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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Makedonien

und Winter aufs leichteste bekleidet und barfuß bei der Arbeit, leben sie von
einer Kruste Brot, ein paar Zwiebeln, von Knoblauch oder ein paar Melonen¬
schnitten. Eine Henne mit Reis wurde als das höchste Ziel ihrer Wünsche
bezeichnet; die Kost der mittlern Stände, getrocknete Fische, Salz, Oliven, Eier
und Honig und Plinio mit Lammfleisch, ist für sie schon völlig unerschwinglich.
Nicht weniger achtbar als die körperliche Leistung der Hamals ist die der
Kahn- und Barkenführer, die gewandt und sicher ihre pfeilgeschwinden Kalks
durch das Gewimmel hindurch leiten und die Löschung der großen Schiffs¬
ladungen besorgen, ohne unbescheiden oder betrügerisch in ihren Forderungen zu
sein, wovon ich mich selbst bei Verladung meiner Pferde überzeugen konnte.

Außerdem aber sind die spanischen Juden hier auch als Handwerker thätig,
namentlich als Wäscher, Filzmacher, Weber und Blechschmiede. Die früher
hier sehr blühende Teppichweberei ist freilich leider sehr zurückgegangen, sie
wurde überholt von der kleinasiatischen. Ferner ist die Hausdienerschaft der
Franken in Salonik großenteils jüdisch, wie ja auch vielfach in Konstantinopel,
und wie es auch in Adrianopel der Fall sein soll; und in Salouik habe ich
sie nur loben hören, was doch viel heißen will, denn überall wird man ja
selten ein Lob über Dienstboten vernehmen, nicht nur im Occident. Auch die
Korrespondenten, die sich spagnnolischer Dolmetscher in dem Feldzug des vorigen
Frühjahrs bedienten, wußten sie nur zu rühmen.

Wie anderwärts, so besteht aber auch hier der enge Zusammenhang unter
den Juden, deren Gemeinde mustergiltig regiert wird; wer einem jüdischen
Dienstboten Unrecht thäte, der würde kaum einen andern finden, ehe er das
begangne nicht wieder gut gemacht hätte. Auch sonst helfen sie sich mit Rat
und That, namentlich werden die jungen Eheleute, die schon mit dreizehn bis
fünfzehn Jahren zusammeugcgeben werden, von allen Seiten unterstützt. Die
Opferwilligkeit der Reichen ist, wie überall unter den Juden, so auch hier ganz
besonders achtbar. Ein Ghetto giebt es nicht. Durch gemeinsame Abneigung
gegen die Griechen verbunden, leben Juden und Türken auf freundlichem
Fuße miteinander, und die Wohnungen der erstern liegen großenteils zwischen
denen der Türken,

Noch näher steht den Türken eine Abzweigung der Sefardim, die Domine.
Es sind dies etwa viertausend äußerlich zum Islam übergetretne Juden, die
aber ganz abgeschlossen unter sich leben und auch nur unter sich heiraten. Von
den echten Muhammcdanerinnen unterscheiden sich die teilweise recht hübschen
Domine durch ihre besonders durchsichtigen Schleier und eine gewisse Koketterie,
mit der sie sich auf dem Abendspaziergang am Kai benehmen. Besonders
anziehende, seelenvolle Gesichter mit prächtigen dunkelbraunen Augen sieht man
aber namentlich unter den sich ganz unverschleiert tragenden Spagnnolinnen.
Obgleich sich Türken und Juden in Salonik näher stehen, als die andern
Nationalitäten, so dürfte doch die Grundgesinnung der Türken gegen.die Juden
auch heute noch in Salonik der des Hadschi Halfa entsprechen, der ums


Makedonien

und Winter aufs leichteste bekleidet und barfuß bei der Arbeit, leben sie von
einer Kruste Brot, ein paar Zwiebeln, von Knoblauch oder ein paar Melonen¬
schnitten. Eine Henne mit Reis wurde als das höchste Ziel ihrer Wünsche
bezeichnet; die Kost der mittlern Stände, getrocknete Fische, Salz, Oliven, Eier
und Honig und Plinio mit Lammfleisch, ist für sie schon völlig unerschwinglich.
Nicht weniger achtbar als die körperliche Leistung der Hamals ist die der
Kahn- und Barkenführer, die gewandt und sicher ihre pfeilgeschwinden Kalks
durch das Gewimmel hindurch leiten und die Löschung der großen Schiffs¬
ladungen besorgen, ohne unbescheiden oder betrügerisch in ihren Forderungen zu
sein, wovon ich mich selbst bei Verladung meiner Pferde überzeugen konnte.

Außerdem aber sind die spanischen Juden hier auch als Handwerker thätig,
namentlich als Wäscher, Filzmacher, Weber und Blechschmiede. Die früher
hier sehr blühende Teppichweberei ist freilich leider sehr zurückgegangen, sie
wurde überholt von der kleinasiatischen. Ferner ist die Hausdienerschaft der
Franken in Salonik großenteils jüdisch, wie ja auch vielfach in Konstantinopel,
und wie es auch in Adrianopel der Fall sein soll; und in Salouik habe ich
sie nur loben hören, was doch viel heißen will, denn überall wird man ja
selten ein Lob über Dienstboten vernehmen, nicht nur im Occident. Auch die
Korrespondenten, die sich spagnnolischer Dolmetscher in dem Feldzug des vorigen
Frühjahrs bedienten, wußten sie nur zu rühmen.

Wie anderwärts, so besteht aber auch hier der enge Zusammenhang unter
den Juden, deren Gemeinde mustergiltig regiert wird; wer einem jüdischen
Dienstboten Unrecht thäte, der würde kaum einen andern finden, ehe er das
begangne nicht wieder gut gemacht hätte. Auch sonst helfen sie sich mit Rat
und That, namentlich werden die jungen Eheleute, die schon mit dreizehn bis
fünfzehn Jahren zusammeugcgeben werden, von allen Seiten unterstützt. Die
Opferwilligkeit der Reichen ist, wie überall unter den Juden, so auch hier ganz
besonders achtbar. Ein Ghetto giebt es nicht. Durch gemeinsame Abneigung
gegen die Griechen verbunden, leben Juden und Türken auf freundlichem
Fuße miteinander, und die Wohnungen der erstern liegen großenteils zwischen
denen der Türken,

Noch näher steht den Türken eine Abzweigung der Sefardim, die Domine.
Es sind dies etwa viertausend äußerlich zum Islam übergetretne Juden, die
aber ganz abgeschlossen unter sich leben und auch nur unter sich heiraten. Von
den echten Muhammcdanerinnen unterscheiden sich die teilweise recht hübschen
Domine durch ihre besonders durchsichtigen Schleier und eine gewisse Koketterie,
mit der sie sich auf dem Abendspaziergang am Kai benehmen. Besonders
anziehende, seelenvolle Gesichter mit prächtigen dunkelbraunen Augen sieht man
aber namentlich unter den sich ganz unverschleiert tragenden Spagnnolinnen.
Obgleich sich Türken und Juden in Salonik näher stehen, als die andern
Nationalitäten, so dürfte doch die Grundgesinnung der Türken gegen.die Juden
auch heute noch in Salonik der des Hadschi Halfa entsprechen, der ums


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/120>, abgerufen am 09.01.2025.