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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Aus unsrer Ostmark

Nationalkomitee" zum Zweck der Auflösung der Staatsordnung erlassenen An¬
ordnungen auszuführen. Heute kennen "Berlin," die Staatsregierung und das
deutsche Volk die Polen und wissen, wessen man sich von ihnen zu versehen hat;
heute würde es einfach nicht mehr geschehen können, daß polnische Geistliche vom
Turm der katholischen Kirchen polnische Fahnen wehen lassen, zum Aufruhr
treibende Kanzelreden vor aufgeregten Volksmassen halten, in Zeitungen auf¬
gefordert werden, "nach dem Vorgange des Erzbischofs und vieler ihrer geistlichen
Brüder im Volke das Nationalgefühl zu entflammen," und daß "ein Erzbischof
die schriftliche Aufforderung, seinerseits zur Beruhigung der aufgeregten polnischen
Bevölkerung mitzuwirken und die vielfach in der Provinz und namentlich in
Posen selbst in den Kirchen gehaltnen aufregenden Predigten abzustellen," einfach
ignorirt. Äußerte sich schon 1848 das sich nach anfänglichem Schwanken schnell
findende Nationalgefühl der Posener Deutschen im deutschen wie im polnischen
Sprachgebiet, in den Städten wie auf dem platten Lande so heftig, daß der große
Pazifikator Willisen, in die Thore Posens nicht mehr eingelassen, sein vierzehn¬
tägiges Gastspiel in Stadt und Provinz Posen abbrechen und in dunkler Nacht
mit Extrapost nach Berlin abreisen mußte; im neuen Reich vollends bei mächtig
erstarrtem Nationalgefühl würde seine und die damalige Polenpvlitik trotz
platonischer oder berechneter Hinneigung einiger Parteien zu den Polen keinen
Raum mehr zu ihrer Bethätigung, keinen Anklang mehr bei dem deutschen
Volke finden, auch nicht vorübergehend. Wie 1848 die deutschen Bauern des
Kreises Czarnikau und des ganzen Netzedistrikts mit herzerfrischender Entschieden¬
heit die Banden polnischer Insurgenten in Angst und in die Flucht jagten, so
würden heute alle Deutschen der Ostmarken sich wie ein Mann erheben, um,
wenn es nötig wäre, dem Vaterlande den Osten auf blutigen Schlachtfeldern
zu erhalten.

Doch der Kampf wird ja gar nicht mehr mit Sensen und Feuergewehren
geführt; es sind gefährlichere Waffen, mit denen gegen uns gekämpft wird.
Die Ausscheidung der Deutschen aus ihren Sitzen im Osten wird heute im
wirtschaftlichen Konkurrenzkampfe durch Unterbietung der deutschen Erwerbs¬
stände mit höherer Lebenshaltung, durch das Eindringen galizischer und
russischer Wanderarbeiter und durch den Boycott erstrebt, der, 1848 dem
Programm der polnischen Liga einverleibt, stetig wachsende Erfolge aufzuweisen
hat; schon 1862, lange ehe die Deutschen an Gegenwehr und an die Führung
des Kampfes mit dieser vergifteten Waffe dachten, wurde der 6^6ta varsWvskA
aus Posen geschrieben: "Das polnische Publikum wendet seit länger als einem
Jahrzehnt seine ganze Kundschaft nach Möglichkeit den Kaufleuten, Gewerb-
treibenden und Handwerkern seiner eignen Nationalität zu, um das fremde
Element nicht zu bereichern."

Werden die Deutschen in diesem, von manchem für aussichtslos ge¬
haltnen Kampfe um ihre wirtschaftliche Existenz das Feld behaupten? Werden
staatlicherseits die nötigen, die Deutschen fördernden Maßnahmen getroffen


Aus unsrer Ostmark

Nationalkomitee" zum Zweck der Auflösung der Staatsordnung erlassenen An¬
ordnungen auszuführen. Heute kennen „Berlin," die Staatsregierung und das
deutsche Volk die Polen und wissen, wessen man sich von ihnen zu versehen hat;
heute würde es einfach nicht mehr geschehen können, daß polnische Geistliche vom
Turm der katholischen Kirchen polnische Fahnen wehen lassen, zum Aufruhr
treibende Kanzelreden vor aufgeregten Volksmassen halten, in Zeitungen auf¬
gefordert werden, „nach dem Vorgange des Erzbischofs und vieler ihrer geistlichen
Brüder im Volke das Nationalgefühl zu entflammen," und daß „ein Erzbischof
die schriftliche Aufforderung, seinerseits zur Beruhigung der aufgeregten polnischen
Bevölkerung mitzuwirken und die vielfach in der Provinz und namentlich in
Posen selbst in den Kirchen gehaltnen aufregenden Predigten abzustellen," einfach
ignorirt. Äußerte sich schon 1848 das sich nach anfänglichem Schwanken schnell
findende Nationalgefühl der Posener Deutschen im deutschen wie im polnischen
Sprachgebiet, in den Städten wie auf dem platten Lande so heftig, daß der große
Pazifikator Willisen, in die Thore Posens nicht mehr eingelassen, sein vierzehn¬
tägiges Gastspiel in Stadt und Provinz Posen abbrechen und in dunkler Nacht
mit Extrapost nach Berlin abreisen mußte; im neuen Reich vollends bei mächtig
erstarrtem Nationalgefühl würde seine und die damalige Polenpvlitik trotz
platonischer oder berechneter Hinneigung einiger Parteien zu den Polen keinen
Raum mehr zu ihrer Bethätigung, keinen Anklang mehr bei dem deutschen
Volke finden, auch nicht vorübergehend. Wie 1848 die deutschen Bauern des
Kreises Czarnikau und des ganzen Netzedistrikts mit herzerfrischender Entschieden¬
heit die Banden polnischer Insurgenten in Angst und in die Flucht jagten, so
würden heute alle Deutschen der Ostmarken sich wie ein Mann erheben, um,
wenn es nötig wäre, dem Vaterlande den Osten auf blutigen Schlachtfeldern
zu erhalten.

Doch der Kampf wird ja gar nicht mehr mit Sensen und Feuergewehren
geführt; es sind gefährlichere Waffen, mit denen gegen uns gekämpft wird.
Die Ausscheidung der Deutschen aus ihren Sitzen im Osten wird heute im
wirtschaftlichen Konkurrenzkampfe durch Unterbietung der deutschen Erwerbs¬
stände mit höherer Lebenshaltung, durch das Eindringen galizischer und
russischer Wanderarbeiter und durch den Boycott erstrebt, der, 1848 dem
Programm der polnischen Liga einverleibt, stetig wachsende Erfolge aufzuweisen
hat; schon 1862, lange ehe die Deutschen an Gegenwehr und an die Führung
des Kampfes mit dieser vergifteten Waffe dachten, wurde der 6^6ta varsWvskA
aus Posen geschrieben: „Das polnische Publikum wendet seit länger als einem
Jahrzehnt seine ganze Kundschaft nach Möglichkeit den Kaufleuten, Gewerb-
treibenden und Handwerkern seiner eignen Nationalität zu, um das fremde
Element nicht zu bereichern."

Werden die Deutschen in diesem, von manchem für aussichtslos ge¬
haltnen Kampfe um ihre wirtschaftliche Existenz das Feld behaupten? Werden
staatlicherseits die nötigen, die Deutschen fördernden Maßnahmen getroffen


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[0112] Aus unsrer Ostmark Nationalkomitee" zum Zweck der Auflösung der Staatsordnung erlassenen An¬ ordnungen auszuführen. Heute kennen „Berlin," die Staatsregierung und das deutsche Volk die Polen und wissen, wessen man sich von ihnen zu versehen hat; heute würde es einfach nicht mehr geschehen können, daß polnische Geistliche vom Turm der katholischen Kirchen polnische Fahnen wehen lassen, zum Aufruhr treibende Kanzelreden vor aufgeregten Volksmassen halten, in Zeitungen auf¬ gefordert werden, „nach dem Vorgange des Erzbischofs und vieler ihrer geistlichen Brüder im Volke das Nationalgefühl zu entflammen," und daß „ein Erzbischof die schriftliche Aufforderung, seinerseits zur Beruhigung der aufgeregten polnischen Bevölkerung mitzuwirken und die vielfach in der Provinz und namentlich in Posen selbst in den Kirchen gehaltnen aufregenden Predigten abzustellen," einfach ignorirt. Äußerte sich schon 1848 das sich nach anfänglichem Schwanken schnell findende Nationalgefühl der Posener Deutschen im deutschen wie im polnischen Sprachgebiet, in den Städten wie auf dem platten Lande so heftig, daß der große Pazifikator Willisen, in die Thore Posens nicht mehr eingelassen, sein vierzehn¬ tägiges Gastspiel in Stadt und Provinz Posen abbrechen und in dunkler Nacht mit Extrapost nach Berlin abreisen mußte; im neuen Reich vollends bei mächtig erstarrtem Nationalgefühl würde seine und die damalige Polenpvlitik trotz platonischer oder berechneter Hinneigung einiger Parteien zu den Polen keinen Raum mehr zu ihrer Bethätigung, keinen Anklang mehr bei dem deutschen Volke finden, auch nicht vorübergehend. Wie 1848 die deutschen Bauern des Kreises Czarnikau und des ganzen Netzedistrikts mit herzerfrischender Entschieden¬ heit die Banden polnischer Insurgenten in Angst und in die Flucht jagten, so würden heute alle Deutschen der Ostmarken sich wie ein Mann erheben, um, wenn es nötig wäre, dem Vaterlande den Osten auf blutigen Schlachtfeldern zu erhalten. Doch der Kampf wird ja gar nicht mehr mit Sensen und Feuergewehren geführt; es sind gefährlichere Waffen, mit denen gegen uns gekämpft wird. Die Ausscheidung der Deutschen aus ihren Sitzen im Osten wird heute im wirtschaftlichen Konkurrenzkampfe durch Unterbietung der deutschen Erwerbs¬ stände mit höherer Lebenshaltung, durch das Eindringen galizischer und russischer Wanderarbeiter und durch den Boycott erstrebt, der, 1848 dem Programm der polnischen Liga einverleibt, stetig wachsende Erfolge aufzuweisen hat; schon 1862, lange ehe die Deutschen an Gegenwehr und an die Führung des Kampfes mit dieser vergifteten Waffe dachten, wurde der 6^6ta varsWvskA aus Posen geschrieben: „Das polnische Publikum wendet seit länger als einem Jahrzehnt seine ganze Kundschaft nach Möglichkeit den Kaufleuten, Gewerb- treibenden und Handwerkern seiner eignen Nationalität zu, um das fremde Element nicht zu bereichern." Werden die Deutschen in diesem, von manchem für aussichtslos ge¬ haltnen Kampfe um ihre wirtschaftliche Existenz das Feld behaupten? Werden staatlicherseits die nötigen, die Deutschen fördernden Maßnahmen getroffen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/112>, abgerufen am 28.07.2024.