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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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wannen die spanischen Ritter für sich, als sie die Mauren vertrieben hatten,
in diesen Kriegen erlebte Spanien sein Heldenzeitalter, und damit, daß es als
Wall gegen den Islam diente, hat es wohl im höhern, geschichtlichen Sinne
Europa den einzigen wirklichen Dienst geleistet. Für sich selbst wußte es keinen
Gewinn daraus zu ziehen. Als Granada längst gefallen und alle Gefahr
vorüber war, lebte dies Rittertum noch weiter, in der vornehmen Gesellschaft
und ihren Sitten, aber auch in der Litteratur, in dem bekannten historischen
Schauspiel. Zu keiner Zeit und in keinem andern Lande ist ein ganzes Volk
von einer Litteraturgattung so ergriffen worden, wie das spanische von diesem
Drama um 1600: man spielte und deklamirte überall, und wenn nur Bettler
zusammensaßen oder Straßenjungen einander begegneten, so improvisirte man ein
kleines Theater. Im Mittelpunkt alles Interesses aber stand eine Zeit lang, bis
die höfische Kunst und das Gesellschaftsstück die Oberhand bekamen, neben dem
geistlichen Drama dieses noch ganz ernstgenommne Spiel mit Figuren aus der
Zeit der Mohrenkriege. Nicht lange nach dem Drama kam dann auch eine
kurze, aber glänzende Malerei, die das, was der Spanier liebt, schön, aber ein¬
seitig zum Ausdruck brachte. Velazauez feiert den spanischen Hochmut, Murillo
die Devotion. Ja, diese Devotion! Zu derselben Zeit, als man sich im
Theater an dem Ruhm der Vorfahren berauschte, als wären ihre Thaten von
heute, als man diese lieblichen, weichen Bilder mit ihren entzückend gemalten
Visionen, den stillen Heiligen unter goldnen Wolken mit lustigen Engelchen
darauf, malen ließ und zum allgemeinen Genuß in die Kirchen stiftete: da hielt
man für solche, die nicht zum Kreise dieser Kunstfreunde gehörten, in der Stille
die Anregungen der Inquisition bereit, und die harmlosen, fleißigen und kunst¬
fertigen Nachkommen der Mohren, gegen die man einst im Felde gestanden
hatte, hetzte man nun zu Tode, wie Wild auf der Treibjagd. Der Boden
war doch schon ganz verrottet und versumpft, aus dem diese zweite, mehr
nationale Kultur der Spanier, glanzvoll und kurzlebig, hervorwuchs. Manche
halten Cervantes für den größten spanischen Dichter und stellen ihn noch über
die Dramatiker; der klügste war er jedenfalls und der seine Zeit am richtigsten
beurteilte: er konnte das feierliche Pathos nicht mehr mitmachen und erhielt
sich wenigstens die Gabe des Lachens.

Wer sich das alles vergegenwärtigt, wird sich schwerlich noch wundern
über den Zustand, mit dem Spanien in unser bald zu Ende gehendes Jahr¬
hundert eintrat. Die historische Tapferkeit bewährte sich noch in der Verteidi¬
gung des Landes gegen Napoleon, die Lust am Kriegsspiel zeigte sich dann
in vielen innern Kämpfen, die stolze Rede in manchem wohlgesetzten Pronnn-
cicnncnto, aber zu einem regelrechten Feldzuge außerhalb der Grenzen, zu einem
Messen mit europäischen Truppen konnte Spanien bei dem Tiefstand seiner
Macht in Europa keine Gelegenheit mehr haben; selbst vor Grenzkonflikten
war es bei seiner glücklichen Lage sicher. Nun ragte dieses tief im Mittel-


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wannen die spanischen Ritter für sich, als sie die Mauren vertrieben hatten,
in diesen Kriegen erlebte Spanien sein Heldenzeitalter, und damit, daß es als
Wall gegen den Islam diente, hat es wohl im höhern, geschichtlichen Sinne
Europa den einzigen wirklichen Dienst geleistet. Für sich selbst wußte es keinen
Gewinn daraus zu ziehen. Als Granada längst gefallen und alle Gefahr
vorüber war, lebte dies Rittertum noch weiter, in der vornehmen Gesellschaft
und ihren Sitten, aber auch in der Litteratur, in dem bekannten historischen
Schauspiel. Zu keiner Zeit und in keinem andern Lande ist ein ganzes Volk
von einer Litteraturgattung so ergriffen worden, wie das spanische von diesem
Drama um 1600: man spielte und deklamirte überall, und wenn nur Bettler
zusammensaßen oder Straßenjungen einander begegneten, so improvisirte man ein
kleines Theater. Im Mittelpunkt alles Interesses aber stand eine Zeit lang, bis
die höfische Kunst und das Gesellschaftsstück die Oberhand bekamen, neben dem
geistlichen Drama dieses noch ganz ernstgenommne Spiel mit Figuren aus der
Zeit der Mohrenkriege. Nicht lange nach dem Drama kam dann auch eine
kurze, aber glänzende Malerei, die das, was der Spanier liebt, schön, aber ein¬
seitig zum Ausdruck brachte. Velazauez feiert den spanischen Hochmut, Murillo
die Devotion. Ja, diese Devotion! Zu derselben Zeit, als man sich im
Theater an dem Ruhm der Vorfahren berauschte, als wären ihre Thaten von
heute, als man diese lieblichen, weichen Bilder mit ihren entzückend gemalten
Visionen, den stillen Heiligen unter goldnen Wolken mit lustigen Engelchen
darauf, malen ließ und zum allgemeinen Genuß in die Kirchen stiftete: da hielt
man für solche, die nicht zum Kreise dieser Kunstfreunde gehörten, in der Stille
die Anregungen der Inquisition bereit, und die harmlosen, fleißigen und kunst¬
fertigen Nachkommen der Mohren, gegen die man einst im Felde gestanden
hatte, hetzte man nun zu Tode, wie Wild auf der Treibjagd. Der Boden
war doch schon ganz verrottet und versumpft, aus dem diese zweite, mehr
nationale Kultur der Spanier, glanzvoll und kurzlebig, hervorwuchs. Manche
halten Cervantes für den größten spanischen Dichter und stellen ihn noch über
die Dramatiker; der klügste war er jedenfalls und der seine Zeit am richtigsten
beurteilte: er konnte das feierliche Pathos nicht mehr mitmachen und erhielt
sich wenigstens die Gabe des Lachens.

Wer sich das alles vergegenwärtigt, wird sich schwerlich noch wundern
über den Zustand, mit dem Spanien in unser bald zu Ende gehendes Jahr¬
hundert eintrat. Die historische Tapferkeit bewährte sich noch in der Verteidi¬
gung des Landes gegen Napoleon, die Lust am Kriegsspiel zeigte sich dann
in vielen innern Kämpfen, die stolze Rede in manchem wohlgesetzten Pronnn-
cicnncnto, aber zu einem regelrechten Feldzuge außerhalb der Grenzen, zu einem
Messen mit europäischen Truppen konnte Spanien bei dem Tiefstand seiner
Macht in Europa keine Gelegenheit mehr haben; selbst vor Grenzkonflikten
war es bei seiner glücklichen Lage sicher. Nun ragte dieses tief im Mittel-


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[0251] spanisches wannen die spanischen Ritter für sich, als sie die Mauren vertrieben hatten, in diesen Kriegen erlebte Spanien sein Heldenzeitalter, und damit, daß es als Wall gegen den Islam diente, hat es wohl im höhern, geschichtlichen Sinne Europa den einzigen wirklichen Dienst geleistet. Für sich selbst wußte es keinen Gewinn daraus zu ziehen. Als Granada längst gefallen und alle Gefahr vorüber war, lebte dies Rittertum noch weiter, in der vornehmen Gesellschaft und ihren Sitten, aber auch in der Litteratur, in dem bekannten historischen Schauspiel. Zu keiner Zeit und in keinem andern Lande ist ein ganzes Volk von einer Litteraturgattung so ergriffen worden, wie das spanische von diesem Drama um 1600: man spielte und deklamirte überall, und wenn nur Bettler zusammensaßen oder Straßenjungen einander begegneten, so improvisirte man ein kleines Theater. Im Mittelpunkt alles Interesses aber stand eine Zeit lang, bis die höfische Kunst und das Gesellschaftsstück die Oberhand bekamen, neben dem geistlichen Drama dieses noch ganz ernstgenommne Spiel mit Figuren aus der Zeit der Mohrenkriege. Nicht lange nach dem Drama kam dann auch eine kurze, aber glänzende Malerei, die das, was der Spanier liebt, schön, aber ein¬ seitig zum Ausdruck brachte. Velazauez feiert den spanischen Hochmut, Murillo die Devotion. Ja, diese Devotion! Zu derselben Zeit, als man sich im Theater an dem Ruhm der Vorfahren berauschte, als wären ihre Thaten von heute, als man diese lieblichen, weichen Bilder mit ihren entzückend gemalten Visionen, den stillen Heiligen unter goldnen Wolken mit lustigen Engelchen darauf, malen ließ und zum allgemeinen Genuß in die Kirchen stiftete: da hielt man für solche, die nicht zum Kreise dieser Kunstfreunde gehörten, in der Stille die Anregungen der Inquisition bereit, und die harmlosen, fleißigen und kunst¬ fertigen Nachkommen der Mohren, gegen die man einst im Felde gestanden hatte, hetzte man nun zu Tode, wie Wild auf der Treibjagd. Der Boden war doch schon ganz verrottet und versumpft, aus dem diese zweite, mehr nationale Kultur der Spanier, glanzvoll und kurzlebig, hervorwuchs. Manche halten Cervantes für den größten spanischen Dichter und stellen ihn noch über die Dramatiker; der klügste war er jedenfalls und der seine Zeit am richtigsten beurteilte: er konnte das feierliche Pathos nicht mehr mitmachen und erhielt sich wenigstens die Gabe des Lachens. Wer sich das alles vergegenwärtigt, wird sich schwerlich noch wundern über den Zustand, mit dem Spanien in unser bald zu Ende gehendes Jahr¬ hundert eintrat. Die historische Tapferkeit bewährte sich noch in der Verteidi¬ gung des Landes gegen Napoleon, die Lust am Kriegsspiel zeigte sich dann in vielen innern Kämpfen, die stolze Rede in manchem wohlgesetzten Pronnn- cicnncnto, aber zu einem regelrechten Feldzuge außerhalb der Grenzen, zu einem Messen mit europäischen Truppen konnte Spanien bei dem Tiefstand seiner Macht in Europa keine Gelegenheit mehr haben; selbst vor Grenzkonflikten war es bei seiner glücklichen Lage sicher. Nun ragte dieses tief im Mittel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/251>, abgerufen am 28.07.2024.