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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der fünfte Band des Bismarck-Jahrbuchs

richter und kleinstädtische Schwärmer zu regieren" sei. Die "öffentliche Meinung"
in Deutschland könne Preußen für eine Unions- oder Hegemoniepolitik gar
nichts nützen; Österreich spiele nur mit deutschen Sympathien und werde sich
im geeigneten Moment auf seine europäische Stellung zurückziehen. Mit seiner
von Goltz so heftig bekämpften Politik habe er, Bismarck, bisher glänzende
Erfolge gehabt, die "Bregenzer Koalition" sei gesprengt, Österreich suche die
Allianz mit Preußen statt mit den "Würzburgern." "Dabei sind wir von
Frankreich gesucht, unsre Stimme hat in London und Petersburg das Gewicht,
was ihr seit zwanzig Jahren verloren war." Auch er traue Österreich "nicht
über den Weg," aber er finde es für jetzt richtig, mit Österreich zu gehen.
"Ich bin dabei in keiner Weise kriegsscheu >in Bezug auf Dänemarks im
Gegenteil, bin auch gleichgiltig gegen revolutionär oder konservativ wie gegen
alle Phrasen; Sie werden sich vielleicht bald überzeugen, daß der Krieg auch
in meinem Programm liegt; ich halte nur Ihren Weg, dazu zu gelangen, für
einen staatsmännisch unrichtigen. Daß Sie dabei im Einverständnis mit
Pfordten, Beust, Dalwigk und wie unsre Gegner alle heißen, sich befinden,
macht für mich die Seite, die Sie vertreten, weder zur revolutionären noch
zur konservativen, aber nicht zur richtigen für Preußen. Mögen Sie den
Londoner Vertrag revolutionär nennen, die Wiener Traktate waren es zehnmal
mehr und zehnmal ungerechter gegen viele Fürsten, Städte und Länder, und
das europäische Recht wird eben durch europäische Traktate geschaffen." -- "Ich
habe eine hohe Meinung von Ihrer politischen Einsicht; aber ich halte mich
selbst auch nicht für dumm; ich bin darauf gefaßt, daß Sie sagen, dies sei
eine Selbsttäuschung." -- "Ich habe nicht die Hoffnung, Sie zu überzeugen,
aber ich habe das Vertrauen zu Ihrer eignen dienstlichen Erfahrung und zu
Ihrer Unparteilichkeit, daß Sie mir zugeben werden, es kann nur eine Politik
auf einmal gemacht werden, und das muß die sein, über welche das Mini¬
sterium mit dem König einig ist." In der That ließ sich Goltz nicht über¬
zeugen, sondern er antwortete noch im Laufe des Dezember mit einem langen
Schreiben, zu dem Bismarck eine Reihe zum Teil sehr charakteristischer kurzer
Randbemerkungen gemacht hat. In den Zusammenhang dieser Schleswig-hol¬
steinischen Frage gehören auch ein Brief des Erbprinzen von Augustenburg an
Bismarck (Dezember 1863), worin er die ihm von der Presse zugeschriebne
Äußerung: "Herr von Bismarck sei sein Freund nicht" in Abrede stellt, zwei
kurze Schreiben König Wilhelms vom 16. und 18. Januar 1864 über eine
Besprechung des Monarchen mit Samwer, dem Agenten des Herzogs, die der
Kronprinz bei einer Abendgesellschaft in seinem Palais vermittelte, und ein
Stimmungsbericht aus Holstein vom 11. Juni 1864, der hervorhebt, daß dort
von Sympathien für Friedrich (VIII.) gar keine Rede sei, daß man vor allem
Sicherheit für die Zukunft wolle ("man will in Preußen aufgehen"), und daß
sich die preußische Armee die allgemeinen Sympathien erobert habe.


Grenzboten III 18S8 22
Der fünfte Band des Bismarck-Jahrbuchs

richter und kleinstädtische Schwärmer zu regieren" sei. Die „öffentliche Meinung"
in Deutschland könne Preußen für eine Unions- oder Hegemoniepolitik gar
nichts nützen; Österreich spiele nur mit deutschen Sympathien und werde sich
im geeigneten Moment auf seine europäische Stellung zurückziehen. Mit seiner
von Goltz so heftig bekämpften Politik habe er, Bismarck, bisher glänzende
Erfolge gehabt, die „Bregenzer Koalition" sei gesprengt, Österreich suche die
Allianz mit Preußen statt mit den „Würzburgern." „Dabei sind wir von
Frankreich gesucht, unsre Stimme hat in London und Petersburg das Gewicht,
was ihr seit zwanzig Jahren verloren war." Auch er traue Österreich „nicht
über den Weg," aber er finde es für jetzt richtig, mit Österreich zu gehen.
„Ich bin dabei in keiner Weise kriegsscheu >in Bezug auf Dänemarks im
Gegenteil, bin auch gleichgiltig gegen revolutionär oder konservativ wie gegen
alle Phrasen; Sie werden sich vielleicht bald überzeugen, daß der Krieg auch
in meinem Programm liegt; ich halte nur Ihren Weg, dazu zu gelangen, für
einen staatsmännisch unrichtigen. Daß Sie dabei im Einverständnis mit
Pfordten, Beust, Dalwigk und wie unsre Gegner alle heißen, sich befinden,
macht für mich die Seite, die Sie vertreten, weder zur revolutionären noch
zur konservativen, aber nicht zur richtigen für Preußen. Mögen Sie den
Londoner Vertrag revolutionär nennen, die Wiener Traktate waren es zehnmal
mehr und zehnmal ungerechter gegen viele Fürsten, Städte und Länder, und
das europäische Recht wird eben durch europäische Traktate geschaffen." — „Ich
habe eine hohe Meinung von Ihrer politischen Einsicht; aber ich halte mich
selbst auch nicht für dumm; ich bin darauf gefaßt, daß Sie sagen, dies sei
eine Selbsttäuschung." — „Ich habe nicht die Hoffnung, Sie zu überzeugen,
aber ich habe das Vertrauen zu Ihrer eignen dienstlichen Erfahrung und zu
Ihrer Unparteilichkeit, daß Sie mir zugeben werden, es kann nur eine Politik
auf einmal gemacht werden, und das muß die sein, über welche das Mini¬
sterium mit dem König einig ist." In der That ließ sich Goltz nicht über¬
zeugen, sondern er antwortete noch im Laufe des Dezember mit einem langen
Schreiben, zu dem Bismarck eine Reihe zum Teil sehr charakteristischer kurzer
Randbemerkungen gemacht hat. In den Zusammenhang dieser Schleswig-hol¬
steinischen Frage gehören auch ein Brief des Erbprinzen von Augustenburg an
Bismarck (Dezember 1863), worin er die ihm von der Presse zugeschriebne
Äußerung: „Herr von Bismarck sei sein Freund nicht" in Abrede stellt, zwei
kurze Schreiben König Wilhelms vom 16. und 18. Januar 1864 über eine
Besprechung des Monarchen mit Samwer, dem Agenten des Herzogs, die der
Kronprinz bei einer Abendgesellschaft in seinem Palais vermittelte, und ein
Stimmungsbericht aus Holstein vom 11. Juni 1864, der hervorhebt, daß dort
von Sympathien für Friedrich (VIII.) gar keine Rede sei, daß man vor allem
Sicherheit für die Zukunft wolle („man will in Preußen aufgehen"), und daß
sich die preußische Armee die allgemeinen Sympathien erobert habe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/177>, abgerufen am 28.07.2024.