Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die große Kunstausstellung in Berlin

Als man die Namen prüfte, fand man, daß es dieselben waren, die, ohne in
ihren Interessen selbst geschädigt zu werden, doch immer dabei sind, die Har¬
monie in der Berliner Künstlerschaft zu stören und eine ähnliche Erscheinung
wie die der Münchner Sezession herbeizuführen. Daß sie für die Zurück¬
gewiesenen ganz und gar nichts erreicht haben, werden diese inzwischen zu ihrer
Enttäuschung gefühlt haben. Keine öffentliche Ausstellung der zurückgewiesenen
Bilder, kein öffentlicher Protest -- was in der scharfen Aprilluft kühn unter¬
nommen wurde, ist in der Juniwärme eingeschlafen. Die Reisezeit ist ge¬
kommen, und da die mächtigen Förderer des Naturalismus Berlin den Rücken
gekehrt haben, müssen die Zurückgewiesenen schweigen, weil sie aus Diskretion
ihre Sache nicht selbst führen können. Ein Porträtmaler, der Unglück gehabt
hat, muß das mit der von ihm verlangten gesellschaftlichen Gewandtheit
maskiren, und ein Kupferstecher oder Nadirer muß ebenfalls strenges Still¬
schweigen beobachten, wenn er nicht durch einen verschuldeten oder unverschul¬
deten Mißerfolg seine Auftraggeber, die bei der Lage des heutigen Kunstmarkts
nicht mehr unter den Vorständen der Kunstvereine, sondern hauptsächlich unter
den Kunsthändlern zu suchen sind, stutzig und mißtrauisch machen will.

Die Jury hat in diesem Jahre zum erstenmal den Versuch gemacht,
mehr die Klagen und Beschwerden des Publikums und der Presse, als die der
Künstler zu berücksichtigen. Man hat mit Recht darüber geklagt, daß der
Laie, der die vielen großen und kleinen Räume des Ausstellungsgebäudes
durchwandert, einen wirklichen Kunstgenuß mit unverhältnismäßigen körper¬
lichen Beschwerden erkaufen muß, und daß viele durch vorzeitige Ermüdung
abgeschreckt werden, alle Räume zu durchmustern, und dadurch oft um die Be¬
sichtigung von Kunstwerken gebracht werden, die den Besuch der Ausstellung
gelohnt hätten. Man hat immer nachdrücklicher nach beschränkten Ausstellungen
verlangt, in denen das Gute nicht von der Mittelmäßigkeit erdrückt werde,
und gerade Künstler sind es gewesen, die diese Forderung als berechtigt an¬
erkannt und durchgeführt haben. Es waren die "Sezessionisten" in München,
die aber diese Frage insofern einseitig behandelten, als sie unter der Mittel¬
mäßigkeit nur die Werke der Künstler verstanden, die nicht zu ihrer Vereinigung
gehörten. Es scheint, daß sich auch in Berlin der ganze Streit um diesen
Punkt dreht. Die Jury hat, wie eines ihrer Mitglieder in einer verlangten
Zuschrift an das erwähnte Lokalblatt erklärt hat, eine kleine "Eliteausstellung"
veranstalten wollen, um einen behaglichen Kunstgenuß zu ermöglichen; aber sie
scheint bei ihrer Arbeit der Aussonderung und Beschränkung gerade die am
meisten getroffen zu haben, die, durch die Sonderausstellungen der gefälligen
Kunsthändler verwöhnt, hinter großen, hochtönenden Phrasen nur kleine,
nichtige Dinge verbergen. Es ist sogar angeblich vorgekommen, daß Werke
von Schülern dieser "Meister" Aufnahme gefunden haben, während Werke der
"Meister" selbst schnöde zurückgewiesen worden sind.


Die große Kunstausstellung in Berlin

Als man die Namen prüfte, fand man, daß es dieselben waren, die, ohne in
ihren Interessen selbst geschädigt zu werden, doch immer dabei sind, die Har¬
monie in der Berliner Künstlerschaft zu stören und eine ähnliche Erscheinung
wie die der Münchner Sezession herbeizuführen. Daß sie für die Zurück¬
gewiesenen ganz und gar nichts erreicht haben, werden diese inzwischen zu ihrer
Enttäuschung gefühlt haben. Keine öffentliche Ausstellung der zurückgewiesenen
Bilder, kein öffentlicher Protest — was in der scharfen Aprilluft kühn unter¬
nommen wurde, ist in der Juniwärme eingeschlafen. Die Reisezeit ist ge¬
kommen, und da die mächtigen Förderer des Naturalismus Berlin den Rücken
gekehrt haben, müssen die Zurückgewiesenen schweigen, weil sie aus Diskretion
ihre Sache nicht selbst führen können. Ein Porträtmaler, der Unglück gehabt
hat, muß das mit der von ihm verlangten gesellschaftlichen Gewandtheit
maskiren, und ein Kupferstecher oder Nadirer muß ebenfalls strenges Still¬
schweigen beobachten, wenn er nicht durch einen verschuldeten oder unverschul¬
deten Mißerfolg seine Auftraggeber, die bei der Lage des heutigen Kunstmarkts
nicht mehr unter den Vorständen der Kunstvereine, sondern hauptsächlich unter
den Kunsthändlern zu suchen sind, stutzig und mißtrauisch machen will.

Die Jury hat in diesem Jahre zum erstenmal den Versuch gemacht,
mehr die Klagen und Beschwerden des Publikums und der Presse, als die der
Künstler zu berücksichtigen. Man hat mit Recht darüber geklagt, daß der
Laie, der die vielen großen und kleinen Räume des Ausstellungsgebäudes
durchwandert, einen wirklichen Kunstgenuß mit unverhältnismäßigen körper¬
lichen Beschwerden erkaufen muß, und daß viele durch vorzeitige Ermüdung
abgeschreckt werden, alle Räume zu durchmustern, und dadurch oft um die Be¬
sichtigung von Kunstwerken gebracht werden, die den Besuch der Ausstellung
gelohnt hätten. Man hat immer nachdrücklicher nach beschränkten Ausstellungen
verlangt, in denen das Gute nicht von der Mittelmäßigkeit erdrückt werde,
und gerade Künstler sind es gewesen, die diese Forderung als berechtigt an¬
erkannt und durchgeführt haben. Es waren die „Sezessionisten" in München,
die aber diese Frage insofern einseitig behandelten, als sie unter der Mittel¬
mäßigkeit nur die Werke der Künstler verstanden, die nicht zu ihrer Vereinigung
gehörten. Es scheint, daß sich auch in Berlin der ganze Streit um diesen
Punkt dreht. Die Jury hat, wie eines ihrer Mitglieder in einer verlangten
Zuschrift an das erwähnte Lokalblatt erklärt hat, eine kleine „Eliteausstellung"
veranstalten wollen, um einen behaglichen Kunstgenuß zu ermöglichen; aber sie
scheint bei ihrer Arbeit der Aussonderung und Beschränkung gerade die am
meisten getroffen zu haben, die, durch die Sonderausstellungen der gefälligen
Kunsthändler verwöhnt, hinter großen, hochtönenden Phrasen nur kleine,
nichtige Dinge verbergen. Es ist sogar angeblich vorgekommen, daß Werke
von Schülern dieser „Meister" Aufnahme gefunden haben, während Werke der
„Meister" selbst schnöde zurückgewiesen worden sind.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228332"/>
          <fw type="header" place="top"> Die große Kunstausstellung in Berlin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_74" prev="#ID_73"> Als man die Namen prüfte, fand man, daß es dieselben waren, die, ohne in<lb/>
ihren Interessen selbst geschädigt zu werden, doch immer dabei sind, die Har¬<lb/>
monie in der Berliner Künstlerschaft zu stören und eine ähnliche Erscheinung<lb/>
wie die der Münchner Sezession herbeizuführen. Daß sie für die Zurück¬<lb/>
gewiesenen ganz und gar nichts erreicht haben, werden diese inzwischen zu ihrer<lb/>
Enttäuschung gefühlt haben. Keine öffentliche Ausstellung der zurückgewiesenen<lb/>
Bilder, kein öffentlicher Protest &#x2014; was in der scharfen Aprilluft kühn unter¬<lb/>
nommen wurde, ist in der Juniwärme eingeschlafen. Die Reisezeit ist ge¬<lb/>
kommen, und da die mächtigen Förderer des Naturalismus Berlin den Rücken<lb/>
gekehrt haben, müssen die Zurückgewiesenen schweigen, weil sie aus Diskretion<lb/>
ihre Sache nicht selbst führen können. Ein Porträtmaler, der Unglück gehabt<lb/>
hat, muß das mit der von ihm verlangten gesellschaftlichen Gewandtheit<lb/>
maskiren, und ein Kupferstecher oder Nadirer muß ebenfalls strenges Still¬<lb/>
schweigen beobachten, wenn er nicht durch einen verschuldeten oder unverschul¬<lb/>
deten Mißerfolg seine Auftraggeber, die bei der Lage des heutigen Kunstmarkts<lb/>
nicht mehr unter den Vorständen der Kunstvereine, sondern hauptsächlich unter<lb/>
den Kunsthändlern zu suchen sind, stutzig und mißtrauisch machen will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_75"> Die Jury hat in diesem Jahre zum erstenmal den Versuch gemacht,<lb/>
mehr die Klagen und Beschwerden des Publikums und der Presse, als die der<lb/>
Künstler zu berücksichtigen. Man hat mit Recht darüber geklagt, daß der<lb/>
Laie, der die vielen großen und kleinen Räume des Ausstellungsgebäudes<lb/>
durchwandert, einen wirklichen Kunstgenuß mit unverhältnismäßigen körper¬<lb/>
lichen Beschwerden erkaufen muß, und daß viele durch vorzeitige Ermüdung<lb/>
abgeschreckt werden, alle Räume zu durchmustern, und dadurch oft um die Be¬<lb/>
sichtigung von Kunstwerken gebracht werden, die den Besuch der Ausstellung<lb/>
gelohnt hätten. Man hat immer nachdrücklicher nach beschränkten Ausstellungen<lb/>
verlangt, in denen das Gute nicht von der Mittelmäßigkeit erdrückt werde,<lb/>
und gerade Künstler sind es gewesen, die diese Forderung als berechtigt an¬<lb/>
erkannt und durchgeführt haben. Es waren die &#x201E;Sezessionisten" in München,<lb/>
die aber diese Frage insofern einseitig behandelten, als sie unter der Mittel¬<lb/>
mäßigkeit nur die Werke der Künstler verstanden, die nicht zu ihrer Vereinigung<lb/>
gehörten. Es scheint, daß sich auch in Berlin der ganze Streit um diesen<lb/>
Punkt dreht. Die Jury hat, wie eines ihrer Mitglieder in einer verlangten<lb/>
Zuschrift an das erwähnte Lokalblatt erklärt hat, eine kleine &#x201E;Eliteausstellung"<lb/>
veranstalten wollen, um einen behaglichen Kunstgenuß zu ermöglichen; aber sie<lb/>
scheint bei ihrer Arbeit der Aussonderung und Beschränkung gerade die am<lb/>
meisten getroffen zu haben, die, durch die Sonderausstellungen der gefälligen<lb/>
Kunsthändler verwöhnt, hinter großen, hochtönenden Phrasen nur kleine,<lb/>
nichtige Dinge verbergen. Es ist sogar angeblich vorgekommen, daß Werke<lb/>
von Schülern dieser &#x201E;Meister" Aufnahme gefunden haben, während Werke der<lb/>
&#x201E;Meister" selbst schnöde zurückgewiesen worden sind.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0030] Die große Kunstausstellung in Berlin Als man die Namen prüfte, fand man, daß es dieselben waren, die, ohne in ihren Interessen selbst geschädigt zu werden, doch immer dabei sind, die Har¬ monie in der Berliner Künstlerschaft zu stören und eine ähnliche Erscheinung wie die der Münchner Sezession herbeizuführen. Daß sie für die Zurück¬ gewiesenen ganz und gar nichts erreicht haben, werden diese inzwischen zu ihrer Enttäuschung gefühlt haben. Keine öffentliche Ausstellung der zurückgewiesenen Bilder, kein öffentlicher Protest — was in der scharfen Aprilluft kühn unter¬ nommen wurde, ist in der Juniwärme eingeschlafen. Die Reisezeit ist ge¬ kommen, und da die mächtigen Förderer des Naturalismus Berlin den Rücken gekehrt haben, müssen die Zurückgewiesenen schweigen, weil sie aus Diskretion ihre Sache nicht selbst führen können. Ein Porträtmaler, der Unglück gehabt hat, muß das mit der von ihm verlangten gesellschaftlichen Gewandtheit maskiren, und ein Kupferstecher oder Nadirer muß ebenfalls strenges Still¬ schweigen beobachten, wenn er nicht durch einen verschuldeten oder unverschul¬ deten Mißerfolg seine Auftraggeber, die bei der Lage des heutigen Kunstmarkts nicht mehr unter den Vorständen der Kunstvereine, sondern hauptsächlich unter den Kunsthändlern zu suchen sind, stutzig und mißtrauisch machen will. Die Jury hat in diesem Jahre zum erstenmal den Versuch gemacht, mehr die Klagen und Beschwerden des Publikums und der Presse, als die der Künstler zu berücksichtigen. Man hat mit Recht darüber geklagt, daß der Laie, der die vielen großen und kleinen Räume des Ausstellungsgebäudes durchwandert, einen wirklichen Kunstgenuß mit unverhältnismäßigen körper¬ lichen Beschwerden erkaufen muß, und daß viele durch vorzeitige Ermüdung abgeschreckt werden, alle Räume zu durchmustern, und dadurch oft um die Be¬ sichtigung von Kunstwerken gebracht werden, die den Besuch der Ausstellung gelohnt hätten. Man hat immer nachdrücklicher nach beschränkten Ausstellungen verlangt, in denen das Gute nicht von der Mittelmäßigkeit erdrückt werde, und gerade Künstler sind es gewesen, die diese Forderung als berechtigt an¬ erkannt und durchgeführt haben. Es waren die „Sezessionisten" in München, die aber diese Frage insofern einseitig behandelten, als sie unter der Mittel¬ mäßigkeit nur die Werke der Künstler verstanden, die nicht zu ihrer Vereinigung gehörten. Es scheint, daß sich auch in Berlin der ganze Streit um diesen Punkt dreht. Die Jury hat, wie eines ihrer Mitglieder in einer verlangten Zuschrift an das erwähnte Lokalblatt erklärt hat, eine kleine „Eliteausstellung" veranstalten wollen, um einen behaglichen Kunstgenuß zu ermöglichen; aber sie scheint bei ihrer Arbeit der Aussonderung und Beschränkung gerade die am meisten getroffen zu haben, die, durch die Sonderausstellungen der gefälligen Kunsthändler verwöhnt, hinter großen, hochtönenden Phrasen nur kleine, nichtige Dinge verbergen. Es ist sogar angeblich vorgekommen, daß Werke von Schülern dieser „Meister" Aufnahme gefunden haben, während Werke der „Meister" selbst schnöde zurückgewiesen worden sind.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/30
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/30>, abgerufen am 01.09.2024.