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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der Kolonisation in Südwestafrika

dahin nicht geglückt war, denn von 1844 bis 1861 war noch kein Herero
getauft worden. Beinahe noch wichtiger war der Entschluß der Mission, die
Eingebornen durch die Ansiedlung von Landwirten, Tischlern, Stellmachern
und Schmieden der Kultur zugänglicher zu machen. Von der Wirkung des
guten Beispiels versprach man sich mehr als von den besten Lehren. Dieser
Kolonialversuch der Mission hatte viel Aussicht auf Erfolg. Da jeder Missionar
damals wie jetzt immer einen kleinen Handel auf eigne Hand treiben mußte,
fand die Missivnskolonie in den Missionaren gewandte Vertreter,") und als die
Missionsstationen erst von Otjimbingue aus mit Waren aller Art versehen
wurden, gedieh der Handel ausgezeichnet. Die Eingebornen zogen den Missions-
stativnen zu; sie bauten sich Häuser nach dem Muster der Missionshäuser und
fingen mehr und mehr an, europäische Kleider zu tragen. In ihren Kriegen
verfuhren sie weniger grausam, schonten wenigstens hie und da Weiber und
Kinder. Die Frachtfahrerei blühte auf, und den zum Teil ganz gewissenlosen
Händlern erwuchs eine Konkurrenz, die sie zwang, den Eingebornen gegenüber
reeller zu verfahren. Die kleinen Händler mußten sich sogar in den Dienst
der Mission stellen, um bestehen zu können. Die Geschäfte nahmen einen
solchen Umfang an, daß sich das Bedürfnis nach einer Vergrößerung des Be¬
triebskapitals, nach einer Trennung der geistlichen von der Handelsmissivn und
nach einer Leitung der missionskolonialeu Bestrebungen durch kaufmännische
Kräfte herausstellte. Die Leitung durch fachmännisch geschulte Kräfte erschien
auch schon darum nötig, weil die Missionskolonisten schon bis 1867 meist aus
dem Dienste der Kolonien ausgeschieden waren, sich selbständig gemacht und
den Beweis erbracht hatten, daß der kleine Mann, der Handwerker und der
Landwirt, ebenso gut wie eine größere Gesellschaft in dein wüsten Lande ein
gutes Fortkommen finden kann. Es wurde also 1868 die Missionshandels¬
aktiengesellschaft in Barmer zuerst mit 180000 und später mit 708000 Mark
Grundkapital gegründet. Die Leitung erfolgte von Barmer aus; zur Ver¬
tretung in Südafrika wurde ein in Kapstadt ansässiger erfahrner Kaufmann
angestellt. Eine ganze Anzahl junger, eifriger, aber unerfahrner Kaufleute
wurde nach Südwestafrika geschickt, und ans allen Missionsstationen wurden
unter ihrer Verwaltung Geschäfte eingerichtet. Neue Mifsionsstationen und
Geschäfte wurden gegründet; für den Transport des eingehandelten Viehes
nach der Kapkolonie, besonders nach den Kupferminen von Ookiep, wurden
Viehtransportstativnen augelegt. Europäer wie Eingeborne kamen dadurch all¬
mählich in Abhängigkeit von der Mission. Den Eingebornen wurde die
Mission alles; nicht nur, daß die Missionare die Gemüter beherrschten und in
geistiger Abhängigkeit erhielten, auch alle Handelsartikel führten sie ihnen zu.

*) Den Handel der Missionskolonie Otjimbinque beschreibt sehr eingehend Büttners "Das
Hinterland von Angra Pequena und Wnlfischbni."


Vorgeschichte der Kolonisation in Südwestafrika

dahin nicht geglückt war, denn von 1844 bis 1861 war noch kein Herero
getauft worden. Beinahe noch wichtiger war der Entschluß der Mission, die
Eingebornen durch die Ansiedlung von Landwirten, Tischlern, Stellmachern
und Schmieden der Kultur zugänglicher zu machen. Von der Wirkung des
guten Beispiels versprach man sich mehr als von den besten Lehren. Dieser
Kolonialversuch der Mission hatte viel Aussicht auf Erfolg. Da jeder Missionar
damals wie jetzt immer einen kleinen Handel auf eigne Hand treiben mußte,
fand die Missivnskolonie in den Missionaren gewandte Vertreter,") und als die
Missionsstationen erst von Otjimbingue aus mit Waren aller Art versehen
wurden, gedieh der Handel ausgezeichnet. Die Eingebornen zogen den Missions-
stativnen zu; sie bauten sich Häuser nach dem Muster der Missionshäuser und
fingen mehr und mehr an, europäische Kleider zu tragen. In ihren Kriegen
verfuhren sie weniger grausam, schonten wenigstens hie und da Weiber und
Kinder. Die Frachtfahrerei blühte auf, und den zum Teil ganz gewissenlosen
Händlern erwuchs eine Konkurrenz, die sie zwang, den Eingebornen gegenüber
reeller zu verfahren. Die kleinen Händler mußten sich sogar in den Dienst
der Mission stellen, um bestehen zu können. Die Geschäfte nahmen einen
solchen Umfang an, daß sich das Bedürfnis nach einer Vergrößerung des Be¬
triebskapitals, nach einer Trennung der geistlichen von der Handelsmissivn und
nach einer Leitung der missionskolonialeu Bestrebungen durch kaufmännische
Kräfte herausstellte. Die Leitung durch fachmännisch geschulte Kräfte erschien
auch schon darum nötig, weil die Missionskolonisten schon bis 1867 meist aus
dem Dienste der Kolonien ausgeschieden waren, sich selbständig gemacht und
den Beweis erbracht hatten, daß der kleine Mann, der Handwerker und der
Landwirt, ebenso gut wie eine größere Gesellschaft in dein wüsten Lande ein
gutes Fortkommen finden kann. Es wurde also 1868 die Missionshandels¬
aktiengesellschaft in Barmer zuerst mit 180000 und später mit 708000 Mark
Grundkapital gegründet. Die Leitung erfolgte von Barmer aus; zur Ver¬
tretung in Südafrika wurde ein in Kapstadt ansässiger erfahrner Kaufmann
angestellt. Eine ganze Anzahl junger, eifriger, aber unerfahrner Kaufleute
wurde nach Südwestafrika geschickt, und ans allen Missionsstationen wurden
unter ihrer Verwaltung Geschäfte eingerichtet. Neue Mifsionsstationen und
Geschäfte wurden gegründet; für den Transport des eingehandelten Viehes
nach der Kapkolonie, besonders nach den Kupferminen von Ookiep, wurden
Viehtransportstativnen augelegt. Europäer wie Eingeborne kamen dadurch all¬
mählich in Abhängigkeit von der Mission. Den Eingebornen wurde die
Mission alles; nicht nur, daß die Missionare die Gemüter beherrschten und in
geistiger Abhängigkeit erhielten, auch alle Handelsartikel führten sie ihnen zu.

*) Den Handel der Missionskolonie Otjimbinque beschreibt sehr eingehend Büttners „Das
Hinterland von Angra Pequena und Wnlfischbni."


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[0259] Vorgeschichte der Kolonisation in Südwestafrika dahin nicht geglückt war, denn von 1844 bis 1861 war noch kein Herero getauft worden. Beinahe noch wichtiger war der Entschluß der Mission, die Eingebornen durch die Ansiedlung von Landwirten, Tischlern, Stellmachern und Schmieden der Kultur zugänglicher zu machen. Von der Wirkung des guten Beispiels versprach man sich mehr als von den besten Lehren. Dieser Kolonialversuch der Mission hatte viel Aussicht auf Erfolg. Da jeder Missionar damals wie jetzt immer einen kleinen Handel auf eigne Hand treiben mußte, fand die Missivnskolonie in den Missionaren gewandte Vertreter,") und als die Missionsstationen erst von Otjimbingue aus mit Waren aller Art versehen wurden, gedieh der Handel ausgezeichnet. Die Eingebornen zogen den Missions- stativnen zu; sie bauten sich Häuser nach dem Muster der Missionshäuser und fingen mehr und mehr an, europäische Kleider zu tragen. In ihren Kriegen verfuhren sie weniger grausam, schonten wenigstens hie und da Weiber und Kinder. Die Frachtfahrerei blühte auf, und den zum Teil ganz gewissenlosen Händlern erwuchs eine Konkurrenz, die sie zwang, den Eingebornen gegenüber reeller zu verfahren. Die kleinen Händler mußten sich sogar in den Dienst der Mission stellen, um bestehen zu können. Die Geschäfte nahmen einen solchen Umfang an, daß sich das Bedürfnis nach einer Vergrößerung des Be¬ triebskapitals, nach einer Trennung der geistlichen von der Handelsmissivn und nach einer Leitung der missionskolonialeu Bestrebungen durch kaufmännische Kräfte herausstellte. Die Leitung durch fachmännisch geschulte Kräfte erschien auch schon darum nötig, weil die Missionskolonisten schon bis 1867 meist aus dem Dienste der Kolonien ausgeschieden waren, sich selbständig gemacht und den Beweis erbracht hatten, daß der kleine Mann, der Handwerker und der Landwirt, ebenso gut wie eine größere Gesellschaft in dein wüsten Lande ein gutes Fortkommen finden kann. Es wurde also 1868 die Missionshandels¬ aktiengesellschaft in Barmer zuerst mit 180000 und später mit 708000 Mark Grundkapital gegründet. Die Leitung erfolgte von Barmer aus; zur Ver¬ tretung in Südafrika wurde ein in Kapstadt ansässiger erfahrner Kaufmann angestellt. Eine ganze Anzahl junger, eifriger, aber unerfahrner Kaufleute wurde nach Südwestafrika geschickt, und ans allen Missionsstationen wurden unter ihrer Verwaltung Geschäfte eingerichtet. Neue Mifsionsstationen und Geschäfte wurden gegründet; für den Transport des eingehandelten Viehes nach der Kapkolonie, besonders nach den Kupferminen von Ookiep, wurden Viehtransportstativnen augelegt. Europäer wie Eingeborne kamen dadurch all¬ mählich in Abhängigkeit von der Mission. Den Eingebornen wurde die Mission alles; nicht nur, daß die Missionare die Gemüter beherrschten und in geistiger Abhängigkeit erhielten, auch alle Handelsartikel führten sie ihnen zu. *) Den Handel der Missionskolonie Otjimbinque beschreibt sehr eingehend Büttners „Das Hinterland von Angra Pequena und Wnlfischbni."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/259>, abgerufen am 28.07.2024.