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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano

grausamen Anjou auslieferte, und das Blutgericht zu Neapel vollendete" dann
das tragische Geschick des letzten Hohenstaufen.

Des Liris wurden wir erst ansichtig, als wir Capistrello erreichten. Es
ist eins der malerischsten Felsennester, die ich kenne. Schwarze Steinhäuser,
sensenförmig übereinander an die Felswand geklebt, alles in allem ein dunkler,
vielfingriger Klumpen, der die kühnsten Vorstellungen von Bergschloß und
Felsenkerker noch überbietet, so sahen wir den düstern Ort im schroffsten Gegen¬
satze zu dem klarblauen Himmel darüber und zu dem schneeigen Weiß und
zarten Not rings umher, das die aufgeblühten Kirsch- und Mandelbäume in
die Landschaft hineimnalten, und unten um den Stadtfelsen herum löste der
grüne Liris so frisch und gewaltig wie das wildeste Bergwasser im Kapruner
Thal. Von Capistrello an wird das Liristhal mit einem Schlage reizend und
vielgestaltig. Denn kaum ist das Staunen über die Lage und das Aussehen
dieser Ortschaft überwunden, so kommt schon ein neues Kabinettstück der Natur
und der mittelalterlichen Baukunst zugleich, Peseocanale, das mitten im Thale
auf einem isolirten Felsen thront und an Kühnheit der Konstruktion Capistrello
sast noch überbietet. Die folgenden Ortschaften haben ein freundlicheres Aus¬
sehen, da das Thal, obwohl noch eng, ihnen doch Platz läßt, sich über dem
Strom zu beiden Seiten der Straße anzusiedeln. Die beste Rast auf dieser
Strecke bietet Civitella Roveto, der Hauptort des obern Liristhals, das bis
gegen Sora hin auch den Namen Val ti Roveto sührt. Hier liegt links von
der Straße eine bescheidne Locanda mit einem Kramladen verbunden. Zwei
dunkeläugige Schwestern mit feingeschnittnen Gesichtern bewillkommnen uns,
einige junge Burschen, die hier nach der Kirche einen Schoppen Wein trinken,
sind uns behilflich, den Weg zur "bessern" Stube zu finden. Er führt durch
die von herrlichem altem Kupfergeschirr glänzende, mit blauem Holzrauch er¬
füllte Küche. In der bessern Stube ist kein Gerät als ein alter Tisch und
einige Strohstühle, aber die geöffneten Fensterladen lassen den Blick über herr¬
liche Wiesen voll Anemonen, Himmelschlüssel und Gänseblumen gleiten; bald
steht auch ein gutes Brot auf dem Tisch, dazu ein flaschenförmiger oaeio eg,VÄl1c>
-- Käse aus Stutenmilch -- und ein zwar nicht ganz Heller, aber trefflich
schmeckender Weißwein. Auch der Kutscher bekommt sein Teil von dem Mahle,
und die ganze Zehrung für drei Personen beträgt siebenundzwanzig Soldi, etwa
eine Mark.

Dann geht es weiter aus trefflicher Straße das herrliche Thal hinunter
durch eine zauberhaft schöne Landschaft. Unten am graugrünen Liris entlang
zieht sich ein blumiger Anger; darüber erheben sich terrassenartig sanft an¬
steigende Vorberge mit blühenden Fruchtbäumen bepflanzt; höher hinauf er¬
strecken sich grau- und violettfarbne Kalkfelsen, und darüber leuchtet der
blendendweiße Schnee des Monte Viglio und der Pizzodeta. Die Aussicht ist
um so schöner, da die Eichen, die unsern Weg begleiten, noch kein Laub haben.


Grenzboten III 1898 35
Frühlingstage am Garigliano

grausamen Anjou auslieferte, und das Blutgericht zu Neapel vollendete» dann
das tragische Geschick des letzten Hohenstaufen.

Des Liris wurden wir erst ansichtig, als wir Capistrello erreichten. Es
ist eins der malerischsten Felsennester, die ich kenne. Schwarze Steinhäuser,
sensenförmig übereinander an die Felswand geklebt, alles in allem ein dunkler,
vielfingriger Klumpen, der die kühnsten Vorstellungen von Bergschloß und
Felsenkerker noch überbietet, so sahen wir den düstern Ort im schroffsten Gegen¬
satze zu dem klarblauen Himmel darüber und zu dem schneeigen Weiß und
zarten Not rings umher, das die aufgeblühten Kirsch- und Mandelbäume in
die Landschaft hineimnalten, und unten um den Stadtfelsen herum löste der
grüne Liris so frisch und gewaltig wie das wildeste Bergwasser im Kapruner
Thal. Von Capistrello an wird das Liristhal mit einem Schlage reizend und
vielgestaltig. Denn kaum ist das Staunen über die Lage und das Aussehen
dieser Ortschaft überwunden, so kommt schon ein neues Kabinettstück der Natur
und der mittelalterlichen Baukunst zugleich, Peseocanale, das mitten im Thale
auf einem isolirten Felsen thront und an Kühnheit der Konstruktion Capistrello
sast noch überbietet. Die folgenden Ortschaften haben ein freundlicheres Aus¬
sehen, da das Thal, obwohl noch eng, ihnen doch Platz läßt, sich über dem
Strom zu beiden Seiten der Straße anzusiedeln. Die beste Rast auf dieser
Strecke bietet Civitella Roveto, der Hauptort des obern Liristhals, das bis
gegen Sora hin auch den Namen Val ti Roveto sührt. Hier liegt links von
der Straße eine bescheidne Locanda mit einem Kramladen verbunden. Zwei
dunkeläugige Schwestern mit feingeschnittnen Gesichtern bewillkommnen uns,
einige junge Burschen, die hier nach der Kirche einen Schoppen Wein trinken,
sind uns behilflich, den Weg zur „bessern" Stube zu finden. Er führt durch
die von herrlichem altem Kupfergeschirr glänzende, mit blauem Holzrauch er¬
füllte Küche. In der bessern Stube ist kein Gerät als ein alter Tisch und
einige Strohstühle, aber die geöffneten Fensterladen lassen den Blick über herr¬
liche Wiesen voll Anemonen, Himmelschlüssel und Gänseblumen gleiten; bald
steht auch ein gutes Brot auf dem Tisch, dazu ein flaschenförmiger oaeio eg,VÄl1c>
— Käse aus Stutenmilch — und ein zwar nicht ganz Heller, aber trefflich
schmeckender Weißwein. Auch der Kutscher bekommt sein Teil von dem Mahle,
und die ganze Zehrung für drei Personen beträgt siebenundzwanzig Soldi, etwa
eine Mark.

Dann geht es weiter aus trefflicher Straße das herrliche Thal hinunter
durch eine zauberhaft schöne Landschaft. Unten am graugrünen Liris entlang
zieht sich ein blumiger Anger; darüber erheben sich terrassenartig sanft an¬
steigende Vorberge mit blühenden Fruchtbäumen bepflanzt; höher hinauf er¬
strecken sich grau- und violettfarbne Kalkfelsen, und darüber leuchtet der
blendendweiße Schnee des Monte Viglio und der Pizzodeta. Die Aussicht ist
um so schöner, da die Eichen, die unsern Weg begleiten, noch kein Laub haben.


Grenzboten III 1898 35
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/281>, abgerufen am 28.07.2024.