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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Nach der Reichstagswahl

herigen Parteien, eine wirklich nationale Sammelpolitik der gebildeten Leute
um das eine Panier im Reiche, das noch über dem Gelderwerb steht, um das
Panier des deutschen Kaisers, kann uns vor dieser Schmach bewahren und
dem Reiche die Festigkeit verleihen, die es braucht in den Stürmen der nächsten
Jahrzehnte. Denkt man denn auch gar nicht daran, was werden würde,
wenn wieder einmal, was Gott verhüte, wie im alten Reiche so oft, eine
schwankende, unsichre, ängstliche Hand und ein undeutsches Herz das kaiser¬
liche Steuer führte? Für diese nationale Sammelpolitik gilt es jetzt den
deutschen Michel zu schütteln und zu rütteln, bis er aufwacht. Für sie
gilt es die Hunderttausende gebildeter Männer in Deutschland fest zu machen
sobald als möglich. Mag die neue Mode in der Politik verrückt genug sein,
grundsätzlich den Unterschied zwischen Bildung und Unbildung zu leugnen; die
gesunde Natur der Bauern und der Arbeiter selbst spottet über diesen Erd-
gcruchsdusel, diese Katzenjammerlaune eines abgelebten Materialismus. Der
kleine gebildete Teil des Volkes ists nach wie vor, der die nationale Politik
schafft oder vernichtet. Die Bauern, die den Ultramontanen und dem Bunde
der Landwirte, und die Arbeiter, die den Sozialdemokratin nachlaufen, sprechen
dafür, nicht dagegen.

Natürlich hat diese Sammelpolitik der Zukunft nichts zu thun mit der
bekannten Sammelpolitik der letzten Wahlkampagne. Das hochschutzzöllnerisch-
agrarische Bündnis, ein echtes Kind der Geschäftspolitik, die alle Geister
beherrscht, hat guten Grund, mit den Wahlen zufrieden zu sein- Stellt es
sich anders, so ist das wohl auch nur Geschäftsmanöver. Niemand wird doch
im Ernst den neuen Reichstag für ungeeigneter als den alten halten, die ihm
bevorstehenden wichtigen handelspolitischen Aufgaben ganz im Sinne dieser
alten Sammelpolitik zu lösen. Die Mehrheit sür die agrarischen Forderungen
und für die protektionistische Verschärfung unsrer Wirtschaftspolitik überhaupt
ist durch den kleinen Stimmenzuwachs der Sozialdemokraten und Ultramontanen
um so weniger gefährdet, als das Zentrum und wohl auch die National-
liberaleu voraussichtlich noch mehr als bisher jede liberalere Regung wirt¬
schaftspolitischer Natur tief in ihrem Herzen verbergen werden. Und die
Führer der Scimmelpvlitiker der letzten Wahlkampagne wissen ja am besten
dem Anwachsen der Sozialdemokratie seine gute Seite abzugewinnen: sie haben
seit Jahren das rote Gespenst benutzt, wo immer es galt, die Regierungen
ihren Wünschen geneigt zu machen. Wenn schon von einer Niederlage der
Sammelpolitik geredet werden soll, so ist die Schlappe, die das Eintreten
einzelner Regicrungsmänner für den Bund der Agrarier und Hochschntzzöllner
der Regierung als solcher in einem gewissen Sinne freilich zugezogen hat, von
den Sammelpolitikern selbst als reiner Machtgewinn eigentlich schon vor den
Wahlen zu hundelt gewesen. Die Sammelpolitiker der letzten Wahlkampagne
stehen zur Zeit, Gott seis geklagt, mit den Ultramontanen und den Sozial-


Nach der Reichstagswahl

herigen Parteien, eine wirklich nationale Sammelpolitik der gebildeten Leute
um das eine Panier im Reiche, das noch über dem Gelderwerb steht, um das
Panier des deutschen Kaisers, kann uns vor dieser Schmach bewahren und
dem Reiche die Festigkeit verleihen, die es braucht in den Stürmen der nächsten
Jahrzehnte. Denkt man denn auch gar nicht daran, was werden würde,
wenn wieder einmal, was Gott verhüte, wie im alten Reiche so oft, eine
schwankende, unsichre, ängstliche Hand und ein undeutsches Herz das kaiser¬
liche Steuer führte? Für diese nationale Sammelpolitik gilt es jetzt den
deutschen Michel zu schütteln und zu rütteln, bis er aufwacht. Für sie
gilt es die Hunderttausende gebildeter Männer in Deutschland fest zu machen
sobald als möglich. Mag die neue Mode in der Politik verrückt genug sein,
grundsätzlich den Unterschied zwischen Bildung und Unbildung zu leugnen; die
gesunde Natur der Bauern und der Arbeiter selbst spottet über diesen Erd-
gcruchsdusel, diese Katzenjammerlaune eines abgelebten Materialismus. Der
kleine gebildete Teil des Volkes ists nach wie vor, der die nationale Politik
schafft oder vernichtet. Die Bauern, die den Ultramontanen und dem Bunde
der Landwirte, und die Arbeiter, die den Sozialdemokratin nachlaufen, sprechen
dafür, nicht dagegen.

Natürlich hat diese Sammelpolitik der Zukunft nichts zu thun mit der
bekannten Sammelpolitik der letzten Wahlkampagne. Das hochschutzzöllnerisch-
agrarische Bündnis, ein echtes Kind der Geschäftspolitik, die alle Geister
beherrscht, hat guten Grund, mit den Wahlen zufrieden zu sein- Stellt es
sich anders, so ist das wohl auch nur Geschäftsmanöver. Niemand wird doch
im Ernst den neuen Reichstag für ungeeigneter als den alten halten, die ihm
bevorstehenden wichtigen handelspolitischen Aufgaben ganz im Sinne dieser
alten Sammelpolitik zu lösen. Die Mehrheit sür die agrarischen Forderungen
und für die protektionistische Verschärfung unsrer Wirtschaftspolitik überhaupt
ist durch den kleinen Stimmenzuwachs der Sozialdemokraten und Ultramontanen
um so weniger gefährdet, als das Zentrum und wohl auch die National-
liberaleu voraussichtlich noch mehr als bisher jede liberalere Regung wirt¬
schaftspolitischer Natur tief in ihrem Herzen verbergen werden. Und die
Führer der Scimmelpvlitiker der letzten Wahlkampagne wissen ja am besten
dem Anwachsen der Sozialdemokratie seine gute Seite abzugewinnen: sie haben
seit Jahren das rote Gespenst benutzt, wo immer es galt, die Regierungen
ihren Wünschen geneigt zu machen. Wenn schon von einer Niederlage der
Sammelpolitik geredet werden soll, so ist die Schlappe, die das Eintreten
einzelner Regicrungsmänner für den Bund der Agrarier und Hochschntzzöllner
der Regierung als solcher in einem gewissen Sinne freilich zugezogen hat, von
den Sammelpolitikern selbst als reiner Machtgewinn eigentlich schon vor den
Wahlen zu hundelt gewesen. Die Sammelpolitiker der letzten Wahlkampagne
stehen zur Zeit, Gott seis geklagt, mit den Ultramontanen und den Sozial-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/11>, abgerufen am 01.09.2024.