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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Gelegentliche Beobachtungen über den Kleinhandel

Die von diesem Autor geschilderten Umstände lassen es zu, daß die Preise
im Kolonialwarenhandel eines Orts meist in allen Geschäften auf gleicher Höhe
bleiben; der Preisdruck als Mittel, den Konkurrenten zu besiegen, wird hier
wenig angewandt.

Eine tiefgreifende Umwandlung in dem Kolonialwarengeschäfte hat sich
zunächst in Bezug auf die Anzahl der geführten Waren vollzogen. In dünn
besiedelten Gegenden Deutschlands, deren Verkehrsverbindungen noch mangel¬
haft sind, finden wir heute noch das Allerweltsgeschäft, das den Namen führt:
Wirtschaft und Handlung. Der Unterschied fällt einem sofort in die Augen,
wenn man im Herzogtum Oldenburg die kleinern Orte bereist. Die Wirts¬
häuser (zum Teil sogar noch ganz ansehnliche Logirhäuser) sind verbunden mit
einem Laden, worin zunächst der Kleinhandel mit Spirituosen flott betrieben
wird. Daneben enthält der Laden alles, was das Herz begehrt: Kolonial¬
waren, Manufakturwaren und Kurzwaren, Kleiueisenwaren, Papierwaren, Galan¬
teriewaren, Porzellane, Bürsten, Holzwaren, Steingut, Glaswaren, Tabake,
Cigarren usw. Die Auswahl in all diesen Dingen ist vielleicht nicht sehr
groß, aber die gangbare Ware, das, was am Orte und in nächster Nähe er¬
fahrungsmäßig gebraucht und gekauft wird, wird geführt. Je dichter die Be¬
siedlung eines Ortes wird, je mehr sich seine Verkehrsverbindungen verbessern,
je leichter die Bewohner nach der benachbarten Stadt kommen können oder aus
der kleinern Stadt nach der größern, desto schneller tritt die Spezialisirung
des Kleinhandels ein. Der Ort wird mehr besucht, die Gastwirtschaft und das
Lvgirhans werden mehr benutzt, der Wirt ist dadurch voll beschäftigt; deshalb
verliert sein Kramladen an Bedeutung, bis er schließlich ganz abgegeben werden
muß. Gewöhnlich sind am Orte auch schon Spezialgeschäfte entstanden, die
nur Mauufakturwaren, nur Kleiueisenwaren, nur Kolouialwaren usw. führen.
Für diese Spezialgeschäfte ist jetzt auch der nötige Kundenkreis da, der eine
reichere Auswahl verlangt. So vollzieht sich die Entwicklung in den kleinern
Städten. Wandern wir nun aber in die größern Städte, so erkennen wir
bald -- und diese Erfahrung hat man vor allem in den letzten Jahrzehnten
gemacht --, daß die Spezialisirung bei der Gliederung, die wir oben angeführt
haben, nicht halt macht. Sie beginnt sogar in dem Spezialgeschäft selbst, und
so fördernd die erste Spezialisirung für die Geschäfte war, die anf diese Weise
erst die Grundlage bekamen, auf der sie sich schnell vergrößern konnten, so
zerstörend greift sie auf dieser zweiten Stufe ein. In der Mannfakturwaren-
branche zweigt man das Weißwaren- und Teppichwarengeschäft ab; den Handel
mit Herren- und Damenkleiderstosfen organisirt man entweder für sich oder
vereinigt ihn mit dem betreffenden Stoffverarbeitungsgewerbe; es entsteht die
Spezialbranche der Konfektion usw.

Im Kvlonialwarenhandel ist die Abzweigung von Spezialgeschäften be¬
sonders scharf hervorgetreten; es entstanden hier im Laufe der Zeit die Deu-


Gelegentliche Beobachtungen über den Kleinhandel

Die von diesem Autor geschilderten Umstände lassen es zu, daß die Preise
im Kolonialwarenhandel eines Orts meist in allen Geschäften auf gleicher Höhe
bleiben; der Preisdruck als Mittel, den Konkurrenten zu besiegen, wird hier
wenig angewandt.

Eine tiefgreifende Umwandlung in dem Kolonialwarengeschäfte hat sich
zunächst in Bezug auf die Anzahl der geführten Waren vollzogen. In dünn
besiedelten Gegenden Deutschlands, deren Verkehrsverbindungen noch mangel¬
haft sind, finden wir heute noch das Allerweltsgeschäft, das den Namen führt:
Wirtschaft und Handlung. Der Unterschied fällt einem sofort in die Augen,
wenn man im Herzogtum Oldenburg die kleinern Orte bereist. Die Wirts¬
häuser (zum Teil sogar noch ganz ansehnliche Logirhäuser) sind verbunden mit
einem Laden, worin zunächst der Kleinhandel mit Spirituosen flott betrieben
wird. Daneben enthält der Laden alles, was das Herz begehrt: Kolonial¬
waren, Manufakturwaren und Kurzwaren, Kleiueisenwaren, Papierwaren, Galan¬
teriewaren, Porzellane, Bürsten, Holzwaren, Steingut, Glaswaren, Tabake,
Cigarren usw. Die Auswahl in all diesen Dingen ist vielleicht nicht sehr
groß, aber die gangbare Ware, das, was am Orte und in nächster Nähe er¬
fahrungsmäßig gebraucht und gekauft wird, wird geführt. Je dichter die Be¬
siedlung eines Ortes wird, je mehr sich seine Verkehrsverbindungen verbessern,
je leichter die Bewohner nach der benachbarten Stadt kommen können oder aus
der kleinern Stadt nach der größern, desto schneller tritt die Spezialisirung
des Kleinhandels ein. Der Ort wird mehr besucht, die Gastwirtschaft und das
Lvgirhans werden mehr benutzt, der Wirt ist dadurch voll beschäftigt; deshalb
verliert sein Kramladen an Bedeutung, bis er schließlich ganz abgegeben werden
muß. Gewöhnlich sind am Orte auch schon Spezialgeschäfte entstanden, die
nur Mauufakturwaren, nur Kleiueisenwaren, nur Kolouialwaren usw. führen.
Für diese Spezialgeschäfte ist jetzt auch der nötige Kundenkreis da, der eine
reichere Auswahl verlangt. So vollzieht sich die Entwicklung in den kleinern
Städten. Wandern wir nun aber in die größern Städte, so erkennen wir
bald — und diese Erfahrung hat man vor allem in den letzten Jahrzehnten
gemacht —, daß die Spezialisirung bei der Gliederung, die wir oben angeführt
haben, nicht halt macht. Sie beginnt sogar in dem Spezialgeschäft selbst, und
so fördernd die erste Spezialisirung für die Geschäfte war, die anf diese Weise
erst die Grundlage bekamen, auf der sie sich schnell vergrößern konnten, so
zerstörend greift sie auf dieser zweiten Stufe ein. In der Mannfakturwaren-
branche zweigt man das Weißwaren- und Teppichwarengeschäft ab; den Handel
mit Herren- und Damenkleiderstosfen organisirt man entweder für sich oder
vereinigt ihn mit dem betreffenden Stoffverarbeitungsgewerbe; es entsteht die
Spezialbranche der Konfektion usw.

Im Kvlonialwarenhandel ist die Abzweigung von Spezialgeschäften be¬
sonders scharf hervorgetreten; es entstanden hier im Laufe der Zeit die Deu-


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[0269] Gelegentliche Beobachtungen über den Kleinhandel Die von diesem Autor geschilderten Umstände lassen es zu, daß die Preise im Kolonialwarenhandel eines Orts meist in allen Geschäften auf gleicher Höhe bleiben; der Preisdruck als Mittel, den Konkurrenten zu besiegen, wird hier wenig angewandt. Eine tiefgreifende Umwandlung in dem Kolonialwarengeschäfte hat sich zunächst in Bezug auf die Anzahl der geführten Waren vollzogen. In dünn besiedelten Gegenden Deutschlands, deren Verkehrsverbindungen noch mangel¬ haft sind, finden wir heute noch das Allerweltsgeschäft, das den Namen führt: Wirtschaft und Handlung. Der Unterschied fällt einem sofort in die Augen, wenn man im Herzogtum Oldenburg die kleinern Orte bereist. Die Wirts¬ häuser (zum Teil sogar noch ganz ansehnliche Logirhäuser) sind verbunden mit einem Laden, worin zunächst der Kleinhandel mit Spirituosen flott betrieben wird. Daneben enthält der Laden alles, was das Herz begehrt: Kolonial¬ waren, Manufakturwaren und Kurzwaren, Kleiueisenwaren, Papierwaren, Galan¬ teriewaren, Porzellane, Bürsten, Holzwaren, Steingut, Glaswaren, Tabake, Cigarren usw. Die Auswahl in all diesen Dingen ist vielleicht nicht sehr groß, aber die gangbare Ware, das, was am Orte und in nächster Nähe er¬ fahrungsmäßig gebraucht und gekauft wird, wird geführt. Je dichter die Be¬ siedlung eines Ortes wird, je mehr sich seine Verkehrsverbindungen verbessern, je leichter die Bewohner nach der benachbarten Stadt kommen können oder aus der kleinern Stadt nach der größern, desto schneller tritt die Spezialisirung des Kleinhandels ein. Der Ort wird mehr besucht, die Gastwirtschaft und das Lvgirhans werden mehr benutzt, der Wirt ist dadurch voll beschäftigt; deshalb verliert sein Kramladen an Bedeutung, bis er schließlich ganz abgegeben werden muß. Gewöhnlich sind am Orte auch schon Spezialgeschäfte entstanden, die nur Mauufakturwaren, nur Kleiueisenwaren, nur Kolouialwaren usw. führen. Für diese Spezialgeschäfte ist jetzt auch der nötige Kundenkreis da, der eine reichere Auswahl verlangt. So vollzieht sich die Entwicklung in den kleinern Städten. Wandern wir nun aber in die größern Städte, so erkennen wir bald — und diese Erfahrung hat man vor allem in den letzten Jahrzehnten gemacht —, daß die Spezialisirung bei der Gliederung, die wir oben angeführt haben, nicht halt macht. Sie beginnt sogar in dem Spezialgeschäft selbst, und so fördernd die erste Spezialisirung für die Geschäfte war, die anf diese Weise erst die Grundlage bekamen, auf der sie sich schnell vergrößern konnten, so zerstörend greift sie auf dieser zweiten Stufe ein. In der Mannfakturwaren- branche zweigt man das Weißwaren- und Teppichwarengeschäft ab; den Handel mit Herren- und Damenkleiderstosfen organisirt man entweder für sich oder vereinigt ihn mit dem betreffenden Stoffverarbeitungsgewerbe; es entsteht die Spezialbranche der Konfektion usw. Im Kvlonialwarenhandel ist die Abzweigung von Spezialgeschäften be¬ sonders scharf hervorgetreten; es entstanden hier im Laufe der Zeit die Deu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/269>, abgerufen am 01.09.2024.