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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano

Ein zierliches, aber kräftiges und ausdauerndes Pferd brachte uns im
Einspänner zunächst auf derselben Straße, auf der wir gekommen waren, nach
Jsolci hinunter. Es war noch früh am Morgen, aber schon herrschte in dem
Städtchen ein reges, festliches Treiben. Auf dem Markte spielte inmitten des
bunten Gewühls von Einheimischen und Landleuten eine rotkostümirte Musik¬
bande; das Gedränge war so dicht, daß unser Wagen in Nebenstraßen einbiegen
mußte. Die nun folgende Fahrt in westlicher Richtung war ebenso reizvoll
wie die am ersten Osterfeiertcige, nur waren die Bilder, die sie bot, wieder
wesentlich andrer Art. Zunächst kamen wir an dem hochgelegnen Castelliri
vorbei, das nach der Straße zu von einer Mauer umfaßt ist. Buntgekleidete
Frauengestalten saßen auf der Brüstung. Dann ging es durch gesegnetes Acker¬
land. Trotz des Feiertags waren hier viele Hände geschäftig: man. benutzte
das herrliche Wetter zur Aussaat. stämmige Volsker schritten hinter wuch¬
tigen Pflugscharen, die an die aus dem Altertum überlieferten Formen er¬
innerten. Die Pflüge waren nicht so breit wie die germanischen, aber länger
und jedenfalls viel wirksamer als der leichte slawische Hakenpflug.

Einen ganz besondern Genuß bot der Anblick der pflügenden Rinder.
Glatt und silbergrau wandelten sie majestätisch durch das duftende braune
Erdreich im Schmucke ihrer herrlichen, weit klafternden, gewundnen Hörner.
Keine deutsche Rasse kann sich mit diesen echten Abkömmlingen der altita¬
lischen Rinder an Schönheit messen. Der Unterschied trat schon im Altertum
hervor; denn Tacitus (Lssrllmnm 5) sagt von den deutschen Rindern mit feiner
Tonmalerei us g.rllisntiL eMclsw, suus ncmor g,ut- g'lorig, trontis. So schreibt
nur einer auf Grund eigner Beobachtung; dieser eine Satz würde genügen
zum Beweis, daß Tacitus selbst in Germanien gewesen ist. Die wackern
Pflüger, denen wir zusahen, waren wohl ehemalige Kolonen der großen Abtei
Casamari, der wir uns näherten. Bald sahen wir den stattlichen Gebäude-
komplex selbst. Der Ursprung von Casamari geht in dieselbe Zeit zurück wie
der von San Domenico, in den Anfang des elften Jahrhunderts, als man
Christi Wiederkehr und sein Strafgericht erwartete, und als die sogenannten
cluniacensischen Ideen die christliche Welt der Kirche zu unterwerfen begannen.
Im Jahre 1005 zogen fromme Priester aus der nahen Stadt Veroli nach
einer wüsten Stätte voll antiker Ruinen und voll Gestrüpp, die den Namen
Casae Marii trug, weil der Ort einst dem berühmten Sieger der Cimbern und
Teutonen gehört hatte und wohl auch seine Heimat war.*)



Mit welchem Rechte Gregorovius Wanderjahre II, 224 behauptet, "Marius war ein
Sohn des Bergs, oben in Arpinum auf den Mauern der Cyklopen geboren," weiß ich nicht-
Als Marius Heimat im engern Sinne gilt nicht die Stadt Arpinum, sondern ihr ländlicher
Bezirk, und zwar das Dorf Cereatae (Plutarch, Marius 3), das Strabo in der Form
mit Sora unter den ladinischen Gemeinden nennt. Auch der ultor ooloui-drum berichtet:
OroÄtiw U"riaug,s muvicixium: kamili" L-u Nsrii obsiä<zi>a,t: xostss, u, Vru8o Laosaro
militidus se ixsius ka-millas ost "äsiArmtum, . .
Frühlingstage am Garigliano

Ein zierliches, aber kräftiges und ausdauerndes Pferd brachte uns im
Einspänner zunächst auf derselben Straße, auf der wir gekommen waren, nach
Jsolci hinunter. Es war noch früh am Morgen, aber schon herrschte in dem
Städtchen ein reges, festliches Treiben. Auf dem Markte spielte inmitten des
bunten Gewühls von Einheimischen und Landleuten eine rotkostümirte Musik¬
bande; das Gedränge war so dicht, daß unser Wagen in Nebenstraßen einbiegen
mußte. Die nun folgende Fahrt in westlicher Richtung war ebenso reizvoll
wie die am ersten Osterfeiertcige, nur waren die Bilder, die sie bot, wieder
wesentlich andrer Art. Zunächst kamen wir an dem hochgelegnen Castelliri
vorbei, das nach der Straße zu von einer Mauer umfaßt ist. Buntgekleidete
Frauengestalten saßen auf der Brüstung. Dann ging es durch gesegnetes Acker¬
land. Trotz des Feiertags waren hier viele Hände geschäftig: man. benutzte
das herrliche Wetter zur Aussaat. stämmige Volsker schritten hinter wuch¬
tigen Pflugscharen, die an die aus dem Altertum überlieferten Formen er¬
innerten. Die Pflüge waren nicht so breit wie die germanischen, aber länger
und jedenfalls viel wirksamer als der leichte slawische Hakenpflug.

Einen ganz besondern Genuß bot der Anblick der pflügenden Rinder.
Glatt und silbergrau wandelten sie majestätisch durch das duftende braune
Erdreich im Schmucke ihrer herrlichen, weit klafternden, gewundnen Hörner.
Keine deutsche Rasse kann sich mit diesen echten Abkömmlingen der altita¬
lischen Rinder an Schönheit messen. Der Unterschied trat schon im Altertum
hervor; denn Tacitus (Lssrllmnm 5) sagt von den deutschen Rindern mit feiner
Tonmalerei us g.rllisntiL eMclsw, suus ncmor g,ut- g'lorig, trontis. So schreibt
nur einer auf Grund eigner Beobachtung; dieser eine Satz würde genügen
zum Beweis, daß Tacitus selbst in Germanien gewesen ist. Die wackern
Pflüger, denen wir zusahen, waren wohl ehemalige Kolonen der großen Abtei
Casamari, der wir uns näherten. Bald sahen wir den stattlichen Gebäude-
komplex selbst. Der Ursprung von Casamari geht in dieselbe Zeit zurück wie
der von San Domenico, in den Anfang des elften Jahrhunderts, als man
Christi Wiederkehr und sein Strafgericht erwartete, und als die sogenannten
cluniacensischen Ideen die christliche Welt der Kirche zu unterwerfen begannen.
Im Jahre 1005 zogen fromme Priester aus der nahen Stadt Veroli nach
einer wüsten Stätte voll antiker Ruinen und voll Gestrüpp, die den Namen
Casae Marii trug, weil der Ort einst dem berühmten Sieger der Cimbern und
Teutonen gehört hatte und wohl auch seine Heimat war.*)



Mit welchem Rechte Gregorovius Wanderjahre II, 224 behauptet, „Marius war ein
Sohn des Bergs, oben in Arpinum auf den Mauern der Cyklopen geboren," weiß ich nicht-
Als Marius Heimat im engern Sinne gilt nicht die Stadt Arpinum, sondern ihr ländlicher
Bezirk, und zwar das Dorf Cereatae (Plutarch, Marius 3), das Strabo in der Form
mit Sora unter den ladinischen Gemeinden nennt. Auch der ultor ooloui-drum berichtet:
OroÄtiw U»riaug,s muvicixium: kamili» L-u Nsrii obsiä<zi>a,t: xostss, u, Vru8o Laosaro
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[0322] Frühlingstage am Garigliano Ein zierliches, aber kräftiges und ausdauerndes Pferd brachte uns im Einspänner zunächst auf derselben Straße, auf der wir gekommen waren, nach Jsolci hinunter. Es war noch früh am Morgen, aber schon herrschte in dem Städtchen ein reges, festliches Treiben. Auf dem Markte spielte inmitten des bunten Gewühls von Einheimischen und Landleuten eine rotkostümirte Musik¬ bande; das Gedränge war so dicht, daß unser Wagen in Nebenstraßen einbiegen mußte. Die nun folgende Fahrt in westlicher Richtung war ebenso reizvoll wie die am ersten Osterfeiertcige, nur waren die Bilder, die sie bot, wieder wesentlich andrer Art. Zunächst kamen wir an dem hochgelegnen Castelliri vorbei, das nach der Straße zu von einer Mauer umfaßt ist. Buntgekleidete Frauengestalten saßen auf der Brüstung. Dann ging es durch gesegnetes Acker¬ land. Trotz des Feiertags waren hier viele Hände geschäftig: man. benutzte das herrliche Wetter zur Aussaat. stämmige Volsker schritten hinter wuch¬ tigen Pflugscharen, die an die aus dem Altertum überlieferten Formen er¬ innerten. Die Pflüge waren nicht so breit wie die germanischen, aber länger und jedenfalls viel wirksamer als der leichte slawische Hakenpflug. Einen ganz besondern Genuß bot der Anblick der pflügenden Rinder. Glatt und silbergrau wandelten sie majestätisch durch das duftende braune Erdreich im Schmucke ihrer herrlichen, weit klafternden, gewundnen Hörner. Keine deutsche Rasse kann sich mit diesen echten Abkömmlingen der altita¬ lischen Rinder an Schönheit messen. Der Unterschied trat schon im Altertum hervor; denn Tacitus (Lssrllmnm 5) sagt von den deutschen Rindern mit feiner Tonmalerei us g.rllisntiL eMclsw, suus ncmor g,ut- g'lorig, trontis. So schreibt nur einer auf Grund eigner Beobachtung; dieser eine Satz würde genügen zum Beweis, daß Tacitus selbst in Germanien gewesen ist. Die wackern Pflüger, denen wir zusahen, waren wohl ehemalige Kolonen der großen Abtei Casamari, der wir uns näherten. Bald sahen wir den stattlichen Gebäude- komplex selbst. Der Ursprung von Casamari geht in dieselbe Zeit zurück wie der von San Domenico, in den Anfang des elften Jahrhunderts, als man Christi Wiederkehr und sein Strafgericht erwartete, und als die sogenannten cluniacensischen Ideen die christliche Welt der Kirche zu unterwerfen begannen. Im Jahre 1005 zogen fromme Priester aus der nahen Stadt Veroli nach einer wüsten Stätte voll antiker Ruinen und voll Gestrüpp, die den Namen Casae Marii trug, weil der Ort einst dem berühmten Sieger der Cimbern und Teutonen gehört hatte und wohl auch seine Heimat war.*) Mit welchem Rechte Gregorovius Wanderjahre II, 224 behauptet, „Marius war ein Sohn des Bergs, oben in Arpinum auf den Mauern der Cyklopen geboren," weiß ich nicht- Als Marius Heimat im engern Sinne gilt nicht die Stadt Arpinum, sondern ihr ländlicher Bezirk, und zwar das Dorf Cereatae (Plutarch, Marius 3), das Strabo in der Form mit Sora unter den ladinischen Gemeinden nennt. Auch der ultor ooloui-drum berichtet: OroÄtiw U»riaug,s muvicixium: kamili» L-u Nsrii obsiä<zi>a,t: xostss, u, Vru8o Laosaro militidus se ixsius ka-millas ost »äsiArmtum, . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/322>, abgerufen am 28.07.2024.