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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Makedonien

entlang; sowohl sein eigentliches Delta, das antike Emathia und Mygdonia,
heute Niedermakedonien, als die sich um Köprülü (Weiss) gruppirenden Becken
von Mittelmakedonien strotzen von Fruchtbarkeit, und nicht minder rühmens¬
wert ist die weite Ebene um Üsküb, die nicht mehr zum Vilayet Salonik,
sondern schon zu dem an Osterreich und Serbien anstoßenden Vilayet Kossowo
zählt. Und diese Gegenden sind nicht nur fruchtbar, sondern auch kultivirt,
wenn auch entfernt noch nicht so, wie es möglich wäre. Wie die Einöde, die
Konstantinopel umgiebt, wahrhaft entsetzlich ist und ihresgleichen nur noch in
der Campagna Romana findet, so wenig erfreulich sind freilich auch im Vilayet
Saloniki die vielen kahlen Felder, die schlechten Distelweiden und Dornwüsten
und die großen, mit Steingeröll angefüllten Überschwemmungsgebiete, vor
allem aber die grenzenlos verwahrlosten Berge ohne Waldungen, auf denen
sich der in Salonik so gefürchtete, dem Scirocco ähnliche Nordwind mit Glut
und Sand füllt. Dagegen findet man aber auch prächtige Korn- und Mais¬
felder und weite mit Fleiß und Sorgfalt ausgeführte Neisanlagen; Tabak
wächst in guter, zum Teil unübertrefflicher Qualität, und neben blühender
Olivenkultur und Seidenzucht erfreuen zahlreiche Baumwollenfeldcr das Auge.
Die Baumwollstaudcn sind zwar klein und tragen gewöhnlich nur zwei Blüten,
aber der während des amerikanischen Bürgerkriegs hier wie in Ägypten 1863
begonnene Bau hat doch wesentliche Fortschritte gemacht. Obwohl diese Baum¬
wolle einen etwas kürzern Faden hat, so wird sie an Feinheit nur von der
ägyptischen übertroffen, von der amerikanischen aber nicht erreicht. Durchaus
noch nicht auf der Höhe steht die Weinkultur, sowohl in der Auswahl der
Sorten und in der Anlage der Weinberge, als namentlich in der Kelterung
und Kellerung. Stallfütterung und Düngung sind unbekannt; der Umfang
der Bräche ist deshalb außerordentlich groß. Das Handwerkszeug der Bauern,
ihre Pflüge, Wagen usw. spotten jeder Beschreibung, und nur der Zustand
der Wege ist vielleicht noch vorsintflutlicher. Während die Beförderung
großenteils durch Saumtiere geschieht, kommt das Getreide ungeputzt nach
Salonik; eine Putzmühle anzuschaffen, fällt keinem Bauern ein.

Das Haupthindernis jedes Fortschritts ist aber weniger die Trägheit der
Bevölkerung -- stark ist diese nur beim Serben -- als vielmehr die türkische
Landesverwaltung, die nur im Drange der Not für Militärzwecke Wege anlegt
und den Bauern durch die Besteuerungsart geradezu davon abhält, seinen
Boden zu verbessern und auszunutzen und mehr zu bauen, als er für sich
notwendig braucht. Trotz allen Mahnungen hat sich die türkische Negierung
bis heute noch nicht entschließen können, ein Grundsteuerkataster anzulegen und
den Zehnten vom Ertrag abzuschaffen. Da dieser in großen Lösen an die
verachteten Zehntpächter, die Müllerin. verpachtet wird, liefert man die
Bauern ihrem Wucher aus. Der Bauer darf sein Korn nicht vom Felde ab¬
führen, ehe der Zehnte erhoben ist, deshalb ist er der Erpressung des Zehnt-


Makedonien

entlang; sowohl sein eigentliches Delta, das antike Emathia und Mygdonia,
heute Niedermakedonien, als die sich um Köprülü (Weiss) gruppirenden Becken
von Mittelmakedonien strotzen von Fruchtbarkeit, und nicht minder rühmens¬
wert ist die weite Ebene um Üsküb, die nicht mehr zum Vilayet Salonik,
sondern schon zu dem an Osterreich und Serbien anstoßenden Vilayet Kossowo
zählt. Und diese Gegenden sind nicht nur fruchtbar, sondern auch kultivirt,
wenn auch entfernt noch nicht so, wie es möglich wäre. Wie die Einöde, die
Konstantinopel umgiebt, wahrhaft entsetzlich ist und ihresgleichen nur noch in
der Campagna Romana findet, so wenig erfreulich sind freilich auch im Vilayet
Saloniki die vielen kahlen Felder, die schlechten Distelweiden und Dornwüsten
und die großen, mit Steingeröll angefüllten Überschwemmungsgebiete, vor
allem aber die grenzenlos verwahrlosten Berge ohne Waldungen, auf denen
sich der in Salonik so gefürchtete, dem Scirocco ähnliche Nordwind mit Glut
und Sand füllt. Dagegen findet man aber auch prächtige Korn- und Mais¬
felder und weite mit Fleiß und Sorgfalt ausgeführte Neisanlagen; Tabak
wächst in guter, zum Teil unübertrefflicher Qualität, und neben blühender
Olivenkultur und Seidenzucht erfreuen zahlreiche Baumwollenfeldcr das Auge.
Die Baumwollstaudcn sind zwar klein und tragen gewöhnlich nur zwei Blüten,
aber der während des amerikanischen Bürgerkriegs hier wie in Ägypten 1863
begonnene Bau hat doch wesentliche Fortschritte gemacht. Obwohl diese Baum¬
wolle einen etwas kürzern Faden hat, so wird sie an Feinheit nur von der
ägyptischen übertroffen, von der amerikanischen aber nicht erreicht. Durchaus
noch nicht auf der Höhe steht die Weinkultur, sowohl in der Auswahl der
Sorten und in der Anlage der Weinberge, als namentlich in der Kelterung
und Kellerung. Stallfütterung und Düngung sind unbekannt; der Umfang
der Bräche ist deshalb außerordentlich groß. Das Handwerkszeug der Bauern,
ihre Pflüge, Wagen usw. spotten jeder Beschreibung, und nur der Zustand
der Wege ist vielleicht noch vorsintflutlicher. Während die Beförderung
großenteils durch Saumtiere geschieht, kommt das Getreide ungeputzt nach
Salonik; eine Putzmühle anzuschaffen, fällt keinem Bauern ein.

Das Haupthindernis jedes Fortschritts ist aber weniger die Trägheit der
Bevölkerung — stark ist diese nur beim Serben — als vielmehr die türkische
Landesverwaltung, die nur im Drange der Not für Militärzwecke Wege anlegt
und den Bauern durch die Besteuerungsart geradezu davon abhält, seinen
Boden zu verbessern und auszunutzen und mehr zu bauen, als er für sich
notwendig braucht. Trotz allen Mahnungen hat sich die türkische Negierung
bis heute noch nicht entschließen können, ein Grundsteuerkataster anzulegen und
den Zehnten vom Ertrag abzuschaffen. Da dieser in großen Lösen an die
verachteten Zehntpächter, die Müllerin. verpachtet wird, liefert man die
Bauern ihrem Wucher aus. Der Bauer darf sein Korn nicht vom Felde ab¬
führen, ehe der Zehnte erhoben ist, deshalb ist er der Erpressung des Zehnt-


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[0168] Makedonien entlang; sowohl sein eigentliches Delta, das antike Emathia und Mygdonia, heute Niedermakedonien, als die sich um Köprülü (Weiss) gruppirenden Becken von Mittelmakedonien strotzen von Fruchtbarkeit, und nicht minder rühmens¬ wert ist die weite Ebene um Üsküb, die nicht mehr zum Vilayet Salonik, sondern schon zu dem an Osterreich und Serbien anstoßenden Vilayet Kossowo zählt. Und diese Gegenden sind nicht nur fruchtbar, sondern auch kultivirt, wenn auch entfernt noch nicht so, wie es möglich wäre. Wie die Einöde, die Konstantinopel umgiebt, wahrhaft entsetzlich ist und ihresgleichen nur noch in der Campagna Romana findet, so wenig erfreulich sind freilich auch im Vilayet Saloniki die vielen kahlen Felder, die schlechten Distelweiden und Dornwüsten und die großen, mit Steingeröll angefüllten Überschwemmungsgebiete, vor allem aber die grenzenlos verwahrlosten Berge ohne Waldungen, auf denen sich der in Salonik so gefürchtete, dem Scirocco ähnliche Nordwind mit Glut und Sand füllt. Dagegen findet man aber auch prächtige Korn- und Mais¬ felder und weite mit Fleiß und Sorgfalt ausgeführte Neisanlagen; Tabak wächst in guter, zum Teil unübertrefflicher Qualität, und neben blühender Olivenkultur und Seidenzucht erfreuen zahlreiche Baumwollenfeldcr das Auge. Die Baumwollstaudcn sind zwar klein und tragen gewöhnlich nur zwei Blüten, aber der während des amerikanischen Bürgerkriegs hier wie in Ägypten 1863 begonnene Bau hat doch wesentliche Fortschritte gemacht. Obwohl diese Baum¬ wolle einen etwas kürzern Faden hat, so wird sie an Feinheit nur von der ägyptischen übertroffen, von der amerikanischen aber nicht erreicht. Durchaus noch nicht auf der Höhe steht die Weinkultur, sowohl in der Auswahl der Sorten und in der Anlage der Weinberge, als namentlich in der Kelterung und Kellerung. Stallfütterung und Düngung sind unbekannt; der Umfang der Bräche ist deshalb außerordentlich groß. Das Handwerkszeug der Bauern, ihre Pflüge, Wagen usw. spotten jeder Beschreibung, und nur der Zustand der Wege ist vielleicht noch vorsintflutlicher. Während die Beförderung großenteils durch Saumtiere geschieht, kommt das Getreide ungeputzt nach Salonik; eine Putzmühle anzuschaffen, fällt keinem Bauern ein. Das Haupthindernis jedes Fortschritts ist aber weniger die Trägheit der Bevölkerung — stark ist diese nur beim Serben — als vielmehr die türkische Landesverwaltung, die nur im Drange der Not für Militärzwecke Wege anlegt und den Bauern durch die Besteuerungsart geradezu davon abhält, seinen Boden zu verbessern und auszunutzen und mehr zu bauen, als er für sich notwendig braucht. Trotz allen Mahnungen hat sich die türkische Negierung bis heute noch nicht entschließen können, ein Grundsteuerkataster anzulegen und den Zehnten vom Ertrag abzuschaffen. Da dieser in großen Lösen an die verachteten Zehntpächter, die Müllerin. verpachtet wird, liefert man die Bauern ihrem Wucher aus. Der Bauer darf sein Korn nicht vom Felde ab¬ führen, ehe der Zehnte erhoben ist, deshalb ist er der Erpressung des Zehnt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/168>, abgerufen am 28.07.2024.