Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Makedonien

Abessinien verständlich und die Eile, mit der Frankreich von Süden und
Westen her gegen Ägypten vorzudrängen sucht, sondern es wird begreiflich,
warum es zu keiner Beruhigung und Klärung im alten Orient mehr kommen
will. Ohne daß man in jedem Falle entscheiden könnte, wer von den beiden
Gegnern das gefährliche Feuer unterhält, kann man doch sagen, beide, Ru߬
land und England sind es, die an den Ufern des Ägäischen Meeres die Un¬
ruhe schüren durch den Kampf, der unter der Decke zwischen ihnen geführt
wird um die wertvollen Stellungen in der Nähe der Gegend, wo die Ent¬
scheidung zwischen ihnen fallen muß.

So verstündlich uns auch Bismcircks Politik erscheint, der immer mit
allen Kräften dahingearbeitet hat, Deutschland vor einer vorzeitigen Verwicklung
in den sich anbahnenden Entscheidungskampf zwischen England und Nußland
und vor allem davor zu bewahren, daß wir wieder einmal den englischen
Vettern ohne Dank die Kastanien aus dem Feuer holen, so gewiß dürfte es
sich doch heute schon verlohnen, sich klar zu machen, welche Punkte wir in die
Hände keines der beiden Gegner fallen lassen dürfen, deren alleinige Anwartschaft
wir vielmehr für uns und das mit uns verbündete Osterreich unbedingt be¬
haupten müssen, falls einmal eine Änderung des Besitzstandes notwendig werden
sollte. Zu diesen Punkten gehört vor allem Makedonien mit dem wichtigen
Saloniki. Würde dieser von Natur wunderbar begünstigte Hafen und das über¬
aus fruchtbare und kulturfähige Gebiet, das zwischen ihm und dem österreichisch¬
ungarischen Bosnien liegt, bei einem Zusammenbruch der Türkei in andre
Hände fallen als die Österreichs, also in die Rußlands oder Englands oder
in die eines der kleinen Balkanstaaten, die immer von England oder Rußland
abhängig sein werden, so läge es in der Hand dieser, Österreich-Ungarn und
damit Mitteleuropa überhaupt, also auch uns Deutschen dauernd die kürzeste
Verbindungslinie nach Kleinasien und nach Südasien zu verbauen und damit
die Entwicklung unsers Handels mit diesen wichtigen Ländern in empfindlichster
Weise zu beeinträchtigen. Wir haben daher alle Ursache, uns mit dem stra¬
tegisch so wichtigen Makedonien zu beschäftigen.

Saloniki, die größte der den Türken in Europa verblichnen Städte und
der Hauptort des Vilajets Saloniki, ist wenigstens unter seinem jetzigen Namen
keine besonders alte Stadt. Von den Slawen wird sie solum genannt, von
den Türken Selanik, von den Franken Salonik und auf den Karten Saloniki.
Sie wurde gegründet von Kassander, dem Schwiegersohn Philipps von Make¬
donien, und erhielt den Namen Thessalonike zu Ehren von Kassanders Frau,
die Philipp zur Erinnerung an seinen Sieg über die Thessalier so genannt
hatte. Bevölkert durch die Bewohner der umliegenden Dörfer Chalastra,
Areal, Kissos und andre und stark befestigt, stand sie doch schon auf dem
Grund einer ältern Stadt Thermä, zu deutsch "Warmbronn," nach der der
ganze Meerbusen von Salonik im Altertum der Thermäische hieß, und von der
schon Herodot erzählt. Thermä kann also nicht ganz unbedeutend gewesen


Makedonien

Abessinien verständlich und die Eile, mit der Frankreich von Süden und
Westen her gegen Ägypten vorzudrängen sucht, sondern es wird begreiflich,
warum es zu keiner Beruhigung und Klärung im alten Orient mehr kommen
will. Ohne daß man in jedem Falle entscheiden könnte, wer von den beiden
Gegnern das gefährliche Feuer unterhält, kann man doch sagen, beide, Ru߬
land und England sind es, die an den Ufern des Ägäischen Meeres die Un¬
ruhe schüren durch den Kampf, der unter der Decke zwischen ihnen geführt
wird um die wertvollen Stellungen in der Nähe der Gegend, wo die Ent¬
scheidung zwischen ihnen fallen muß.

So verstündlich uns auch Bismcircks Politik erscheint, der immer mit
allen Kräften dahingearbeitet hat, Deutschland vor einer vorzeitigen Verwicklung
in den sich anbahnenden Entscheidungskampf zwischen England und Nußland
und vor allem davor zu bewahren, daß wir wieder einmal den englischen
Vettern ohne Dank die Kastanien aus dem Feuer holen, so gewiß dürfte es
sich doch heute schon verlohnen, sich klar zu machen, welche Punkte wir in die
Hände keines der beiden Gegner fallen lassen dürfen, deren alleinige Anwartschaft
wir vielmehr für uns und das mit uns verbündete Osterreich unbedingt be¬
haupten müssen, falls einmal eine Änderung des Besitzstandes notwendig werden
sollte. Zu diesen Punkten gehört vor allem Makedonien mit dem wichtigen
Saloniki. Würde dieser von Natur wunderbar begünstigte Hafen und das über¬
aus fruchtbare und kulturfähige Gebiet, das zwischen ihm und dem österreichisch¬
ungarischen Bosnien liegt, bei einem Zusammenbruch der Türkei in andre
Hände fallen als die Österreichs, also in die Rußlands oder Englands oder
in die eines der kleinen Balkanstaaten, die immer von England oder Rußland
abhängig sein werden, so läge es in der Hand dieser, Österreich-Ungarn und
damit Mitteleuropa überhaupt, also auch uns Deutschen dauernd die kürzeste
Verbindungslinie nach Kleinasien und nach Südasien zu verbauen und damit
die Entwicklung unsers Handels mit diesen wichtigen Ländern in empfindlichster
Weise zu beeinträchtigen. Wir haben daher alle Ursache, uns mit dem stra¬
tegisch so wichtigen Makedonien zu beschäftigen.

Saloniki, die größte der den Türken in Europa verblichnen Städte und
der Hauptort des Vilajets Saloniki, ist wenigstens unter seinem jetzigen Namen
keine besonders alte Stadt. Von den Slawen wird sie solum genannt, von
den Türken Selanik, von den Franken Salonik und auf den Karten Saloniki.
Sie wurde gegründet von Kassander, dem Schwiegersohn Philipps von Make¬
donien, und erhielt den Namen Thessalonike zu Ehren von Kassanders Frau,
die Philipp zur Erinnerung an seinen Sieg über die Thessalier so genannt
hatte. Bevölkert durch die Bewohner der umliegenden Dörfer Chalastra,
Areal, Kissos und andre und stark befestigt, stand sie doch schon auf dem
Grund einer ältern Stadt Thermä, zu deutsch „Warmbronn," nach der der
ganze Meerbusen von Salonik im Altertum der Thermäische hieß, und von der
schon Herodot erzählt. Thermä kann also nicht ganz unbedeutend gewesen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228417"/>
          <fw type="header" place="top"> Makedonien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_350" prev="#ID_349"> Abessinien verständlich und die Eile, mit der Frankreich von Süden und<lb/>
Westen her gegen Ägypten vorzudrängen sucht, sondern es wird begreiflich,<lb/>
warum es zu keiner Beruhigung und Klärung im alten Orient mehr kommen<lb/>
will. Ohne daß man in jedem Falle entscheiden könnte, wer von den beiden<lb/>
Gegnern das gefährliche Feuer unterhält, kann man doch sagen, beide, Ru߬<lb/>
land und England sind es, die an den Ufern des Ägäischen Meeres die Un¬<lb/>
ruhe schüren durch den Kampf, der unter der Decke zwischen ihnen geführt<lb/>
wird um die wertvollen Stellungen in der Nähe der Gegend, wo die Ent¬<lb/>
scheidung zwischen ihnen fallen muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_351"> So verstündlich uns auch Bismcircks Politik erscheint, der immer mit<lb/>
allen Kräften dahingearbeitet hat, Deutschland vor einer vorzeitigen Verwicklung<lb/>
in den sich anbahnenden Entscheidungskampf zwischen England und Nußland<lb/>
und vor allem davor zu bewahren, daß wir wieder einmal den englischen<lb/>
Vettern ohne Dank die Kastanien aus dem Feuer holen, so gewiß dürfte es<lb/>
sich doch heute schon verlohnen, sich klar zu machen, welche Punkte wir in die<lb/>
Hände keines der beiden Gegner fallen lassen dürfen, deren alleinige Anwartschaft<lb/>
wir vielmehr für uns und das mit uns verbündete Osterreich unbedingt be¬<lb/>
haupten müssen, falls einmal eine Änderung des Besitzstandes notwendig werden<lb/>
sollte. Zu diesen Punkten gehört vor allem Makedonien mit dem wichtigen<lb/>
Saloniki. Würde dieser von Natur wunderbar begünstigte Hafen und das über¬<lb/>
aus fruchtbare und kulturfähige Gebiet, das zwischen ihm und dem österreichisch¬<lb/>
ungarischen Bosnien liegt, bei einem Zusammenbruch der Türkei in andre<lb/>
Hände fallen als die Österreichs, also in die Rußlands oder Englands oder<lb/>
in die eines der kleinen Balkanstaaten, die immer von England oder Rußland<lb/>
abhängig sein werden, so läge es in der Hand dieser, Österreich-Ungarn und<lb/>
damit Mitteleuropa überhaupt, also auch uns Deutschen dauernd die kürzeste<lb/>
Verbindungslinie nach Kleinasien und nach Südasien zu verbauen und damit<lb/>
die Entwicklung unsers Handels mit diesen wichtigen Ländern in empfindlichster<lb/>
Weise zu beeinträchtigen. Wir haben daher alle Ursache, uns mit dem stra¬<lb/>
tegisch so wichtigen Makedonien zu beschäftigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_352" next="#ID_353"> Saloniki, die größte der den Türken in Europa verblichnen Städte und<lb/>
der Hauptort des Vilajets Saloniki, ist wenigstens unter seinem jetzigen Namen<lb/>
keine besonders alte Stadt. Von den Slawen wird sie solum genannt, von<lb/>
den Türken Selanik, von den Franken Salonik und auf den Karten Saloniki.<lb/>
Sie wurde gegründet von Kassander, dem Schwiegersohn Philipps von Make¬<lb/>
donien, und erhielt den Namen Thessalonike zu Ehren von Kassanders Frau,<lb/>
die Philipp zur Erinnerung an seinen Sieg über die Thessalier so genannt<lb/>
hatte. Bevölkert durch die Bewohner der umliegenden Dörfer Chalastra,<lb/>
Areal, Kissos und andre und stark befestigt, stand sie doch schon auf dem<lb/>
Grund einer ältern Stadt Thermä, zu deutsch &#x201E;Warmbronn," nach der der<lb/>
ganze Meerbusen von Salonik im Altertum der Thermäische hieß, und von der<lb/>
schon Herodot erzählt.  Thermä kann also nicht ganz unbedeutend gewesen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0115] Makedonien Abessinien verständlich und die Eile, mit der Frankreich von Süden und Westen her gegen Ägypten vorzudrängen sucht, sondern es wird begreiflich, warum es zu keiner Beruhigung und Klärung im alten Orient mehr kommen will. Ohne daß man in jedem Falle entscheiden könnte, wer von den beiden Gegnern das gefährliche Feuer unterhält, kann man doch sagen, beide, Ru߬ land und England sind es, die an den Ufern des Ägäischen Meeres die Un¬ ruhe schüren durch den Kampf, der unter der Decke zwischen ihnen geführt wird um die wertvollen Stellungen in der Nähe der Gegend, wo die Ent¬ scheidung zwischen ihnen fallen muß. So verstündlich uns auch Bismcircks Politik erscheint, der immer mit allen Kräften dahingearbeitet hat, Deutschland vor einer vorzeitigen Verwicklung in den sich anbahnenden Entscheidungskampf zwischen England und Nußland und vor allem davor zu bewahren, daß wir wieder einmal den englischen Vettern ohne Dank die Kastanien aus dem Feuer holen, so gewiß dürfte es sich doch heute schon verlohnen, sich klar zu machen, welche Punkte wir in die Hände keines der beiden Gegner fallen lassen dürfen, deren alleinige Anwartschaft wir vielmehr für uns und das mit uns verbündete Osterreich unbedingt be¬ haupten müssen, falls einmal eine Änderung des Besitzstandes notwendig werden sollte. Zu diesen Punkten gehört vor allem Makedonien mit dem wichtigen Saloniki. Würde dieser von Natur wunderbar begünstigte Hafen und das über¬ aus fruchtbare und kulturfähige Gebiet, das zwischen ihm und dem österreichisch¬ ungarischen Bosnien liegt, bei einem Zusammenbruch der Türkei in andre Hände fallen als die Österreichs, also in die Rußlands oder Englands oder in die eines der kleinen Balkanstaaten, die immer von England oder Rußland abhängig sein werden, so läge es in der Hand dieser, Österreich-Ungarn und damit Mitteleuropa überhaupt, also auch uns Deutschen dauernd die kürzeste Verbindungslinie nach Kleinasien und nach Südasien zu verbauen und damit die Entwicklung unsers Handels mit diesen wichtigen Ländern in empfindlichster Weise zu beeinträchtigen. Wir haben daher alle Ursache, uns mit dem stra¬ tegisch so wichtigen Makedonien zu beschäftigen. Saloniki, die größte der den Türken in Europa verblichnen Städte und der Hauptort des Vilajets Saloniki, ist wenigstens unter seinem jetzigen Namen keine besonders alte Stadt. Von den Slawen wird sie solum genannt, von den Türken Selanik, von den Franken Salonik und auf den Karten Saloniki. Sie wurde gegründet von Kassander, dem Schwiegersohn Philipps von Make¬ donien, und erhielt den Namen Thessalonike zu Ehren von Kassanders Frau, die Philipp zur Erinnerung an seinen Sieg über die Thessalier so genannt hatte. Bevölkert durch die Bewohner der umliegenden Dörfer Chalastra, Areal, Kissos und andre und stark befestigt, stand sie doch schon auf dem Grund einer ältern Stadt Thermä, zu deutsch „Warmbronn," nach der der ganze Meerbusen von Salonik im Altertum der Thermäische hieß, und von der schon Herodot erzählt. Thermä kann also nicht ganz unbedeutend gewesen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/115
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/115>, abgerufen am 28.07.2024.