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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die bildenden Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse

Solange wir von der Malerei sprachen, waren wir genötigt, von den
natürlichen Bodenverhältnissen im engsten Sinne des Begriffes abzusehen und
zu einer weitern Auffassung überzugehen. Wir werden dies auch künftighin
mehr oder weniger thun müssen. Die Betrachtung der einzelnen Gebiete der
Malerei hängt eben nur mittelbar mit jener festem Umschreibung der "natür¬
lichen Bodenverhältnisse" zusammen. Nur die Landschaftsmalerei wird von
diesen inniger berührt. Sie mag uns noch einmal vor die Seele treten lassen,
wie die Künste, die nur über den Sternen zu wohnen scheinen, mit den
Füßen aber sest auf der realen Erde stehen.

Die Landschaftsmalerei ist, schlechthin gesprochen, ein Kind des Nordens.
Wir wissen zwar, daß der ältere Plinius ein tiefes Naturgefühl hatte, daß
ein Augustinus, ein Äneas Sylvius, ein Petrarca -- um nur einige Größen
zu nennen -- ein feinsinniges Empfinden für die schöne, weite Welt hatten,
aber diese Männer und die, die ähnlich empfanden, sind eigentlich Aus¬
nahmen wie die Landschaftsmaler in Griechenland, sofern es dort wirklich
solche von echtem Schrot und Korn gegeben hat, und im alten Italien. Der
Landschafter, der in der "Landschaft" eingewurzelt ist, wie der Baum im
Schoße der Erde -- das ist doch der nordische Maler.

Historisch betrachtet blüht die Landschaftsmalerei zuerst in den Nieder¬
landen, dann in Deutschland, in Umbricn, in Venedig und in Rom (Annibale
Carracci). Italiens landschaftliche Schönheiten, sowohl die der Formenwelt
wie die des Lichtes, hat ihrem vollen Werte nach erst das Auge des Nord¬
länders entdeckt, das durch den Wechsel ebenso geschärft worden war, wie
das des Südländers durch die Gleichmäßigkeit ungeübt geblieben war. Hier
liegt der eigentliche Kernpunkt der Frage, warum der nordische Maler der
geborne Landschafter ist. Denn nur der Wechsel, der Kampf hält wach. Wer
mit den Unbilden der Witterung, des Klimas, mit Sturm und Regen, mit
Schnee und Nebel zu kämpfen hat, der hat das Auge offen, der hat Sinn fiir
den Glanz der Sonne, für die Großartigkeit der Natur, der lernt sie lieben,
spiegelt sich in ihr, weiß zu malen, was ihr tief verborgen im Innern ruht.
Und darum, weil der nordische Künstler so innig verwachsen ist mit der Natur,
deshalb wurde er der große Entdecker in fremden Landen, erschloß deren
Schätze zum Staunen derer, die Jahrhunderte hindurch mit halbblinden Auge
ihre Hüter gewesen waren. Und die Ursache, warum in den Gebirgen An-
dricus zuerst der italienischen Malerei eine Ahnung von der Schönheit der
Landschaft aufging; warum sich an den Abhängen der Alpen in Castelfraneo,
im wilden Friaul die Seele der Maler öffnete, um das Wehen des Natur¬
geistes zu vernehmen; warum S. Rosa in den klüftereichen Abruzzen seine
Seele in das Wesen der Natur versenkte -- die Ursache ist überall dieselbe:
die natürlichen Bodenverhältnisse sind es, die hier bestimmend einwirkten.

Die Verbindung der Genremalerei mit ihrem mütterlichen Boden ist etwas


Die bildenden Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse

Solange wir von der Malerei sprachen, waren wir genötigt, von den
natürlichen Bodenverhältnissen im engsten Sinne des Begriffes abzusehen und
zu einer weitern Auffassung überzugehen. Wir werden dies auch künftighin
mehr oder weniger thun müssen. Die Betrachtung der einzelnen Gebiete der
Malerei hängt eben nur mittelbar mit jener festem Umschreibung der „natür¬
lichen Bodenverhältnisse" zusammen. Nur die Landschaftsmalerei wird von
diesen inniger berührt. Sie mag uns noch einmal vor die Seele treten lassen,
wie die Künste, die nur über den Sternen zu wohnen scheinen, mit den
Füßen aber sest auf der realen Erde stehen.

Die Landschaftsmalerei ist, schlechthin gesprochen, ein Kind des Nordens.
Wir wissen zwar, daß der ältere Plinius ein tiefes Naturgefühl hatte, daß
ein Augustinus, ein Äneas Sylvius, ein Petrarca — um nur einige Größen
zu nennen — ein feinsinniges Empfinden für die schöne, weite Welt hatten,
aber diese Männer und die, die ähnlich empfanden, sind eigentlich Aus¬
nahmen wie die Landschaftsmaler in Griechenland, sofern es dort wirklich
solche von echtem Schrot und Korn gegeben hat, und im alten Italien. Der
Landschafter, der in der „Landschaft" eingewurzelt ist, wie der Baum im
Schoße der Erde — das ist doch der nordische Maler.

Historisch betrachtet blüht die Landschaftsmalerei zuerst in den Nieder¬
landen, dann in Deutschland, in Umbricn, in Venedig und in Rom (Annibale
Carracci). Italiens landschaftliche Schönheiten, sowohl die der Formenwelt
wie die des Lichtes, hat ihrem vollen Werte nach erst das Auge des Nord¬
länders entdeckt, das durch den Wechsel ebenso geschärft worden war, wie
das des Südländers durch die Gleichmäßigkeit ungeübt geblieben war. Hier
liegt der eigentliche Kernpunkt der Frage, warum der nordische Maler der
geborne Landschafter ist. Denn nur der Wechsel, der Kampf hält wach. Wer
mit den Unbilden der Witterung, des Klimas, mit Sturm und Regen, mit
Schnee und Nebel zu kämpfen hat, der hat das Auge offen, der hat Sinn fiir
den Glanz der Sonne, für die Großartigkeit der Natur, der lernt sie lieben,
spiegelt sich in ihr, weiß zu malen, was ihr tief verborgen im Innern ruht.
Und darum, weil der nordische Künstler so innig verwachsen ist mit der Natur,
deshalb wurde er der große Entdecker in fremden Landen, erschloß deren
Schätze zum Staunen derer, die Jahrhunderte hindurch mit halbblinden Auge
ihre Hüter gewesen waren. Und die Ursache, warum in den Gebirgen An-
dricus zuerst der italienischen Malerei eine Ahnung von der Schönheit der
Landschaft aufging; warum sich an den Abhängen der Alpen in Castelfraneo,
im wilden Friaul die Seele der Maler öffnete, um das Wehen des Natur¬
geistes zu vernehmen; warum S. Rosa in den klüftereichen Abruzzen seine
Seele in das Wesen der Natur versenkte — die Ursache ist überall dieselbe:
die natürlichen Bodenverhältnisse sind es, die hier bestimmend einwirkten.

Die Verbindung der Genremalerei mit ihrem mütterlichen Boden ist etwas


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[0095] Die bildenden Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse Solange wir von der Malerei sprachen, waren wir genötigt, von den natürlichen Bodenverhältnissen im engsten Sinne des Begriffes abzusehen und zu einer weitern Auffassung überzugehen. Wir werden dies auch künftighin mehr oder weniger thun müssen. Die Betrachtung der einzelnen Gebiete der Malerei hängt eben nur mittelbar mit jener festem Umschreibung der „natür¬ lichen Bodenverhältnisse" zusammen. Nur die Landschaftsmalerei wird von diesen inniger berührt. Sie mag uns noch einmal vor die Seele treten lassen, wie die Künste, die nur über den Sternen zu wohnen scheinen, mit den Füßen aber sest auf der realen Erde stehen. Die Landschaftsmalerei ist, schlechthin gesprochen, ein Kind des Nordens. Wir wissen zwar, daß der ältere Plinius ein tiefes Naturgefühl hatte, daß ein Augustinus, ein Äneas Sylvius, ein Petrarca — um nur einige Größen zu nennen — ein feinsinniges Empfinden für die schöne, weite Welt hatten, aber diese Männer und die, die ähnlich empfanden, sind eigentlich Aus¬ nahmen wie die Landschaftsmaler in Griechenland, sofern es dort wirklich solche von echtem Schrot und Korn gegeben hat, und im alten Italien. Der Landschafter, der in der „Landschaft" eingewurzelt ist, wie der Baum im Schoße der Erde — das ist doch der nordische Maler. Historisch betrachtet blüht die Landschaftsmalerei zuerst in den Nieder¬ landen, dann in Deutschland, in Umbricn, in Venedig und in Rom (Annibale Carracci). Italiens landschaftliche Schönheiten, sowohl die der Formenwelt wie die des Lichtes, hat ihrem vollen Werte nach erst das Auge des Nord¬ länders entdeckt, das durch den Wechsel ebenso geschärft worden war, wie das des Südländers durch die Gleichmäßigkeit ungeübt geblieben war. Hier liegt der eigentliche Kernpunkt der Frage, warum der nordische Maler der geborne Landschafter ist. Denn nur der Wechsel, der Kampf hält wach. Wer mit den Unbilden der Witterung, des Klimas, mit Sturm und Regen, mit Schnee und Nebel zu kämpfen hat, der hat das Auge offen, der hat Sinn fiir den Glanz der Sonne, für die Großartigkeit der Natur, der lernt sie lieben, spiegelt sich in ihr, weiß zu malen, was ihr tief verborgen im Innern ruht. Und darum, weil der nordische Künstler so innig verwachsen ist mit der Natur, deshalb wurde er der große Entdecker in fremden Landen, erschloß deren Schätze zum Staunen derer, die Jahrhunderte hindurch mit halbblinden Auge ihre Hüter gewesen waren. Und die Ursache, warum in den Gebirgen An- dricus zuerst der italienischen Malerei eine Ahnung von der Schönheit der Landschaft aufging; warum sich an den Abhängen der Alpen in Castelfraneo, im wilden Friaul die Seele der Maler öffnete, um das Wehen des Natur¬ geistes zu vernehmen; warum S. Rosa in den klüftereichen Abruzzen seine Seele in das Wesen der Natur versenkte — die Ursache ist überall dieselbe: die natürlichen Bodenverhältnisse sind es, die hier bestimmend einwirkten. Die Verbindung der Genremalerei mit ihrem mütterlichen Boden ist etwas

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/95>, abgerufen am 23.07.2024.