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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Ein sächsisches Gymnasium wahrend des Krieges von ^370/7^

erklärte von fünf unsrer Gymnasiasten vier als diensttauglich; auch sie hatten
unter Umständen noch die Gelegenheit, ins Feld zu gehen.

Die Weihnachtsferien verliefen sehr still, doch in wachsender Spannung;
man sah, draußen ging es doch allmählich zu Ende. Mit grimmiger Genug¬
thuung vernahm man, daß die ungeduldig erwartete Beschießung von Paris
in den letzten Tagen des Jahres endlich begonnen habe, aber wie schwere
Opfer der Krieg beständig noch forderte, daran wurden wir doch immer wieder
erinnert. Gerade in den Weihnachtstagen brachte ein langer Zug durch hohen
Schnee und bei eisigem Winde Hunderte von Verwundeten aus den Schlachten
an der Loire; manche waren mit bis vor Tours gewesen. Dann gingen in
den ersten Januartagen 1871 Verstärkungen aller möglichen Waffengattungen
von verschiednen Armeekorps nach dem südwestlichen Kriegsschauplatze durch,
darunter die zweite leichte sächsische Reservebatterie Krutzsch; die sichtliche Eile
dabei verriet, daß es sich um etwas Großes handelte. In der That waren
sie zur Verstärkung Werders bestimmt und fochten dann am 15., 16. und
17. Januar mit gegen Bourbaki an der Lisaine. Verwundete, die später von
dort zurückkehrten, erzählten mit schlichten Worten von dem heldenmütigen
Kampfe: "Wir sagten uns, hier kommt niemand durch, und es ist niemand
durchgekommen."

Schon wußten wir, daß über den Anschluß der süddeutschen Staaten an
den Norddeutschen Bund und über die Erneuerung des Deutschen Reichs ver¬
handelt werde, und beobachteten mit tiefem Unmut die Haltung des bayrischen
Landtags, aber die Nachricht von der Kaiserproklamation zu Versailles kam
uns doch überraschend. Da eine amtliche Verkündigung bei uns nicht statt¬
fand, so vollzog ich sie auf eigne Faust, indem ich in meinen Geschichtsklassen
die Proklamation Kaiser Wilhelms vorlas und daran einige Bemerkungen über
den Unterschied des mittelalterlichen und des neuen Kaisertums knüpfte. Mit
diesem ruhmvollen Abschluß der deutschen Entwicklung verband sich der nicht
minder ruhmvolle des Krieges. Am Nachmittage eines Sonntags, des
29. Januar, traf die Depesche ein, daß Paris kapitulirt habe. Rasch bedeckten
sich die Häuser mit Fahnen, abends war die Stadt illuminirt, und das Sieges¬
geläute hallte ins Land hinaus. Da wir nun den baldigen Abschluß des
Friedens erwarten durften, so rüstete sich alles auf eine große allgemeine
Feier und harrte mit unsäglicher Spannung der Nachricht. Es war am
27. Februar, Montags, als gegen Mittag, noch während der letzten Unterrichts¬
stunde das Telegramm einlief, daß der Vorfriede unterzeichnet sei. Sobald
die ersehnten Flaggen auf dem Rathause aufstiegen, die ich vom Katheder der
Prima aus sehen konnte, wurde die Schule geschlossen, und alles zerstreute sich
in die Stadt. Nur die Annahme der Friedensbedingungen durch die National¬
versammlung in Bordeaux stand noch aus. Tag für Tag, Stunde für Stunde
harrten wir ungeduldig; endlich am Freitag, am 3. Mnrz nachmittags, hieß es,


Ein sächsisches Gymnasium wahrend des Krieges von ^370/7^

erklärte von fünf unsrer Gymnasiasten vier als diensttauglich; auch sie hatten
unter Umständen noch die Gelegenheit, ins Feld zu gehen.

Die Weihnachtsferien verliefen sehr still, doch in wachsender Spannung;
man sah, draußen ging es doch allmählich zu Ende. Mit grimmiger Genug¬
thuung vernahm man, daß die ungeduldig erwartete Beschießung von Paris
in den letzten Tagen des Jahres endlich begonnen habe, aber wie schwere
Opfer der Krieg beständig noch forderte, daran wurden wir doch immer wieder
erinnert. Gerade in den Weihnachtstagen brachte ein langer Zug durch hohen
Schnee und bei eisigem Winde Hunderte von Verwundeten aus den Schlachten
an der Loire; manche waren mit bis vor Tours gewesen. Dann gingen in
den ersten Januartagen 1871 Verstärkungen aller möglichen Waffengattungen
von verschiednen Armeekorps nach dem südwestlichen Kriegsschauplatze durch,
darunter die zweite leichte sächsische Reservebatterie Krutzsch; die sichtliche Eile
dabei verriet, daß es sich um etwas Großes handelte. In der That waren
sie zur Verstärkung Werders bestimmt und fochten dann am 15., 16. und
17. Januar mit gegen Bourbaki an der Lisaine. Verwundete, die später von
dort zurückkehrten, erzählten mit schlichten Worten von dem heldenmütigen
Kampfe: „Wir sagten uns, hier kommt niemand durch, und es ist niemand
durchgekommen."

Schon wußten wir, daß über den Anschluß der süddeutschen Staaten an
den Norddeutschen Bund und über die Erneuerung des Deutschen Reichs ver¬
handelt werde, und beobachteten mit tiefem Unmut die Haltung des bayrischen
Landtags, aber die Nachricht von der Kaiserproklamation zu Versailles kam
uns doch überraschend. Da eine amtliche Verkündigung bei uns nicht statt¬
fand, so vollzog ich sie auf eigne Faust, indem ich in meinen Geschichtsklassen
die Proklamation Kaiser Wilhelms vorlas und daran einige Bemerkungen über
den Unterschied des mittelalterlichen und des neuen Kaisertums knüpfte. Mit
diesem ruhmvollen Abschluß der deutschen Entwicklung verband sich der nicht
minder ruhmvolle des Krieges. Am Nachmittage eines Sonntags, des
29. Januar, traf die Depesche ein, daß Paris kapitulirt habe. Rasch bedeckten
sich die Häuser mit Fahnen, abends war die Stadt illuminirt, und das Sieges¬
geläute hallte ins Land hinaus. Da wir nun den baldigen Abschluß des
Friedens erwarten durften, so rüstete sich alles auf eine große allgemeine
Feier und harrte mit unsäglicher Spannung der Nachricht. Es war am
27. Februar, Montags, als gegen Mittag, noch während der letzten Unterrichts¬
stunde das Telegramm einlief, daß der Vorfriede unterzeichnet sei. Sobald
die ersehnten Flaggen auf dem Rathause aufstiegen, die ich vom Katheder der
Prima aus sehen konnte, wurde die Schule geschlossen, und alles zerstreute sich
in die Stadt. Nur die Annahme der Friedensbedingungen durch die National¬
versammlung in Bordeaux stand noch aus. Tag für Tag, Stunde für Stunde
harrten wir ungeduldig; endlich am Freitag, am 3. Mnrz nachmittags, hieß es,


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[0212] Ein sächsisches Gymnasium wahrend des Krieges von ^370/7^ erklärte von fünf unsrer Gymnasiasten vier als diensttauglich; auch sie hatten unter Umständen noch die Gelegenheit, ins Feld zu gehen. Die Weihnachtsferien verliefen sehr still, doch in wachsender Spannung; man sah, draußen ging es doch allmählich zu Ende. Mit grimmiger Genug¬ thuung vernahm man, daß die ungeduldig erwartete Beschießung von Paris in den letzten Tagen des Jahres endlich begonnen habe, aber wie schwere Opfer der Krieg beständig noch forderte, daran wurden wir doch immer wieder erinnert. Gerade in den Weihnachtstagen brachte ein langer Zug durch hohen Schnee und bei eisigem Winde Hunderte von Verwundeten aus den Schlachten an der Loire; manche waren mit bis vor Tours gewesen. Dann gingen in den ersten Januartagen 1871 Verstärkungen aller möglichen Waffengattungen von verschiednen Armeekorps nach dem südwestlichen Kriegsschauplatze durch, darunter die zweite leichte sächsische Reservebatterie Krutzsch; die sichtliche Eile dabei verriet, daß es sich um etwas Großes handelte. In der That waren sie zur Verstärkung Werders bestimmt und fochten dann am 15., 16. und 17. Januar mit gegen Bourbaki an der Lisaine. Verwundete, die später von dort zurückkehrten, erzählten mit schlichten Worten von dem heldenmütigen Kampfe: „Wir sagten uns, hier kommt niemand durch, und es ist niemand durchgekommen." Schon wußten wir, daß über den Anschluß der süddeutschen Staaten an den Norddeutschen Bund und über die Erneuerung des Deutschen Reichs ver¬ handelt werde, und beobachteten mit tiefem Unmut die Haltung des bayrischen Landtags, aber die Nachricht von der Kaiserproklamation zu Versailles kam uns doch überraschend. Da eine amtliche Verkündigung bei uns nicht statt¬ fand, so vollzog ich sie auf eigne Faust, indem ich in meinen Geschichtsklassen die Proklamation Kaiser Wilhelms vorlas und daran einige Bemerkungen über den Unterschied des mittelalterlichen und des neuen Kaisertums knüpfte. Mit diesem ruhmvollen Abschluß der deutschen Entwicklung verband sich der nicht minder ruhmvolle des Krieges. Am Nachmittage eines Sonntags, des 29. Januar, traf die Depesche ein, daß Paris kapitulirt habe. Rasch bedeckten sich die Häuser mit Fahnen, abends war die Stadt illuminirt, und das Sieges¬ geläute hallte ins Land hinaus. Da wir nun den baldigen Abschluß des Friedens erwarten durften, so rüstete sich alles auf eine große allgemeine Feier und harrte mit unsäglicher Spannung der Nachricht. Es war am 27. Februar, Montags, als gegen Mittag, noch während der letzten Unterrichts¬ stunde das Telegramm einlief, daß der Vorfriede unterzeichnet sei. Sobald die ersehnten Flaggen auf dem Rathause aufstiegen, die ich vom Katheder der Prima aus sehen konnte, wurde die Schule geschlossen, und alles zerstreute sich in die Stadt. Nur die Annahme der Friedensbedingungen durch die National¬ versammlung in Bordeaux stand noch aus. Tag für Tag, Stunde für Stunde harrten wir ungeduldig; endlich am Freitag, am 3. Mnrz nachmittags, hieß es,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/212>, abgerufen am 28.07.2024.