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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Der fünfte Band des Bismarck-Jahrbuchs

sei noch derselbe wie in Frankfurt, erzählt ihm ein Bekannter 1860; seinen
Abgang aus Frankfurt begrüßt Wentzel am 2. Mai 1859 mit Freude, denn
"er wußte zu gut die Kleinen von sich abhängig zu machen." Und nun diese
"Kleinen"! "Unser größter Gegner ist jetzt Hannover. Von den Ministern
der Mittelstaaten ist Dalwigk der tollste. Pfordten ist keine gute Acquisition,
er ist Jurist und Wortklauber" (1859). "Der nassauische Hofmarschall sagte
neulich, es würde der glücklichste Tag seines Lebens sein^ an welchem Preußen
von den Franzosen das linke Rheinufer genommen würde. Wie viele deutsche
Höfe sind es, wo man nicht ebenso denkt? Und solche Regierungen sollen
unsre Bundesgenossen sein!" (20. April 1860). Dabei erwies sich die ganze
Triaspvlitik von der Pfordtens, Beusts und Dalivigks als völlig unfruchtbar,
denn wie konnten sich Regierungen über eine gemeinsame Organisation ver¬
stündigen, denen die ungeschmälerte Bewahrung ihrer Scheinsouverünität als
das höchste galt, und von denen keine mächtig genug war, sich die andern zu
unterwerfen! Von der "Triaspolitik" war schon 1852 die Rede; ja sie hat
auch bei den trübseligen Verhandlungen über das Schicksal der deutschen Reichs¬
flotte, von denen die Briefe Hannibal Fischers 1852/53 berichten, ohne daß
der beiläufig hochkonservative Mann auch nur das leiseste Gefühl für die
Schmach dieser Vorgänge verriete, eine gewisse Rolle gespielt, denn Hannover
wünschte die Flotte als Nordseegeschwader (neben der preußischen Ostseeflotte
und der österreichischen Marine im Adriatischen Meere) mit der finanziellen
Unterstützung der Binnenstaaten unter seinen Befehl zu bringen, also eine
maritime Trias neben der militärischen des Bundesheeres zu schaffen. Gerade
dieses Streben verschuldete das Scheitern der Verhandlungen, da Hannover
Preußen von seiner Nordsecflotte ausschließen wollte, und führte zu dem
unvergeßlichen Schimpf der Flottenversteigerung (1. Dezember 1852).

Gleich unfruchtbar zeigte sich diese mittelstaatliche Politik, als sie nach
dem italienischen Kriege von 1859 mit den Konferenzen in München und Würz¬
burg wieder kräftiger einsetzte. "Die Vorlagen der Würzburger sind eine
Bankerotterklärung," schreibt Wentzel am 30. Dezember 1859. "Hätten sie ge¬
schwiegen, so Hütte man doch denken können, es wäre wirklich etwas dahinter.
Nun kommen sie mit lauter Dingen, die entweder schon schweben oder sich
als unausführbar gezeigt haben. Aber die drei Vorlagen zeigen fogar
die Uneinigkeit, denn sie gehen alle fünf nicht einmal von allen Würz¬
burgern aus. Die Vorlagen sind jetzt publizirt, jede materielle Begrün¬
dung fehlt, man hat nicht einen neuen Gedanken. -- Über ein Resultat
sollen die Würzburger aber doch erfreut sein, sie sollen sich einig gefunden
haben im Hasse gegen Preußen! Als ob es noch einer Feststellung dieses
Hasses bedurft Hütte! Und solchen Regierungen sollen wir uns auf Tod und
Leben hingeben!" Kläglich zeigte sich die unvermeidliche Uneinigkeit auch, als
die "Würzburger" im Frühjahr 1861 über einen besondern Bundesfeldherrn


Der fünfte Band des Bismarck-Jahrbuchs

sei noch derselbe wie in Frankfurt, erzählt ihm ein Bekannter 1860; seinen
Abgang aus Frankfurt begrüßt Wentzel am 2. Mai 1859 mit Freude, denn
„er wußte zu gut die Kleinen von sich abhängig zu machen." Und nun diese
„Kleinen"! „Unser größter Gegner ist jetzt Hannover. Von den Ministern
der Mittelstaaten ist Dalwigk der tollste. Pfordten ist keine gute Acquisition,
er ist Jurist und Wortklauber" (1859). „Der nassauische Hofmarschall sagte
neulich, es würde der glücklichste Tag seines Lebens sein^ an welchem Preußen
von den Franzosen das linke Rheinufer genommen würde. Wie viele deutsche
Höfe sind es, wo man nicht ebenso denkt? Und solche Regierungen sollen
unsre Bundesgenossen sein!" (20. April 1860). Dabei erwies sich die ganze
Triaspvlitik von der Pfordtens, Beusts und Dalivigks als völlig unfruchtbar,
denn wie konnten sich Regierungen über eine gemeinsame Organisation ver¬
stündigen, denen die ungeschmälerte Bewahrung ihrer Scheinsouverünität als
das höchste galt, und von denen keine mächtig genug war, sich die andern zu
unterwerfen! Von der „Triaspolitik" war schon 1852 die Rede; ja sie hat
auch bei den trübseligen Verhandlungen über das Schicksal der deutschen Reichs¬
flotte, von denen die Briefe Hannibal Fischers 1852/53 berichten, ohne daß
der beiläufig hochkonservative Mann auch nur das leiseste Gefühl für die
Schmach dieser Vorgänge verriete, eine gewisse Rolle gespielt, denn Hannover
wünschte die Flotte als Nordseegeschwader (neben der preußischen Ostseeflotte
und der österreichischen Marine im Adriatischen Meere) mit der finanziellen
Unterstützung der Binnenstaaten unter seinen Befehl zu bringen, also eine
maritime Trias neben der militärischen des Bundesheeres zu schaffen. Gerade
dieses Streben verschuldete das Scheitern der Verhandlungen, da Hannover
Preußen von seiner Nordsecflotte ausschließen wollte, und führte zu dem
unvergeßlichen Schimpf der Flottenversteigerung (1. Dezember 1852).

Gleich unfruchtbar zeigte sich diese mittelstaatliche Politik, als sie nach
dem italienischen Kriege von 1859 mit den Konferenzen in München und Würz¬
burg wieder kräftiger einsetzte. „Die Vorlagen der Würzburger sind eine
Bankerotterklärung," schreibt Wentzel am 30. Dezember 1859. „Hätten sie ge¬
schwiegen, so Hütte man doch denken können, es wäre wirklich etwas dahinter.
Nun kommen sie mit lauter Dingen, die entweder schon schweben oder sich
als unausführbar gezeigt haben. Aber die drei Vorlagen zeigen fogar
die Uneinigkeit, denn sie gehen alle fünf nicht einmal von allen Würz¬
burgern aus. Die Vorlagen sind jetzt publizirt, jede materielle Begrün¬
dung fehlt, man hat nicht einen neuen Gedanken. — Über ein Resultat
sollen die Würzburger aber doch erfreut sein, sie sollen sich einig gefunden
haben im Hasse gegen Preußen! Als ob es noch einer Feststellung dieses
Hasses bedurft Hütte! Und solchen Regierungen sollen wir uns auf Tod und
Leben hingeben!" Kläglich zeigte sich die unvermeidliche Uneinigkeit auch, als
die „Würzburger" im Frühjahr 1861 über einen besondern Bundesfeldherrn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/173>, abgerufen am 01.09.2024.