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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die bildenden Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse

Immerhin müssen wir hinzufügen, daß die Frage nach dem Inhalt selbst
in unsern Landen weit mehr die Malerei als die Bildhauerkunst interessirt.
Aber die Malerei und die natürlichen Bodenverhältnisse -- was kümmert sie,
die frei über alle Lande schwebende, ewig jungfräuliche Göttin, Erdbeben, ge¬
wachsener oder nicht gewachsener Stein oder das Klima? Und doch ist gerade
sie, die scheinbar ungebundenste, am meisten von natürlichen Einflüssen ab¬
hängig. Sie hat sich freilich um die im Boden ruhenden Materialien nicht
zu kümmern. Denn überall sind am Ende einige farbige Erdsorten, einige
Dachs- oder Marderhaare, ein paar Eier, etwas Bier oder Öl aufzutreiben --
aber die Sonne, deren dies Kind des Lichtes vor allen andern Künsten bedarf,
die ist nicht allerorten gleich. Es ist gewiß nicht zufällig, daß sich gerade
in den Niederlanden, in Venedig, in England, in Sevilla die großen Kolv-
risteu finden. Denn in der von Feuchtigkeit erfüllten Atmosphäre zerstäubt
die Sonne viel tausendfacher ihre Strahlen, läßt sie viel farbenreicher reflek-
tiren, durchsättigt die Luft mit fein zerstreuten, das Auge unsagbar anlockenden
Lichte, das nicht blendet, nicht brennt, jedoch warm leuchtet, wenn auch in
geminderter Glut. Im Süden, in Venedig ist natürlich der Gesamteffekt
anders als im Norden; er ist dort kräftiger, wärmer, goldiger, hier etwas
blasser, kühler, silberner; trotzdem noch so verwandt, daß ein lichthungriges
Auge, wie das des größten nordischen Koloristen, die höchste Schönheit, die
diese Atmosphäre bieten kann, ahnend sehen konnte. Rembrandt hat in der
That die ganze bestrickende, glutvolle Lichtherrlichkeit des Südens mit intuitivem
Geiste wahrzunehmen und zu schildern vermocht, als er das Gold der sinkenden,
in der kühlen, nebligen Luft der Niederlande tief erglühenden Sonne auf seine
Palette bannte. Es ist demnach nur durchaus natürlich, wenn wir in den
Niederlanden, in Brügge, dem Erfinder der sogenannten Ölmalerei begegnen.
Der Nordländer braucht mit derselben Naturnotwendigkeit, unter dem Zwange
der natürlichen Bodenverhältnisse stehend, die Ölmalerei wie der Südländer
das Fresko. Dieses gestaltet, wie ja bekannt genug ist, kein intimes Eingehn
auf die Einzelheiten jeder Art. Die damals gebräuchliche Temperatechnik
brachte ihrerseits, ganz abgesehn von anderweitigen Übelstünden, dem Maler
im feuchten Nordlande mit den langen Wintern durch das langsame Trocknen
viele Unbequemlichkeiten. Dazu kam noch, daß die zähe Paste, mit der man
arbeiten mußte, der geforderten peinlichen Wiedergabe aller Details nicht
günstig war. Weil sich nun aber der Cisalpiner, wie wir schon bei den Er¬
örterungen über die Plastik gesehn haben, durch die natürlichen Boden¬
verhältnisse im weitern Wortsinne veranlaßt sah, von dem gefällige" Äußern
etwas mehr abzusehen und aus das Innenleben das Hauptaugenmerk zu
richten, so mußte er sich ein Mittel verschaffen, das Innenleben auszudrücken.
Dazu brauchte er die Ölmalerei. Und wenn wir endlich sehen, daß diese
Technik am Beginne des fünfzehnten Jahrhunderts entdeckt wurde, so finden


Die bildenden Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse

Immerhin müssen wir hinzufügen, daß die Frage nach dem Inhalt selbst
in unsern Landen weit mehr die Malerei als die Bildhauerkunst interessirt.
Aber die Malerei und die natürlichen Bodenverhältnisse — was kümmert sie,
die frei über alle Lande schwebende, ewig jungfräuliche Göttin, Erdbeben, ge¬
wachsener oder nicht gewachsener Stein oder das Klima? Und doch ist gerade
sie, die scheinbar ungebundenste, am meisten von natürlichen Einflüssen ab¬
hängig. Sie hat sich freilich um die im Boden ruhenden Materialien nicht
zu kümmern. Denn überall sind am Ende einige farbige Erdsorten, einige
Dachs- oder Marderhaare, ein paar Eier, etwas Bier oder Öl aufzutreiben —
aber die Sonne, deren dies Kind des Lichtes vor allen andern Künsten bedarf,
die ist nicht allerorten gleich. Es ist gewiß nicht zufällig, daß sich gerade
in den Niederlanden, in Venedig, in England, in Sevilla die großen Kolv-
risteu finden. Denn in der von Feuchtigkeit erfüllten Atmosphäre zerstäubt
die Sonne viel tausendfacher ihre Strahlen, läßt sie viel farbenreicher reflek-
tiren, durchsättigt die Luft mit fein zerstreuten, das Auge unsagbar anlockenden
Lichte, das nicht blendet, nicht brennt, jedoch warm leuchtet, wenn auch in
geminderter Glut. Im Süden, in Venedig ist natürlich der Gesamteffekt
anders als im Norden; er ist dort kräftiger, wärmer, goldiger, hier etwas
blasser, kühler, silberner; trotzdem noch so verwandt, daß ein lichthungriges
Auge, wie das des größten nordischen Koloristen, die höchste Schönheit, die
diese Atmosphäre bieten kann, ahnend sehen konnte. Rembrandt hat in der
That die ganze bestrickende, glutvolle Lichtherrlichkeit des Südens mit intuitivem
Geiste wahrzunehmen und zu schildern vermocht, als er das Gold der sinkenden,
in der kühlen, nebligen Luft der Niederlande tief erglühenden Sonne auf seine
Palette bannte. Es ist demnach nur durchaus natürlich, wenn wir in den
Niederlanden, in Brügge, dem Erfinder der sogenannten Ölmalerei begegnen.
Der Nordländer braucht mit derselben Naturnotwendigkeit, unter dem Zwange
der natürlichen Bodenverhältnisse stehend, die Ölmalerei wie der Südländer
das Fresko. Dieses gestaltet, wie ja bekannt genug ist, kein intimes Eingehn
auf die Einzelheiten jeder Art. Die damals gebräuchliche Temperatechnik
brachte ihrerseits, ganz abgesehn von anderweitigen Übelstünden, dem Maler
im feuchten Nordlande mit den langen Wintern durch das langsame Trocknen
viele Unbequemlichkeiten. Dazu kam noch, daß die zähe Paste, mit der man
arbeiten mußte, der geforderten peinlichen Wiedergabe aller Details nicht
günstig war. Weil sich nun aber der Cisalpiner, wie wir schon bei den Er¬
örterungen über die Plastik gesehn haben, durch die natürlichen Boden¬
verhältnisse im weitern Wortsinne veranlaßt sah, von dem gefällige» Äußern
etwas mehr abzusehen und aus das Innenleben das Hauptaugenmerk zu
richten, so mußte er sich ein Mittel verschaffen, das Innenleben auszudrücken.
Dazu brauchte er die Ölmalerei. Und wenn wir endlich sehen, daß diese
Technik am Beginne des fünfzehnten Jahrhunderts entdeckt wurde, so finden


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[0093] Die bildenden Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse Immerhin müssen wir hinzufügen, daß die Frage nach dem Inhalt selbst in unsern Landen weit mehr die Malerei als die Bildhauerkunst interessirt. Aber die Malerei und die natürlichen Bodenverhältnisse — was kümmert sie, die frei über alle Lande schwebende, ewig jungfräuliche Göttin, Erdbeben, ge¬ wachsener oder nicht gewachsener Stein oder das Klima? Und doch ist gerade sie, die scheinbar ungebundenste, am meisten von natürlichen Einflüssen ab¬ hängig. Sie hat sich freilich um die im Boden ruhenden Materialien nicht zu kümmern. Denn überall sind am Ende einige farbige Erdsorten, einige Dachs- oder Marderhaare, ein paar Eier, etwas Bier oder Öl aufzutreiben — aber die Sonne, deren dies Kind des Lichtes vor allen andern Künsten bedarf, die ist nicht allerorten gleich. Es ist gewiß nicht zufällig, daß sich gerade in den Niederlanden, in Venedig, in England, in Sevilla die großen Kolv- risteu finden. Denn in der von Feuchtigkeit erfüllten Atmosphäre zerstäubt die Sonne viel tausendfacher ihre Strahlen, läßt sie viel farbenreicher reflek- tiren, durchsättigt die Luft mit fein zerstreuten, das Auge unsagbar anlockenden Lichte, das nicht blendet, nicht brennt, jedoch warm leuchtet, wenn auch in geminderter Glut. Im Süden, in Venedig ist natürlich der Gesamteffekt anders als im Norden; er ist dort kräftiger, wärmer, goldiger, hier etwas blasser, kühler, silberner; trotzdem noch so verwandt, daß ein lichthungriges Auge, wie das des größten nordischen Koloristen, die höchste Schönheit, die diese Atmosphäre bieten kann, ahnend sehen konnte. Rembrandt hat in der That die ganze bestrickende, glutvolle Lichtherrlichkeit des Südens mit intuitivem Geiste wahrzunehmen und zu schildern vermocht, als er das Gold der sinkenden, in der kühlen, nebligen Luft der Niederlande tief erglühenden Sonne auf seine Palette bannte. Es ist demnach nur durchaus natürlich, wenn wir in den Niederlanden, in Brügge, dem Erfinder der sogenannten Ölmalerei begegnen. Der Nordländer braucht mit derselben Naturnotwendigkeit, unter dem Zwange der natürlichen Bodenverhältnisse stehend, die Ölmalerei wie der Südländer das Fresko. Dieses gestaltet, wie ja bekannt genug ist, kein intimes Eingehn auf die Einzelheiten jeder Art. Die damals gebräuchliche Temperatechnik brachte ihrerseits, ganz abgesehn von anderweitigen Übelstünden, dem Maler im feuchten Nordlande mit den langen Wintern durch das langsame Trocknen viele Unbequemlichkeiten. Dazu kam noch, daß die zähe Paste, mit der man arbeiten mußte, der geforderten peinlichen Wiedergabe aller Details nicht günstig war. Weil sich nun aber der Cisalpiner, wie wir schon bei den Er¬ örterungen über die Plastik gesehn haben, durch die natürlichen Boden¬ verhältnisse im weitern Wortsinne veranlaßt sah, von dem gefällige» Äußern etwas mehr abzusehen und aus das Innenleben das Hauptaugenmerk zu richten, so mußte er sich ein Mittel verschaffen, das Innenleben auszudrücken. Dazu brauchte er die Ölmalerei. Und wenn wir endlich sehen, daß diese Technik am Beginne des fünfzehnten Jahrhunderts entdeckt wurde, so finden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/93>, abgerufen am 23.07.2024.