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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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seine Gedanken unverhohlen und unverfälscht zum Ausdruck. Unter den Polen
dagegen haben sie immer mit der Möglichkeit zu rechnen, das Objekt von
Täuschungsversuchen zu werden. Es genügt nicht, daß ihr Verhalten taktvoll,
würdig und human ist, sodaß eine berechtigte Kritik an ihnen nichts auszusetzen
findet, sie bedürfen außerdem den wie durch eine undurchdringliche Scheidewand
sich von ihnen isolirenden Polen gegenüber eines hohen Maßes von Menschen¬
kenntnis und von Schlangenklugheit, von unbeirrbarer Festigkeit im Urteil und
im Handeln und von -- moralischem Mut, sei es offnen Zeitungsangriffen
gegenüber, die sich zum Glück zumeist als Verdrehungen des Thatbestandes,
mindestens als Übertreibungen herausstellen, oder schriftlichen Beschwerden oder
anonymen Denunziationen gegenüber. Nicht bloß 1848, wo das Trugsystem,
als die Waffen gegen die Polen entschieden hatten, durch ein System der Be¬
schwerden und Drohungen abgelöst wurde, wovon unser Autor zahlreiche und
ergötzliche Proben mitteilt, auch heute noch wird nach diesem Muster eifrig
gearbeitet, um, wenn nichts andres zu erreichen ist, wenigstens schwachnervige
Beamte einzuschüchtern und zu sträflichen Gehenlassen zu bestimmen.

Die den preußischen Beamten im Osten gestellte Aufgabe fordert aufrechte
Männer mit Rückgrat; sie ist heute ungleich schwerer zu lösen als vor fünfzig
Jahren. Damals hieß es vor allem im Sinne des altpreußischen Beamtentums
sich die sittliche Integrität bewahren, d. h. sich nicht bestechen lassen; im
übrigen waren die Verhältnisse, wie auch das vorliegende Buch zeigt, recht
primitiv, in ihrem Zuschnitt einfach und leicht zu überschauen. Der schon
stark verschuldete polnische Landadel, der "eine große Menge guts- und berufs¬
loser, unbeschäftigter, älterer wie jüngerer, von Gut zu Gut umherziehender
Hausfreunde, den Jagd- und Tafelfreuden nachgebender loser Leute, denen sich
auch Einheimische aus verarmten polnischen Familien der Provinz anschlössen,"
auf dem Halse und zu ernähren hatte, war nominell noch im Besitze des
größten Teils des Grund und Bodens der Provinzen Posen und Westpreußen.
Er, nicht der fanatische, trunksüchtige, unwissende Klerus, bestimmte den Gang
der auf Abwerfung des verhaßten Jochs der Fremden gerichteten polnischen
Politik, in lebhaftestem Gedankenaustausch mit der Emigration von 1831 in
Frankreich Und England und vielfach mit den radikalen Gedanken der Westler
spielend. Der polnische Bürgerstand war noch im Entwicklungsstadium des
Embryo. Im Jahre 1831 existirte er, wie Grolmann sagt, eigentlich noch gar
nicht; und noch 1861, wo bei der Volkszählung zum erstenmal die Frage nach
der Nationalität gestellt wurde, war kaum ein Drittel der Städter in der Provinz
Posen polnischer Herkunft; je größer die Städte waren (außer in der Provinzial-
hauptstadt, wo es rund 17000 Polen neben 34000 Deutschen gab), desto
geringer war die Zahl der Polen; in Bromberg z. B., wo man heute 13000
Katholiken, darunter reichlich die Hälfte Polen zählt, betrug 1861 ihre Zahl
nur 114. In den kleinern und kleinsten Landstädtchen dagegen (als Kruschwitz
1772 preußisch wurde, hatte es 79 Einwohner) überwogen schon damals die


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seine Gedanken unverhohlen und unverfälscht zum Ausdruck. Unter den Polen
dagegen haben sie immer mit der Möglichkeit zu rechnen, das Objekt von
Täuschungsversuchen zu werden. Es genügt nicht, daß ihr Verhalten taktvoll,
würdig und human ist, sodaß eine berechtigte Kritik an ihnen nichts auszusetzen
findet, sie bedürfen außerdem den wie durch eine undurchdringliche Scheidewand
sich von ihnen isolirenden Polen gegenüber eines hohen Maßes von Menschen¬
kenntnis und von Schlangenklugheit, von unbeirrbarer Festigkeit im Urteil und
im Handeln und von — moralischem Mut, sei es offnen Zeitungsangriffen
gegenüber, die sich zum Glück zumeist als Verdrehungen des Thatbestandes,
mindestens als Übertreibungen herausstellen, oder schriftlichen Beschwerden oder
anonymen Denunziationen gegenüber. Nicht bloß 1848, wo das Trugsystem,
als die Waffen gegen die Polen entschieden hatten, durch ein System der Be¬
schwerden und Drohungen abgelöst wurde, wovon unser Autor zahlreiche und
ergötzliche Proben mitteilt, auch heute noch wird nach diesem Muster eifrig
gearbeitet, um, wenn nichts andres zu erreichen ist, wenigstens schwachnervige
Beamte einzuschüchtern und zu sträflichen Gehenlassen zu bestimmen.

Die den preußischen Beamten im Osten gestellte Aufgabe fordert aufrechte
Männer mit Rückgrat; sie ist heute ungleich schwerer zu lösen als vor fünfzig
Jahren. Damals hieß es vor allem im Sinne des altpreußischen Beamtentums
sich die sittliche Integrität bewahren, d. h. sich nicht bestechen lassen; im
übrigen waren die Verhältnisse, wie auch das vorliegende Buch zeigt, recht
primitiv, in ihrem Zuschnitt einfach und leicht zu überschauen. Der schon
stark verschuldete polnische Landadel, der „eine große Menge guts- und berufs¬
loser, unbeschäftigter, älterer wie jüngerer, von Gut zu Gut umherziehender
Hausfreunde, den Jagd- und Tafelfreuden nachgebender loser Leute, denen sich
auch Einheimische aus verarmten polnischen Familien der Provinz anschlössen,"
auf dem Halse und zu ernähren hatte, war nominell noch im Besitze des
größten Teils des Grund und Bodens der Provinzen Posen und Westpreußen.
Er, nicht der fanatische, trunksüchtige, unwissende Klerus, bestimmte den Gang
der auf Abwerfung des verhaßten Jochs der Fremden gerichteten polnischen
Politik, in lebhaftestem Gedankenaustausch mit der Emigration von 1831 in
Frankreich Und England und vielfach mit den radikalen Gedanken der Westler
spielend. Der polnische Bürgerstand war noch im Entwicklungsstadium des
Embryo. Im Jahre 1831 existirte er, wie Grolmann sagt, eigentlich noch gar
nicht; und noch 1861, wo bei der Volkszählung zum erstenmal die Frage nach
der Nationalität gestellt wurde, war kaum ein Drittel der Städter in der Provinz
Posen polnischer Herkunft; je größer die Städte waren (außer in der Provinzial-
hauptstadt, wo es rund 17000 Polen neben 34000 Deutschen gab), desto
geringer war die Zahl der Polen; in Bromberg z. B., wo man heute 13000
Katholiken, darunter reichlich die Hälfte Polen zählt, betrug 1861 ihre Zahl
nur 114. In den kleinern und kleinsten Landstädtchen dagegen (als Kruschwitz
1772 preußisch wurde, hatte es 79 Einwohner) überwogen schon damals die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/110>, abgerufen am 28.07.2024.