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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Rechtsphilosophische Phantasien eines Taler

der Fall ein, daß der Verletzte wieder zur natürlichen Selbsthilfe, zur Privat¬
wehr greift. Dem Schriftchen eines sehr gut bürgerlichen Mannes entnehmen
wir die Worte: "Seine verletzte Ehre verteidigt z. B. der eine im Duell, und
erst nach diesem reicht er dem verwundeten oder sterbenden Gegner die Hand
zur Versöhnung; der andre gleicht sie aus mit der Faust oder dem Knittel;
der dritte läßt sich die Verletzung aus Feigheit wohl oder übel gefallen; der
vierte endlich nimmt sie still hin, aber er lauert, von Rache gestachelt, auf eine
Gelegenheit, wo er dem Angreifer die Unbill offen oder heimlich mit Zinsen
zurückgeben kann."*)

Es ist schließlich nicht zu bestreiten, daß gerade auf dem Gebiet der Ehr¬
verletzungen und Beleidigungen die subjektiven Gründe von größter Bedeutung
sind und daher allgemeine, somit notwendig schematische Straffestsetzungen er¬
schweren. Alter, Bildungsgrad und Stand des Beleidigers wie des Beleidigten
spielen bei der Schützung der Schwere einer Beleidigung eine wesentliche Rolle.
Die gleichen Thatsachen, die in einem Falle eine angemessene Strenge oder
eine entschuldbare Derbheit sind, können in einem andern eine schwere Ehren¬
kränkung sein. Eine köstliche oberbayrische Anekdote läßt in einer Beleidigungs¬
klage den Ortsvorsteher darüber vernommen werden, ob eine gewisse brüske
Aufforderung eine Beleidigung sei oder nicht. Nachdem er neun Fälle an¬
geführt hat, in denen eine Beleidigung nicht damit verbunden sei, schließt er:
,,und zehntens sagt man es halt auch, wenn man dem Gespräch eine andre
Wendung geben will."

Die doktrinäre Gleichheit vor dem Gesetz, deren Berichtigung durch
Heinrich von Treitschke in eine Gleichheit vor dem Richter wohl auf allgemeinen
Beifall zu rechnen hat, wäre besonders auf dem Gebiet der Beleidigungen eine
unerträgliche Unwahrheit und Ungerechtigkeit gegen alles, was über die untersten
Schichten hervorragt. Daher ist es nur natürlich, daß die Leidenschaft der
Demagogen und Hetzer besonders heftig zu entbrennen Pflegt, wenn ihre allein
seligmachende Gleichmacherei gerade hier gegen die Ungleichheit der Stände
donnert. Leider hat ihr doktrinärer Liberalismus nur zu gründlich vor¬
gearbeitet.

Der Streit in Presse und Parlament über den Begriff "Ehre" ist mit
weit mehr Leidenschaft als Einsicht geführt worden. Kein Stand hat eine be¬
sondre "Ehre," rufen die Radikalen mit Emphase. Demgegenüber halten wir
mit R. v. Jhering und Röscher aufrecht, daß jeder Stand eine besondre' Ehre
hat, wenn auch keiner beanspruchen kann, daß seine Ehre qualitativ besser
sei. Worin die Ehre besteht, und woraus sie herfließt, das hat schon der alte
Sachsenspiegel gewußt, wenn er sagt: Gut ohne Ehre ist kein Gut, und Leib
ohne Ehre hält man für tot, alle Ehre aber kommt von der Treue.



Professor Olawsku, Die Vorstellungen im Geiste des Menschen,
Rechtsphilosophische Phantasien eines Taler

der Fall ein, daß der Verletzte wieder zur natürlichen Selbsthilfe, zur Privat¬
wehr greift. Dem Schriftchen eines sehr gut bürgerlichen Mannes entnehmen
wir die Worte: „Seine verletzte Ehre verteidigt z. B. der eine im Duell, und
erst nach diesem reicht er dem verwundeten oder sterbenden Gegner die Hand
zur Versöhnung; der andre gleicht sie aus mit der Faust oder dem Knittel;
der dritte läßt sich die Verletzung aus Feigheit wohl oder übel gefallen; der
vierte endlich nimmt sie still hin, aber er lauert, von Rache gestachelt, auf eine
Gelegenheit, wo er dem Angreifer die Unbill offen oder heimlich mit Zinsen
zurückgeben kann."*)

Es ist schließlich nicht zu bestreiten, daß gerade auf dem Gebiet der Ehr¬
verletzungen und Beleidigungen die subjektiven Gründe von größter Bedeutung
sind und daher allgemeine, somit notwendig schematische Straffestsetzungen er¬
schweren. Alter, Bildungsgrad und Stand des Beleidigers wie des Beleidigten
spielen bei der Schützung der Schwere einer Beleidigung eine wesentliche Rolle.
Die gleichen Thatsachen, die in einem Falle eine angemessene Strenge oder
eine entschuldbare Derbheit sind, können in einem andern eine schwere Ehren¬
kränkung sein. Eine köstliche oberbayrische Anekdote läßt in einer Beleidigungs¬
klage den Ortsvorsteher darüber vernommen werden, ob eine gewisse brüske
Aufforderung eine Beleidigung sei oder nicht. Nachdem er neun Fälle an¬
geführt hat, in denen eine Beleidigung nicht damit verbunden sei, schließt er:
,,und zehntens sagt man es halt auch, wenn man dem Gespräch eine andre
Wendung geben will."

Die doktrinäre Gleichheit vor dem Gesetz, deren Berichtigung durch
Heinrich von Treitschke in eine Gleichheit vor dem Richter wohl auf allgemeinen
Beifall zu rechnen hat, wäre besonders auf dem Gebiet der Beleidigungen eine
unerträgliche Unwahrheit und Ungerechtigkeit gegen alles, was über die untersten
Schichten hervorragt. Daher ist es nur natürlich, daß die Leidenschaft der
Demagogen und Hetzer besonders heftig zu entbrennen Pflegt, wenn ihre allein
seligmachende Gleichmacherei gerade hier gegen die Ungleichheit der Stände
donnert. Leider hat ihr doktrinärer Liberalismus nur zu gründlich vor¬
gearbeitet.

Der Streit in Presse und Parlament über den Begriff „Ehre" ist mit
weit mehr Leidenschaft als Einsicht geführt worden. Kein Stand hat eine be¬
sondre „Ehre," rufen die Radikalen mit Emphase. Demgegenüber halten wir
mit R. v. Jhering und Röscher aufrecht, daß jeder Stand eine besondre' Ehre
hat, wenn auch keiner beanspruchen kann, daß seine Ehre qualitativ besser
sei. Worin die Ehre besteht, und woraus sie herfließt, das hat schon der alte
Sachsenspiegel gewußt, wenn er sagt: Gut ohne Ehre ist kein Gut, und Leib
ohne Ehre hält man für tot, alle Ehre aber kommt von der Treue.



Professor Olawsku, Die Vorstellungen im Geiste des Menschen,
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[0026] Rechtsphilosophische Phantasien eines Taler der Fall ein, daß der Verletzte wieder zur natürlichen Selbsthilfe, zur Privat¬ wehr greift. Dem Schriftchen eines sehr gut bürgerlichen Mannes entnehmen wir die Worte: „Seine verletzte Ehre verteidigt z. B. der eine im Duell, und erst nach diesem reicht er dem verwundeten oder sterbenden Gegner die Hand zur Versöhnung; der andre gleicht sie aus mit der Faust oder dem Knittel; der dritte läßt sich die Verletzung aus Feigheit wohl oder übel gefallen; der vierte endlich nimmt sie still hin, aber er lauert, von Rache gestachelt, auf eine Gelegenheit, wo er dem Angreifer die Unbill offen oder heimlich mit Zinsen zurückgeben kann."*) Es ist schließlich nicht zu bestreiten, daß gerade auf dem Gebiet der Ehr¬ verletzungen und Beleidigungen die subjektiven Gründe von größter Bedeutung sind und daher allgemeine, somit notwendig schematische Straffestsetzungen er¬ schweren. Alter, Bildungsgrad und Stand des Beleidigers wie des Beleidigten spielen bei der Schützung der Schwere einer Beleidigung eine wesentliche Rolle. Die gleichen Thatsachen, die in einem Falle eine angemessene Strenge oder eine entschuldbare Derbheit sind, können in einem andern eine schwere Ehren¬ kränkung sein. Eine köstliche oberbayrische Anekdote läßt in einer Beleidigungs¬ klage den Ortsvorsteher darüber vernommen werden, ob eine gewisse brüske Aufforderung eine Beleidigung sei oder nicht. Nachdem er neun Fälle an¬ geführt hat, in denen eine Beleidigung nicht damit verbunden sei, schließt er: ,,und zehntens sagt man es halt auch, wenn man dem Gespräch eine andre Wendung geben will." Die doktrinäre Gleichheit vor dem Gesetz, deren Berichtigung durch Heinrich von Treitschke in eine Gleichheit vor dem Richter wohl auf allgemeinen Beifall zu rechnen hat, wäre besonders auf dem Gebiet der Beleidigungen eine unerträgliche Unwahrheit und Ungerechtigkeit gegen alles, was über die untersten Schichten hervorragt. Daher ist es nur natürlich, daß die Leidenschaft der Demagogen und Hetzer besonders heftig zu entbrennen Pflegt, wenn ihre allein seligmachende Gleichmacherei gerade hier gegen die Ungleichheit der Stände donnert. Leider hat ihr doktrinärer Liberalismus nur zu gründlich vor¬ gearbeitet. Der Streit in Presse und Parlament über den Begriff „Ehre" ist mit weit mehr Leidenschaft als Einsicht geführt worden. Kein Stand hat eine be¬ sondre „Ehre," rufen die Radikalen mit Emphase. Demgegenüber halten wir mit R. v. Jhering und Röscher aufrecht, daß jeder Stand eine besondre' Ehre hat, wenn auch keiner beanspruchen kann, daß seine Ehre qualitativ besser sei. Worin die Ehre besteht, und woraus sie herfließt, das hat schon der alte Sachsenspiegel gewußt, wenn er sagt: Gut ohne Ehre ist kein Gut, und Leib ohne Ehre hält man für tot, alle Ehre aber kommt von der Treue. Professor Olawsku, Die Vorstellungen im Geiste des Menschen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/26>, abgerufen am 06.10.2024.