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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Verhandlungen des nennten Evangelisch-sozialen Aongresses

Register bei den Amtsgerichten eingetragen werden. Doch hätten die Verwal¬
tungsbehörden ein Einspruchsrecht dagegen. Möglich sei es aber, daß unter
dem Bürgerlichen Gesetzbuch auch den Vereinen, die keine Rechtsfähigkeit er¬
langen könnten, eine gesicherte Rechtsstellung durch die Anwendung der Vor¬
schriften über Gesellschaften gegeben werde. Aber es würden damit nicht alle
praktischen Vorteile, die die Rechtsfähigkeit gewährt, erreicht, und es müsse
das Vereinsstatnt immerhin in etwas künstlicher Weise geordnet sein-

Stieda hat damit selbst am besten den Beweis geführt, daß das, was
heute fehlt, d. h. der Inhalt seiner Forderung und seiner Beschwerde überhaupt,
von sehr geringer praktischer Bedeutung ist, und das wurde ihm aus der Ver¬
sammlung heraus durch den Praktiker Tischendörfer auf das bündigste be¬
stätigt, der wörtlich sagte: "Nun wird ein großer Wert darauf gelegt, die
Berufsorganisationen rechtsfähig zu machen, und man glaubt, man habe ihnen
dann eine Ausstattung gegeben, mit der sie auf Jahrzehnte hinaus auskommen
können. Ich hege diese Hoffnung nicht. Heute schon zeigt sich, daß der Verein,
der Korporationsrechte hat, einen wesentlichen Vorrang vor solchen, die sie
nicht haben, nicht hat. Wir haben bereits Organisationen, ich erinnere an den
Buchdruckerverband, der anderthalb Millionen Mark Vermögen, jährlich einen
kolossalen Umsatz, Unterstützungs- und Reisegelder hat, der ganz gut funktionirt
ohne Korporationsrechte."

Stieda hat seiner Beschwerde über den Rechtszustand nun freilich noch
den Satz hinzugefügt: "Vor allen Dingen aber bliebe das eine doch bestehen,
daß die Gleichberechtigung der Arbeitervereine in Frage gezogen würde, das
aber wird auf die Dauer nicht nur in der Arbeiterwelt, sondern in allen billig
denkenden Kreisen als eine Ungerechtigkeit empfunden werden." Es ist natürlich
zuzugeben, daß eine rührige Agitation eine solche Empfindung in den Arbeiter¬
kreisen thatsächlich wachrufen kann; in billig und gerecht denkenden Kreisen aber
auf die Dauer niemals. Denn diese Empfindung wäre eben irrig und un¬
begründet, ungerecht gegenüber der heutigen Rechtslage. Nicht nur, daß, was
nach Stieda dieser fehlt, praktisch kaum der Rede wert ist, so fehlt ganz das¬
selbe doch vor allem nicht etwa nur den Arbeitervereinen, vielmehr, wie der
Vortragende kurz vorher selbst gesagt hatte, allen den Vereinen, "die allein
oder neben einem wirtschaftlichen Zwecke gesellige, religiöse, wissenschaftliche,
sittliche, sozialpolitische und dergleichen Zwecke verfolgen."

Auf einem andern Felde liegt es, wenn Stieda dann endlich noch zur
Unterstützung seiner Beschwerde beklagt, daß das thatsächliche Verhalten der
Unternehmer den Arbeitervereinen gegenüber vielfach die Vereinsbildung hindre
und die Vereinswirksamkeit lähme. Seit die Gesetzgebung die frühern Koalitions¬
verbote aufgehoben habe -- das erkannte er wiederum an --, seien derartige
Vereinigungen erlaubt. Aber doch könne man es dem Unternehmer nicht ver¬
wehren, Arbeiter, die ihnen angehören, zu "maßregeln." Sie schlossen sie


Die Verhandlungen des nennten Evangelisch-sozialen Aongresses

Register bei den Amtsgerichten eingetragen werden. Doch hätten die Verwal¬
tungsbehörden ein Einspruchsrecht dagegen. Möglich sei es aber, daß unter
dem Bürgerlichen Gesetzbuch auch den Vereinen, die keine Rechtsfähigkeit er¬
langen könnten, eine gesicherte Rechtsstellung durch die Anwendung der Vor¬
schriften über Gesellschaften gegeben werde. Aber es würden damit nicht alle
praktischen Vorteile, die die Rechtsfähigkeit gewährt, erreicht, und es müsse
das Vereinsstatnt immerhin in etwas künstlicher Weise geordnet sein-

Stieda hat damit selbst am besten den Beweis geführt, daß das, was
heute fehlt, d. h. der Inhalt seiner Forderung und seiner Beschwerde überhaupt,
von sehr geringer praktischer Bedeutung ist, und das wurde ihm aus der Ver¬
sammlung heraus durch den Praktiker Tischendörfer auf das bündigste be¬
stätigt, der wörtlich sagte: „Nun wird ein großer Wert darauf gelegt, die
Berufsorganisationen rechtsfähig zu machen, und man glaubt, man habe ihnen
dann eine Ausstattung gegeben, mit der sie auf Jahrzehnte hinaus auskommen
können. Ich hege diese Hoffnung nicht. Heute schon zeigt sich, daß der Verein,
der Korporationsrechte hat, einen wesentlichen Vorrang vor solchen, die sie
nicht haben, nicht hat. Wir haben bereits Organisationen, ich erinnere an den
Buchdruckerverband, der anderthalb Millionen Mark Vermögen, jährlich einen
kolossalen Umsatz, Unterstützungs- und Reisegelder hat, der ganz gut funktionirt
ohne Korporationsrechte."

Stieda hat seiner Beschwerde über den Rechtszustand nun freilich noch
den Satz hinzugefügt: „Vor allen Dingen aber bliebe das eine doch bestehen,
daß die Gleichberechtigung der Arbeitervereine in Frage gezogen würde, das
aber wird auf die Dauer nicht nur in der Arbeiterwelt, sondern in allen billig
denkenden Kreisen als eine Ungerechtigkeit empfunden werden." Es ist natürlich
zuzugeben, daß eine rührige Agitation eine solche Empfindung in den Arbeiter¬
kreisen thatsächlich wachrufen kann; in billig und gerecht denkenden Kreisen aber
auf die Dauer niemals. Denn diese Empfindung wäre eben irrig und un¬
begründet, ungerecht gegenüber der heutigen Rechtslage. Nicht nur, daß, was
nach Stieda dieser fehlt, praktisch kaum der Rede wert ist, so fehlt ganz das¬
selbe doch vor allem nicht etwa nur den Arbeitervereinen, vielmehr, wie der
Vortragende kurz vorher selbst gesagt hatte, allen den Vereinen, „die allein
oder neben einem wirtschaftlichen Zwecke gesellige, religiöse, wissenschaftliche,
sittliche, sozialpolitische und dergleichen Zwecke verfolgen."

Auf einem andern Felde liegt es, wenn Stieda dann endlich noch zur
Unterstützung seiner Beschwerde beklagt, daß das thatsächliche Verhalten der
Unternehmer den Arbeitervereinen gegenüber vielfach die Vereinsbildung hindre
und die Vereinswirksamkeit lähme. Seit die Gesetzgebung die frühern Koalitions¬
verbote aufgehoben habe — das erkannte er wiederum an —, seien derartige
Vereinigungen erlaubt. Aber doch könne man es dem Unternehmer nicht ver¬
wehren, Arbeiter, die ihnen angehören, zu „maßregeln." Sie schlossen sie


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[0301] Die Verhandlungen des nennten Evangelisch-sozialen Aongresses Register bei den Amtsgerichten eingetragen werden. Doch hätten die Verwal¬ tungsbehörden ein Einspruchsrecht dagegen. Möglich sei es aber, daß unter dem Bürgerlichen Gesetzbuch auch den Vereinen, die keine Rechtsfähigkeit er¬ langen könnten, eine gesicherte Rechtsstellung durch die Anwendung der Vor¬ schriften über Gesellschaften gegeben werde. Aber es würden damit nicht alle praktischen Vorteile, die die Rechtsfähigkeit gewährt, erreicht, und es müsse das Vereinsstatnt immerhin in etwas künstlicher Weise geordnet sein- Stieda hat damit selbst am besten den Beweis geführt, daß das, was heute fehlt, d. h. der Inhalt seiner Forderung und seiner Beschwerde überhaupt, von sehr geringer praktischer Bedeutung ist, und das wurde ihm aus der Ver¬ sammlung heraus durch den Praktiker Tischendörfer auf das bündigste be¬ stätigt, der wörtlich sagte: „Nun wird ein großer Wert darauf gelegt, die Berufsorganisationen rechtsfähig zu machen, und man glaubt, man habe ihnen dann eine Ausstattung gegeben, mit der sie auf Jahrzehnte hinaus auskommen können. Ich hege diese Hoffnung nicht. Heute schon zeigt sich, daß der Verein, der Korporationsrechte hat, einen wesentlichen Vorrang vor solchen, die sie nicht haben, nicht hat. Wir haben bereits Organisationen, ich erinnere an den Buchdruckerverband, der anderthalb Millionen Mark Vermögen, jährlich einen kolossalen Umsatz, Unterstützungs- und Reisegelder hat, der ganz gut funktionirt ohne Korporationsrechte." Stieda hat seiner Beschwerde über den Rechtszustand nun freilich noch den Satz hinzugefügt: „Vor allen Dingen aber bliebe das eine doch bestehen, daß die Gleichberechtigung der Arbeitervereine in Frage gezogen würde, das aber wird auf die Dauer nicht nur in der Arbeiterwelt, sondern in allen billig denkenden Kreisen als eine Ungerechtigkeit empfunden werden." Es ist natürlich zuzugeben, daß eine rührige Agitation eine solche Empfindung in den Arbeiter¬ kreisen thatsächlich wachrufen kann; in billig und gerecht denkenden Kreisen aber auf die Dauer niemals. Denn diese Empfindung wäre eben irrig und un¬ begründet, ungerecht gegenüber der heutigen Rechtslage. Nicht nur, daß, was nach Stieda dieser fehlt, praktisch kaum der Rede wert ist, so fehlt ganz das¬ selbe doch vor allem nicht etwa nur den Arbeitervereinen, vielmehr, wie der Vortragende kurz vorher selbst gesagt hatte, allen den Vereinen, „die allein oder neben einem wirtschaftlichen Zwecke gesellige, religiöse, wissenschaftliche, sittliche, sozialpolitische und dergleichen Zwecke verfolgen." Auf einem andern Felde liegt es, wenn Stieda dann endlich noch zur Unterstützung seiner Beschwerde beklagt, daß das thatsächliche Verhalten der Unternehmer den Arbeitervereinen gegenüber vielfach die Vereinsbildung hindre und die Vereinswirksamkeit lähme. Seit die Gesetzgebung die frühern Koalitions¬ verbote aufgehoben habe — das erkannte er wiederum an —, seien derartige Vereinigungen erlaubt. Aber doch könne man es dem Unternehmer nicht ver¬ wehren, Arbeiter, die ihnen angehören, zu „maßregeln." Sie schlossen sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/301>, abgerufen am 28.07.2024.