Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vorgeschichte der Kolonisation in Südwestafrika

ländereien gedeckt werden könnten. Über das Zustandekommen dieser Petition
ist viel Lärm gemacht worden; man zweifelte daran, daß die Herero von dem
Inhalte Kenntnis hätten. Aber daß diese Petition, selbst wenn alles mit
rechten Dingen zugegangen war, nur soviel galt wie das Papier, auf dem sie
geschrieben war, wußten Palgmve und die Regierung der Kapkolonie genau.
Die abgetretnen Ländereien gehörten gar nicht den Herero, sondern den Jonker-
und den Topnaarhottentotten, und Mittel zur Erstattung etwaiger Unkosten
würden die Herero teils nicht besessen, teils nicht hergegeben haben. Aber ein
Rechtstitel sür eine Besitzergreifung und ein eventuelles Einschreiten war durch
die Petition gegeben, und als diese über Kapstadt in London einging, fing die
englische Krone an, sich für Damaraland zu interessiren.

Am 12. März 1878 ließ die englische Regierung durch Commodore Sullivan
mit dem Schiffe Judustrh die Walfischbai und das Land fünfzehn englische
Meilen im Kreise um die englische Flagge als britisches Eigentum erklären.
Ein hölzernes Dienstgebäude wurde errichtet, und ein pensionirter Major als
Magistrat in Walfischbai angestellt. Die Aus- und die Einfuhr wurden kon-
trollirt, die Waffen- und die Munitionseinfuhr zum Ärger der Händler be¬
schränkt, und Gewerbesteuern eingeführt. Größere Händler mußten 500, kleinere
200, Hausirer 100 Mark jährlich Geschäftslizenz zahlen. Die Besitzergreifung
des Damaralcindes wurde dagegen noch hinausgeschoben, denn die Knpkolonie
und die britische Regierung waren 1878 und 1879 in den Krieg mit den Zulu
verwickelt, und wichtigere Besitzungen als das dürre Damaraland standen auf
dem Spiele. Eine Antwort auf ihre Petition haben die Herero nie erhalten.
Sie haben die Petition auch nie erneuert und wohl bald vergessen wie ihre
vielen und mannigfachen andern Verträge. Möglich ist es auch, daß sie
glaubten, mit Absendung ihrer Versprechungen hätten die Engländer ihren
Schutz über die Rama übernommen. Sie schickten nämlich ihre Herden immer
weiter nach Süden bis nach Nehoboth und darüber hinaus in die Gebiete, die
sie der britischen Krone abzutreten versprochen hatten. Dadurch wurden sie
den Hottentotten und den Bastards unbequem.

Palgrave hatte unterdessen sein Arbeitsfeld nach dem Namalcmde verlegt,
als im Hererolande das erreicht war, was man erreichen wollte. In der
Bearbeitung der Nnmakapitäne hatte er aber weniger Glück. Diese waren
durch Palgraves Aufenthalt bei den Herero, durch das Vorrücken der Herero
in ihre Weidegebiete und besonders durch die Ratschläge ihrer europäischen
Berater mißtrauisch geworden. Unverkennbar hatte unter den Europäern des
Schutzgebietes und den Missionaren mehr und mehr eine Mißstimmung gegen
die englischen Beamten Platz gegriffen. Steuern hätten sich die Europäer
gegen die Gewährung von Schutz gern gefallen lassen, aber die Unterbindung
des Hauptgeschäfts mit Waffen und Munition verdarb ihnen die Laune und
setzte ihr Ansehen bei den Eingebornen herab. Deswegen fingen die Händler


Vorgeschichte der Kolonisation in Südwestafrika

ländereien gedeckt werden könnten. Über das Zustandekommen dieser Petition
ist viel Lärm gemacht worden; man zweifelte daran, daß die Herero von dem
Inhalte Kenntnis hätten. Aber daß diese Petition, selbst wenn alles mit
rechten Dingen zugegangen war, nur soviel galt wie das Papier, auf dem sie
geschrieben war, wußten Palgmve und die Regierung der Kapkolonie genau.
Die abgetretnen Ländereien gehörten gar nicht den Herero, sondern den Jonker-
und den Topnaarhottentotten, und Mittel zur Erstattung etwaiger Unkosten
würden die Herero teils nicht besessen, teils nicht hergegeben haben. Aber ein
Rechtstitel sür eine Besitzergreifung und ein eventuelles Einschreiten war durch
die Petition gegeben, und als diese über Kapstadt in London einging, fing die
englische Krone an, sich für Damaraland zu interessiren.

Am 12. März 1878 ließ die englische Regierung durch Commodore Sullivan
mit dem Schiffe Judustrh die Walfischbai und das Land fünfzehn englische
Meilen im Kreise um die englische Flagge als britisches Eigentum erklären.
Ein hölzernes Dienstgebäude wurde errichtet, und ein pensionirter Major als
Magistrat in Walfischbai angestellt. Die Aus- und die Einfuhr wurden kon-
trollirt, die Waffen- und die Munitionseinfuhr zum Ärger der Händler be¬
schränkt, und Gewerbesteuern eingeführt. Größere Händler mußten 500, kleinere
200, Hausirer 100 Mark jährlich Geschäftslizenz zahlen. Die Besitzergreifung
des Damaralcindes wurde dagegen noch hinausgeschoben, denn die Knpkolonie
und die britische Regierung waren 1878 und 1879 in den Krieg mit den Zulu
verwickelt, und wichtigere Besitzungen als das dürre Damaraland standen auf
dem Spiele. Eine Antwort auf ihre Petition haben die Herero nie erhalten.
Sie haben die Petition auch nie erneuert und wohl bald vergessen wie ihre
vielen und mannigfachen andern Verträge. Möglich ist es auch, daß sie
glaubten, mit Absendung ihrer Versprechungen hätten die Engländer ihren
Schutz über die Rama übernommen. Sie schickten nämlich ihre Herden immer
weiter nach Süden bis nach Nehoboth und darüber hinaus in die Gebiete, die
sie der britischen Krone abzutreten versprochen hatten. Dadurch wurden sie
den Hottentotten und den Bastards unbequem.

Palgrave hatte unterdessen sein Arbeitsfeld nach dem Namalcmde verlegt,
als im Hererolande das erreicht war, was man erreichen wollte. In der
Bearbeitung der Nnmakapitäne hatte er aber weniger Glück. Diese waren
durch Palgraves Aufenthalt bei den Herero, durch das Vorrücken der Herero
in ihre Weidegebiete und besonders durch die Ratschläge ihrer europäischen
Berater mißtrauisch geworden. Unverkennbar hatte unter den Europäern des
Schutzgebietes und den Missionaren mehr und mehr eine Mißstimmung gegen
die englischen Beamten Platz gegriffen. Steuern hätten sich die Europäer
gegen die Gewährung von Schutz gern gefallen lassen, aber die Unterbindung
des Hauptgeschäfts mit Waffen und Munition verdarb ihnen die Laune und
setzte ihr Ansehen bei den Eingebornen herab. Deswegen fingen die Händler


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228565"/>
          <fw type="header" place="top"> Vorgeschichte der Kolonisation in Südwestafrika</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_920" prev="#ID_919"> ländereien gedeckt werden könnten. Über das Zustandekommen dieser Petition<lb/>
ist viel Lärm gemacht worden; man zweifelte daran, daß die Herero von dem<lb/>
Inhalte Kenntnis hätten. Aber daß diese Petition, selbst wenn alles mit<lb/>
rechten Dingen zugegangen war, nur soviel galt wie das Papier, auf dem sie<lb/>
geschrieben war, wußten Palgmve und die Regierung der Kapkolonie genau.<lb/>
Die abgetretnen Ländereien gehörten gar nicht den Herero, sondern den Jonker-<lb/>
und den Topnaarhottentotten, und Mittel zur Erstattung etwaiger Unkosten<lb/>
würden die Herero teils nicht besessen, teils nicht hergegeben haben. Aber ein<lb/>
Rechtstitel sür eine Besitzergreifung und ein eventuelles Einschreiten war durch<lb/>
die Petition gegeben, und als diese über Kapstadt in London einging, fing die<lb/>
englische Krone an, sich für Damaraland zu interessiren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_921"> Am 12. März 1878 ließ die englische Regierung durch Commodore Sullivan<lb/>
mit dem Schiffe Judustrh die Walfischbai und das Land fünfzehn englische<lb/>
Meilen im Kreise um die englische Flagge als britisches Eigentum erklären.<lb/>
Ein hölzernes Dienstgebäude wurde errichtet, und ein pensionirter Major als<lb/>
Magistrat in Walfischbai angestellt. Die Aus- und die Einfuhr wurden kon-<lb/>
trollirt, die Waffen- und die Munitionseinfuhr zum Ärger der Händler be¬<lb/>
schränkt, und Gewerbesteuern eingeführt. Größere Händler mußten 500, kleinere<lb/>
200, Hausirer 100 Mark jährlich Geschäftslizenz zahlen. Die Besitzergreifung<lb/>
des Damaralcindes wurde dagegen noch hinausgeschoben, denn die Knpkolonie<lb/>
und die britische Regierung waren 1878 und 1879 in den Krieg mit den Zulu<lb/>
verwickelt, und wichtigere Besitzungen als das dürre Damaraland standen auf<lb/>
dem Spiele. Eine Antwort auf ihre Petition haben die Herero nie erhalten.<lb/>
Sie haben die Petition auch nie erneuert und wohl bald vergessen wie ihre<lb/>
vielen und mannigfachen andern Verträge. Möglich ist es auch, daß sie<lb/>
glaubten, mit Absendung ihrer Versprechungen hätten die Engländer ihren<lb/>
Schutz über die Rama übernommen. Sie schickten nämlich ihre Herden immer<lb/>
weiter nach Süden bis nach Nehoboth und darüber hinaus in die Gebiete, die<lb/>
sie der britischen Krone abzutreten versprochen hatten. Dadurch wurden sie<lb/>
den Hottentotten und den Bastards unbequem.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_922" next="#ID_923"> Palgrave hatte unterdessen sein Arbeitsfeld nach dem Namalcmde verlegt,<lb/>
als im Hererolande das erreicht war, was man erreichen wollte. In der<lb/>
Bearbeitung der Nnmakapitäne hatte er aber weniger Glück. Diese waren<lb/>
durch Palgraves Aufenthalt bei den Herero, durch das Vorrücken der Herero<lb/>
in ihre Weidegebiete und besonders durch die Ratschläge ihrer europäischen<lb/>
Berater mißtrauisch geworden. Unverkennbar hatte unter den Europäern des<lb/>
Schutzgebietes und den Missionaren mehr und mehr eine Mißstimmung gegen<lb/>
die englischen Beamten Platz gegriffen. Steuern hätten sich die Europäer<lb/>
gegen die Gewährung von Schutz gern gefallen lassen, aber die Unterbindung<lb/>
des Hauptgeschäfts mit Waffen und Munition verdarb ihnen die Laune und<lb/>
setzte ihr Ansehen bei den Eingebornen herab.  Deswegen fingen die Händler</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0263] Vorgeschichte der Kolonisation in Südwestafrika ländereien gedeckt werden könnten. Über das Zustandekommen dieser Petition ist viel Lärm gemacht worden; man zweifelte daran, daß die Herero von dem Inhalte Kenntnis hätten. Aber daß diese Petition, selbst wenn alles mit rechten Dingen zugegangen war, nur soviel galt wie das Papier, auf dem sie geschrieben war, wußten Palgmve und die Regierung der Kapkolonie genau. Die abgetretnen Ländereien gehörten gar nicht den Herero, sondern den Jonker- und den Topnaarhottentotten, und Mittel zur Erstattung etwaiger Unkosten würden die Herero teils nicht besessen, teils nicht hergegeben haben. Aber ein Rechtstitel sür eine Besitzergreifung und ein eventuelles Einschreiten war durch die Petition gegeben, und als diese über Kapstadt in London einging, fing die englische Krone an, sich für Damaraland zu interessiren. Am 12. März 1878 ließ die englische Regierung durch Commodore Sullivan mit dem Schiffe Judustrh die Walfischbai und das Land fünfzehn englische Meilen im Kreise um die englische Flagge als britisches Eigentum erklären. Ein hölzernes Dienstgebäude wurde errichtet, und ein pensionirter Major als Magistrat in Walfischbai angestellt. Die Aus- und die Einfuhr wurden kon- trollirt, die Waffen- und die Munitionseinfuhr zum Ärger der Händler be¬ schränkt, und Gewerbesteuern eingeführt. Größere Händler mußten 500, kleinere 200, Hausirer 100 Mark jährlich Geschäftslizenz zahlen. Die Besitzergreifung des Damaralcindes wurde dagegen noch hinausgeschoben, denn die Knpkolonie und die britische Regierung waren 1878 und 1879 in den Krieg mit den Zulu verwickelt, und wichtigere Besitzungen als das dürre Damaraland standen auf dem Spiele. Eine Antwort auf ihre Petition haben die Herero nie erhalten. Sie haben die Petition auch nie erneuert und wohl bald vergessen wie ihre vielen und mannigfachen andern Verträge. Möglich ist es auch, daß sie glaubten, mit Absendung ihrer Versprechungen hätten die Engländer ihren Schutz über die Rama übernommen. Sie schickten nämlich ihre Herden immer weiter nach Süden bis nach Nehoboth und darüber hinaus in die Gebiete, die sie der britischen Krone abzutreten versprochen hatten. Dadurch wurden sie den Hottentotten und den Bastards unbequem. Palgrave hatte unterdessen sein Arbeitsfeld nach dem Namalcmde verlegt, als im Hererolande das erreicht war, was man erreichen wollte. In der Bearbeitung der Nnmakapitäne hatte er aber weniger Glück. Diese waren durch Palgraves Aufenthalt bei den Herero, durch das Vorrücken der Herero in ihre Weidegebiete und besonders durch die Ratschläge ihrer europäischen Berater mißtrauisch geworden. Unverkennbar hatte unter den Europäern des Schutzgebietes und den Missionaren mehr und mehr eine Mißstimmung gegen die englischen Beamten Platz gegriffen. Steuern hätten sich die Europäer gegen die Gewährung von Schutz gern gefallen lassen, aber die Unterbindung des Hauptgeschäfts mit Waffen und Munition verdarb ihnen die Laune und setzte ihr Ansehen bei den Eingebornen herab. Deswegen fingen die Händler

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/263
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/263>, abgerufen am 28.07.2024.