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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der Kolonisation in Siidwestafrika

Weinlizenzen mehrfach als Schreckmittel für nicht gefügige Missionare gebraucht.
Die Missionshaudelsgesellschaft würde sich also durch Branntweineinfuhr nur
ihres Einflusses auf die Eingebornen begeben. Durch die Einfuhr von Waffen
und Munition erreichte die Mission ganz andre Erfolge. Gefährlich ist die
gute Vewaffnnng der Eingebornen nur den europäischen Ansiedlern und
deswegen vom Standpunkte jeder Kolonialmacht zu verdammen, nur nicht
von dem der Mission, Europäische Ansiedlung und Übergang des Grund und
Bodens aus der Hand der Eingebornen in die europäischer Ansiedler bedeuten
vielmehr für die Mission "Einstellung ihrer Thätigkeit." Sowie die Ein¬
gebornen besitzlos verdrängt und vertrieben sind, muß auch die Mission ab¬
ziehen. Und deswegen mußte die Missionshandelsgesellschaft dem Brannt¬
weinhandel mit aller Schürfe entgegentreten, nicht aber der Waffeneinfuhr.
Die Missionare gelangten durch ihren Handel zu einer derartigen Macht, daß
sie den seit 1840 fortdauernden Kriegen der Rama und Herero durch den
Frieden von Otjimbingue 1870 ein Ende machen konnten, einen Frieden, der
bis zum Jahre 1380 gehalten worden ist. Aber so schön dieser moralische
Erfolg auch war, und so frisch und einträglich auch das Geschäft in Südwest¬
afrika selbst ging, so gering waren doch die materiellen Erfolge der Missions-
handelsgescllschaft. Die obere Leitung versagte. Es war eben unmöglich, ein
neues, so weit verzweigtes Unternehmen von Barmer aus zu übersehen und
die fachmännische Leitung in Kapstadt zu kontrolliren. Aber der Vorstand in
Kapstadt bedürfte dieser Kontrolle; denn als große in die Kapkolonie gebrachte
Viehtransporte die ersten größten Einnahmen bringen sollten, stellte sich statt
der Einnahmen ein Defizit heraus, und die Missionshandelsaktiengesellschaft
mußte 1873 liquidiren. Büttner glaubt, daß sie sich auch noch hätte erholen
können, gestützt auf ihre tüchtigen Agenten in Südwestafrika, wenn nicht die
Kapkolonie die Annexion des Damaralandes ins Auge gefaßt hätte.

So war leider der zweite Versuch, eine europäische Herrschaft in Südwest¬
afrika einzuführen, gescheitert, und die Welt um die interessante Erscheinung einer
weltlichen Kirchenherrschaft gebracht. Gewiß würden unter dem Einfluß der
Mission die Eingebornen langsam kultivirt worden sein, und es würde sich ein
Patriarchalisches Kirchenidyll entwickelt haben. Da aber unter der Missions¬
herrschaft ausgeschlossen war, daß Südwestafrika für europäische Ansiedlung
zugängig gemacht worden wäre, war bei der Nähe der Kapkolonie und der
Begehrlichkeit der europäischen Mächte, der Missionsherrschaft und Handels¬
gesellschaft von vornherein nur eine beschränkte Spanne Lebenszeit gegeben.
Es war undenkbar, daß die Missionshandelsgesellschaft unter den Augen eng¬
lischer Beamten das Waffengeschäft hätte fortsetzen und den Handel mono-
Polistren können. Die Barmer Mission, die sich von jeher durch einen hellen
Politischen Blick ausgezeichnet hat, war sich auch darüber ganz klar. Aber für
die Besitzergreifung durch England konnte sie nicht eingenommen sein, und es


Vorgeschichte der Kolonisation in Siidwestafrika

Weinlizenzen mehrfach als Schreckmittel für nicht gefügige Missionare gebraucht.
Die Missionshaudelsgesellschaft würde sich also durch Branntweineinfuhr nur
ihres Einflusses auf die Eingebornen begeben. Durch die Einfuhr von Waffen
und Munition erreichte die Mission ganz andre Erfolge. Gefährlich ist die
gute Vewaffnnng der Eingebornen nur den europäischen Ansiedlern und
deswegen vom Standpunkte jeder Kolonialmacht zu verdammen, nur nicht
von dem der Mission, Europäische Ansiedlung und Übergang des Grund und
Bodens aus der Hand der Eingebornen in die europäischer Ansiedler bedeuten
vielmehr für die Mission „Einstellung ihrer Thätigkeit." Sowie die Ein¬
gebornen besitzlos verdrängt und vertrieben sind, muß auch die Mission ab¬
ziehen. Und deswegen mußte die Missionshandelsgesellschaft dem Brannt¬
weinhandel mit aller Schürfe entgegentreten, nicht aber der Waffeneinfuhr.
Die Missionare gelangten durch ihren Handel zu einer derartigen Macht, daß
sie den seit 1840 fortdauernden Kriegen der Rama und Herero durch den
Frieden von Otjimbingue 1870 ein Ende machen konnten, einen Frieden, der
bis zum Jahre 1380 gehalten worden ist. Aber so schön dieser moralische
Erfolg auch war, und so frisch und einträglich auch das Geschäft in Südwest¬
afrika selbst ging, so gering waren doch die materiellen Erfolge der Missions-
handelsgescllschaft. Die obere Leitung versagte. Es war eben unmöglich, ein
neues, so weit verzweigtes Unternehmen von Barmer aus zu übersehen und
die fachmännische Leitung in Kapstadt zu kontrolliren. Aber der Vorstand in
Kapstadt bedürfte dieser Kontrolle; denn als große in die Kapkolonie gebrachte
Viehtransporte die ersten größten Einnahmen bringen sollten, stellte sich statt
der Einnahmen ein Defizit heraus, und die Missionshandelsaktiengesellschaft
mußte 1873 liquidiren. Büttner glaubt, daß sie sich auch noch hätte erholen
können, gestützt auf ihre tüchtigen Agenten in Südwestafrika, wenn nicht die
Kapkolonie die Annexion des Damaralandes ins Auge gefaßt hätte.

So war leider der zweite Versuch, eine europäische Herrschaft in Südwest¬
afrika einzuführen, gescheitert, und die Welt um die interessante Erscheinung einer
weltlichen Kirchenherrschaft gebracht. Gewiß würden unter dem Einfluß der
Mission die Eingebornen langsam kultivirt worden sein, und es würde sich ein
Patriarchalisches Kirchenidyll entwickelt haben. Da aber unter der Missions¬
herrschaft ausgeschlossen war, daß Südwestafrika für europäische Ansiedlung
zugängig gemacht worden wäre, war bei der Nähe der Kapkolonie und der
Begehrlichkeit der europäischen Mächte, der Missionsherrschaft und Handels¬
gesellschaft von vornherein nur eine beschränkte Spanne Lebenszeit gegeben.
Es war undenkbar, daß die Missionshandelsgesellschaft unter den Augen eng¬
lischer Beamten das Waffengeschäft hätte fortsetzen und den Handel mono-
Polistren können. Die Barmer Mission, die sich von jeher durch einen hellen
Politischen Blick ausgezeichnet hat, war sich auch darüber ganz klar. Aber für
die Besitzergreifung durch England konnte sie nicht eingenommen sein, und es


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[0261] Vorgeschichte der Kolonisation in Siidwestafrika Weinlizenzen mehrfach als Schreckmittel für nicht gefügige Missionare gebraucht. Die Missionshaudelsgesellschaft würde sich also durch Branntweineinfuhr nur ihres Einflusses auf die Eingebornen begeben. Durch die Einfuhr von Waffen und Munition erreichte die Mission ganz andre Erfolge. Gefährlich ist die gute Vewaffnnng der Eingebornen nur den europäischen Ansiedlern und deswegen vom Standpunkte jeder Kolonialmacht zu verdammen, nur nicht von dem der Mission, Europäische Ansiedlung und Übergang des Grund und Bodens aus der Hand der Eingebornen in die europäischer Ansiedler bedeuten vielmehr für die Mission „Einstellung ihrer Thätigkeit." Sowie die Ein¬ gebornen besitzlos verdrängt und vertrieben sind, muß auch die Mission ab¬ ziehen. Und deswegen mußte die Missionshandelsgesellschaft dem Brannt¬ weinhandel mit aller Schürfe entgegentreten, nicht aber der Waffeneinfuhr. Die Missionare gelangten durch ihren Handel zu einer derartigen Macht, daß sie den seit 1840 fortdauernden Kriegen der Rama und Herero durch den Frieden von Otjimbingue 1870 ein Ende machen konnten, einen Frieden, der bis zum Jahre 1380 gehalten worden ist. Aber so schön dieser moralische Erfolg auch war, und so frisch und einträglich auch das Geschäft in Südwest¬ afrika selbst ging, so gering waren doch die materiellen Erfolge der Missions- handelsgescllschaft. Die obere Leitung versagte. Es war eben unmöglich, ein neues, so weit verzweigtes Unternehmen von Barmer aus zu übersehen und die fachmännische Leitung in Kapstadt zu kontrolliren. Aber der Vorstand in Kapstadt bedürfte dieser Kontrolle; denn als große in die Kapkolonie gebrachte Viehtransporte die ersten größten Einnahmen bringen sollten, stellte sich statt der Einnahmen ein Defizit heraus, und die Missionshandelsaktiengesellschaft mußte 1873 liquidiren. Büttner glaubt, daß sie sich auch noch hätte erholen können, gestützt auf ihre tüchtigen Agenten in Südwestafrika, wenn nicht die Kapkolonie die Annexion des Damaralandes ins Auge gefaßt hätte. So war leider der zweite Versuch, eine europäische Herrschaft in Südwest¬ afrika einzuführen, gescheitert, und die Welt um die interessante Erscheinung einer weltlichen Kirchenherrschaft gebracht. Gewiß würden unter dem Einfluß der Mission die Eingebornen langsam kultivirt worden sein, und es würde sich ein Patriarchalisches Kirchenidyll entwickelt haben. Da aber unter der Missions¬ herrschaft ausgeschlossen war, daß Südwestafrika für europäische Ansiedlung zugängig gemacht worden wäre, war bei der Nähe der Kapkolonie und der Begehrlichkeit der europäischen Mächte, der Missionsherrschaft und Handels¬ gesellschaft von vornherein nur eine beschränkte Spanne Lebenszeit gegeben. Es war undenkbar, daß die Missionshandelsgesellschaft unter den Augen eng¬ lischer Beamten das Waffengeschäft hätte fortsetzen und den Handel mono- Polistren können. Die Barmer Mission, die sich von jeher durch einen hellen Politischen Blick ausgezeichnet hat, war sich auch darüber ganz klar. Aber für die Besitzergreifung durch England konnte sie nicht eingenommen sein, und es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/261>, abgerufen am 28.07.2024.