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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung

zieher anführen. Diese sind jedoch, wie Bähr es zutreffend ausdrückt, "echte
Sprößlinge französischen Wesens," überdies größtenteils Militäranwärter, zu
deren Versorgung der Staat verpflichtet ist.

3. Die französische Notariatsverfassung widerspricht der deutschen An¬
schauung und Rechtsentwicklung; sie ist eben fremden Ursprungs. In Deutsch¬
land wurde ursprünglich die gesamte streitige wie die freiwillige Gerichtsbarkeit
von den Gemeinden, später von den landesherrlichen Gerichten ausgeübt; der
Notar kommt daneben nur als Beurkuudungsbeamter vor, und die Einrichtung
des Notariats als ausschließlichen Organs zur Erledigung der freiwilligen
Gerichtsbarkeit erklärt sich lediglich durch die mit der französischen Herrschaft
und Gesetzgebung übernommne Anschauung, daß den Gerichten lediglich die
streitige Rechtspflege obliege.

4. Gegen die französische Einrichtung des selbständigen Notariats und
für die altpreußische Einrichtung einer bloßen Übertragung des Beurkundungs¬
wesens an die Rechtsanwälte spricht aber am meisten die schon von Gneist
hervorgehobne Rücksicht auf die wissenschaftliche Ausübung des Notariats; nur
die altpreußische Einrichtung bietet eine Gewähr gegen den "handwerksmäßigen
Betrieb des Notariats." Die oben bezeichneten Amtsgeschäfte des Notars bei
der französischen Notariatsverfassung werden in andern Rechtsgebieten teils
as Mrö, teils 6s taeto gewöhnlich von Subalternbenmten besorgt, so die Siege¬
lungen, Jnventarisationen und die, Wechselproteste; diese Proteste pflegen, ob¬
gleich manchmal schwierige Rechtsfragen vorliegen, fast ausnahmslos einfach
formularmüßig zu erfolgen. Daß bei Erbteilungen schwierige Fragen vor¬
kommen können, ist klar, aber auch die werden regelmäßig Mi? formularmäßig
erledigt. Vorkommende Schwierigkeiten sind fast immer nur rechnerischer Natur,
und gerade hier tritt der Kalkulator, also der Gerichtsschreiber, in seine Rechte.
Daß bei Snbhastationen sehr schwierige Rechtsfragen entstehen können, ist be¬
kannt, ebenso aber auch, daß, die Abhaltung dieser Termine im allgemeinen
ganz glatt verläuft; sie, erfordern wiederum vorzugsweise eine rein rechnerische
Thätigkeit des Gerichtsschreibers durch kalkulatorische Feststellungen. Nach den
Gesetzen von Württemberg, Oldenburg, Hamburg liegt die Abhaltung dieser
Termine auch den Gemeindebehörden und Gerichtsschreibern ob. In dem
sonstigen Veurkundungswesen aber, insbesondre bei der Aufnahme von Ver¬
trägen, begegnen wir im Gebiete der französischen Notariatsverfassung der auf¬
fallenden Thatsache, daß die. Notare ihre Thätigkeit auf die Aufnahme von
Rechtsgeschäften beschränken, die dem Familienrecht angehören, wie etwa Ehe¬
verträge, wo also wiederum das Formular zur Geltung kommt.

Der badische Notar ist gar nicht geneigt. Verträge aus dem Gebiet der
dinglichen Rechte und dem Obligationenrecht, am wenigsten Verträge aus dem
Handelsrecht aufzunehmen, und die Rechtsuchenden wenden sich deshalb, wenn
sie derartige Verträge, insbesondre handelsrechtliche Gesellschaftsverträge ab-


Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung

zieher anführen. Diese sind jedoch, wie Bähr es zutreffend ausdrückt, „echte
Sprößlinge französischen Wesens," überdies größtenteils Militäranwärter, zu
deren Versorgung der Staat verpflichtet ist.

3. Die französische Notariatsverfassung widerspricht der deutschen An¬
schauung und Rechtsentwicklung; sie ist eben fremden Ursprungs. In Deutsch¬
land wurde ursprünglich die gesamte streitige wie die freiwillige Gerichtsbarkeit
von den Gemeinden, später von den landesherrlichen Gerichten ausgeübt; der
Notar kommt daneben nur als Beurkuudungsbeamter vor, und die Einrichtung
des Notariats als ausschließlichen Organs zur Erledigung der freiwilligen
Gerichtsbarkeit erklärt sich lediglich durch die mit der französischen Herrschaft
und Gesetzgebung übernommne Anschauung, daß den Gerichten lediglich die
streitige Rechtspflege obliege.

4. Gegen die französische Einrichtung des selbständigen Notariats und
für die altpreußische Einrichtung einer bloßen Übertragung des Beurkundungs¬
wesens an die Rechtsanwälte spricht aber am meisten die schon von Gneist
hervorgehobne Rücksicht auf die wissenschaftliche Ausübung des Notariats; nur
die altpreußische Einrichtung bietet eine Gewähr gegen den „handwerksmäßigen
Betrieb des Notariats." Die oben bezeichneten Amtsgeschäfte des Notars bei
der französischen Notariatsverfassung werden in andern Rechtsgebieten teils
as Mrö, teils 6s taeto gewöhnlich von Subalternbenmten besorgt, so die Siege¬
lungen, Jnventarisationen und die, Wechselproteste; diese Proteste pflegen, ob¬
gleich manchmal schwierige Rechtsfragen vorliegen, fast ausnahmslos einfach
formularmüßig zu erfolgen. Daß bei Erbteilungen schwierige Fragen vor¬
kommen können, ist klar, aber auch die werden regelmäßig Mi? formularmäßig
erledigt. Vorkommende Schwierigkeiten sind fast immer nur rechnerischer Natur,
und gerade hier tritt der Kalkulator, also der Gerichtsschreiber, in seine Rechte.
Daß bei Snbhastationen sehr schwierige Rechtsfragen entstehen können, ist be¬
kannt, ebenso aber auch, daß, die Abhaltung dieser Termine im allgemeinen
ganz glatt verläuft; sie, erfordern wiederum vorzugsweise eine rein rechnerische
Thätigkeit des Gerichtsschreibers durch kalkulatorische Feststellungen. Nach den
Gesetzen von Württemberg, Oldenburg, Hamburg liegt die Abhaltung dieser
Termine auch den Gemeindebehörden und Gerichtsschreibern ob. In dem
sonstigen Veurkundungswesen aber, insbesondre bei der Aufnahme von Ver¬
trägen, begegnen wir im Gebiete der französischen Notariatsverfassung der auf¬
fallenden Thatsache, daß die. Notare ihre Thätigkeit auf die Aufnahme von
Rechtsgeschäften beschränken, die dem Familienrecht angehören, wie etwa Ehe¬
verträge, wo also wiederum das Formular zur Geltung kommt.

Der badische Notar ist gar nicht geneigt. Verträge aus dem Gebiet der
dinglichen Rechte und dem Obligationenrecht, am wenigsten Verträge aus dem
Handelsrecht aufzunehmen, und die Rechtsuchenden wenden sich deshalb, wenn
sie derartige Verträge, insbesondre handelsrechtliche Gesellschaftsverträge ab-


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[0218] Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung zieher anführen. Diese sind jedoch, wie Bähr es zutreffend ausdrückt, „echte Sprößlinge französischen Wesens," überdies größtenteils Militäranwärter, zu deren Versorgung der Staat verpflichtet ist. 3. Die französische Notariatsverfassung widerspricht der deutschen An¬ schauung und Rechtsentwicklung; sie ist eben fremden Ursprungs. In Deutsch¬ land wurde ursprünglich die gesamte streitige wie die freiwillige Gerichtsbarkeit von den Gemeinden, später von den landesherrlichen Gerichten ausgeübt; der Notar kommt daneben nur als Beurkuudungsbeamter vor, und die Einrichtung des Notariats als ausschließlichen Organs zur Erledigung der freiwilligen Gerichtsbarkeit erklärt sich lediglich durch die mit der französischen Herrschaft und Gesetzgebung übernommne Anschauung, daß den Gerichten lediglich die streitige Rechtspflege obliege. 4. Gegen die französische Einrichtung des selbständigen Notariats und für die altpreußische Einrichtung einer bloßen Übertragung des Beurkundungs¬ wesens an die Rechtsanwälte spricht aber am meisten die schon von Gneist hervorgehobne Rücksicht auf die wissenschaftliche Ausübung des Notariats; nur die altpreußische Einrichtung bietet eine Gewähr gegen den „handwerksmäßigen Betrieb des Notariats." Die oben bezeichneten Amtsgeschäfte des Notars bei der französischen Notariatsverfassung werden in andern Rechtsgebieten teils as Mrö, teils 6s taeto gewöhnlich von Subalternbenmten besorgt, so die Siege¬ lungen, Jnventarisationen und die, Wechselproteste; diese Proteste pflegen, ob¬ gleich manchmal schwierige Rechtsfragen vorliegen, fast ausnahmslos einfach formularmüßig zu erfolgen. Daß bei Erbteilungen schwierige Fragen vor¬ kommen können, ist klar, aber auch die werden regelmäßig Mi? formularmäßig erledigt. Vorkommende Schwierigkeiten sind fast immer nur rechnerischer Natur, und gerade hier tritt der Kalkulator, also der Gerichtsschreiber, in seine Rechte. Daß bei Snbhastationen sehr schwierige Rechtsfragen entstehen können, ist be¬ kannt, ebenso aber auch, daß, die Abhaltung dieser Termine im allgemeinen ganz glatt verläuft; sie, erfordern wiederum vorzugsweise eine rein rechnerische Thätigkeit des Gerichtsschreibers durch kalkulatorische Feststellungen. Nach den Gesetzen von Württemberg, Oldenburg, Hamburg liegt die Abhaltung dieser Termine auch den Gemeindebehörden und Gerichtsschreibern ob. In dem sonstigen Veurkundungswesen aber, insbesondre bei der Aufnahme von Ver¬ trägen, begegnen wir im Gebiete der französischen Notariatsverfassung der auf¬ fallenden Thatsache, daß die. Notare ihre Thätigkeit auf die Aufnahme von Rechtsgeschäften beschränken, die dem Familienrecht angehören, wie etwa Ehe¬ verträge, wo also wiederum das Formular zur Geltung kommt. Der badische Notar ist gar nicht geneigt. Verträge aus dem Gebiet der dinglichen Rechte und dem Obligationenrecht, am wenigsten Verträge aus dem Handelsrecht aufzunehmen, und die Rechtsuchenden wenden sich deshalb, wenn sie derartige Verträge, insbesondre handelsrechtliche Gesellschaftsverträge ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/218>, abgerufen am 01.09.2024.