germanischen Zug zu erkennen vermögen, und den
wir deshalb willig dem Auslande, insbesondre den Franzosen überlassen, und
von seinen Gefolgsmännern absehen, scheinen Impressionisten und Naturalisten
gegenwärtig in Belgien und Holland den größten Anhang zu haben. Die
Schlimmsten unter ihnen, wie z. B. der Amsterdamer Vreitner, der Maler von
Straßenbildern aus holländischen Städten, sind in Berlin allerdings nicht ver-


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[0034] Die große Kunstausstellung in Berlin Vollendete, in Berlin ausgestellte Werke gelehrt: das Bildnis des Prinz¬ regenten Luitpold von Bayern und das des „Generals" Booth. Bei dem ersten wird man sich daran erinnern, daß Herkomer ein geborner Bayer ist, und daß seine Kunst trotz seiner englischen Erziehung und seiner englischen Lebensgewohnheiten und -Anschauungen doch einen deutschen Charakter und vor allem deutsche Gesundheit behalten hat. Indem er die Gestalt des Prinz¬ regenten mit einem warmen Goldton umgab, scheint es fast, als habe er mit Rembrandt, zum mindesten aber mit Lenbach wetteifern wollen, und wie hoch man auch diesen als Ergründer der menschlichen Seele schätzen mag — als Koloristen hat ihn Herkomer mit diesem Bilde jedenfalls übertroffen, und eine so vornehme Auffassung, wie sie Herkomer hier gezeigt hat, trifft man bei Lenbach selten. Bei dem Bildnis des wunderlichen Heiligen Booth fesselt nicht so sehr das Kolorit, das hier freilich keine großen Reize entfalten konnte, als die Schärfe der Charakteristik, die wie eine Offenbarung ans uns wirkt. Aus dem seltsamen Gemisch von Schlauheit, Energie, vertrauenerweckenden Wohlwollen und bis zum Fanatismus gesteigerter Glaubensfreudigkeit, das uns aus diesen verwitterten Zügen entgegenblickt, begreifen wir wohl, wie es diesem Manne gelingen konnte, viele Tausende, ja Millionen von Menschen am Narreuseile zu lenken und sie daran festzuhalten. Die Schotten, die vor sieben Jahren beinahe eine Revolution in der deutschen Kunst hervorgerufen, aber glücklicherweise nur ein paar Schwachköpfe um den letzten Rest ihres Verstandes gebracht haben, sind von der Bildfläche der deutschen Ausstellungen fast ganz verschwunden. Nachdem sich die deutschen Künstler von ihrem ersten Schrecken erholt hatten, haben sie den Glasgower doz^s bald die Geheimnisse ihrer verblüffenden Kunst abgelernt, und als mau den Mut faßte, sie in ihre Elemente zu zerlegen, fand man, daß die Glas¬ gower nur eine alte Weisheit mit einem aus bunten Lappen zusammengesetzten Kleide maskirt hatten. Schon vor dreihundert Jahren haben die Holländer ebenso tief wie sie und noch tiefer in die Naturseele hineingeschaut, und je be¬ scheidner, anspruchsloser, armseliger der Naturausschnitt war, an dem sie ihre große Kunst erprobten, desto größere Triumphe stierten sie. Auch das bunte Modekleid hatten die Schotten von den Impressionisten und Naturalisten ge¬ liehen, die allerdings — das wollen wir unsrer Zeit gern zugestehen — eine im wesentlichen moderne Erscheinung sind. Wenn wir von dem Berliner Max Liebermann, in dessen Kunst wir übrigens nicht einen einzigen germanischen Zug zu erkennen vermögen, und den wir deshalb willig dem Auslande, insbesondre den Franzosen überlassen, und von seinen Gefolgsmännern absehen, scheinen Impressionisten und Naturalisten gegenwärtig in Belgien und Holland den größten Anhang zu haben. Die Schlimmsten unter ihnen, wie z. B. der Amsterdamer Vreitner, der Maler von Straßenbildern aus holländischen Städten, sind in Berlin allerdings nicht ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/34>, abgerufen am 01.09.2024.