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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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läuft -- jedoch trotz solcher Kunstwerke wie die Nürnberger Madonna, der
Christus zu Freiberg i. S., der Altäre zu Cnlear und Schleswig, der
modernen Werke eines Volkmann usw.; trotz derartiger Monumente aus
Perioden, die von unsrer in Frage stehenden Zeit unendlich weit entfernt sind,
dürfen wir sagen: das Holz kann auf keinen Fall mit dem Stein und dem
Erz konkurriren.

Das Erz ist in gewisser Hinsicht das vorzüglichste Material, das der
natürliche Boden dem bildenden Künstler schenken kann. Die Untersuchung, in¬
wieweit es auf die ursprüngliche Entwicklung der Plastik eingewirkt hat, ist
sehr schwer, fast nur auf mittelbarem Wege zu machen. Denn das Erz wird
zu größern künstlerischen Arbeiten erst verhältnismäßig spät verwandt werden
können, da das Treiben und Gießen eine große mechanische und künstlerische
Ausbildung voraussetzt. Immerhin können wir auch in diesem Falle die Ein¬
wirkung der natürlichen Bodenverhältnisse einigermaßen für die deutsche Plastik
feststellen. Um das Jahr 1000 entstanden in Deutschland die ersten großen
plastischen Werke in Erz, und zwar in Hildesheim. Diese Stadt liegt aber in
der Nähe des Harzes, wo seit dem zehnten Jahrhundert der Bergbau reiche
Schätze an Metall zu Tage förderte. Auch Griechenland, z. B. Attika und
Euböa (Chalcis), war reich an Kupfer, und welchen bildenden Einfluß diese
natürlichen Bodenverhältnisse ausgeübt haben müssen, können wir selbst noch
aus relativ späten Arbeiten, z. B. den Gruppen von Ägiua, ersehen. Das
Erz wird dem Marmor erst die volle Freiheit gebracht haben.

Wir dürfen daher die Wichtigkeit der durch den Boden dem "auto-
chthonen" Plastiker geschenkten Stoffe etwa so bestimmen: Holz und Thon sind
die ältesten, aber weniger wertvoll, das Erz ist jünger, aber vornehmer, der
Marmor endlich ist weniger edel, aber von allgemeinerer Bedeutung für die
ganze Entwicklung der Plastik.

Die natürlichen Bodenverhältnisse bestimmen auch, wie wir schon hervor¬
gehoben haben, wenigstens teilweise das Klima. Dieses beeinflußt wiederum
die Kunst, also auch die Plastik. Von dem Klima hängt auch die Scheidung
ab in eine Außen- und eine Jnnenplastik. Die Griechen sind die Bildhauer, die
für die Aufstellung im Freien meißelten und gössen; die Nordländer bildeten in
der Zeit ihrer einheimischen Bildhauerkunst nur für geschlossene Räume, oder
für solche Räume, die mit der Architektur in derartiger Beziehung standen,
daß sie, z. B. die Kirchenportale, als geschlossene gelten können. Die Italiener
nehmen in der Renaissamezeit eine vermittelnde Stelle ein. Wie sehr das
Klima mitspricht -- und nur von diesem ist die Rede, nicht von den Wechsel¬
wirkungen der gesteigerten Kultur, die z. B. den Norden mit zahlreichen
unter freiem Himmel aufgestellten Statuen beschenkt hat --, das ergiebt sich
sofort aus einem Vergleiche zwischen der Formensprache der griechischen Skulp¬
turen, denen Michelangelos und denen in Naumburg. Der Grieche hat, all-


läuft — jedoch trotz solcher Kunstwerke wie die Nürnberger Madonna, der
Christus zu Freiberg i. S., der Altäre zu Cnlear und Schleswig, der
modernen Werke eines Volkmann usw.; trotz derartiger Monumente aus
Perioden, die von unsrer in Frage stehenden Zeit unendlich weit entfernt sind,
dürfen wir sagen: das Holz kann auf keinen Fall mit dem Stein und dem
Erz konkurriren.

Das Erz ist in gewisser Hinsicht das vorzüglichste Material, das der
natürliche Boden dem bildenden Künstler schenken kann. Die Untersuchung, in¬
wieweit es auf die ursprüngliche Entwicklung der Plastik eingewirkt hat, ist
sehr schwer, fast nur auf mittelbarem Wege zu machen. Denn das Erz wird
zu größern künstlerischen Arbeiten erst verhältnismäßig spät verwandt werden
können, da das Treiben und Gießen eine große mechanische und künstlerische
Ausbildung voraussetzt. Immerhin können wir auch in diesem Falle die Ein¬
wirkung der natürlichen Bodenverhältnisse einigermaßen für die deutsche Plastik
feststellen. Um das Jahr 1000 entstanden in Deutschland die ersten großen
plastischen Werke in Erz, und zwar in Hildesheim. Diese Stadt liegt aber in
der Nähe des Harzes, wo seit dem zehnten Jahrhundert der Bergbau reiche
Schätze an Metall zu Tage förderte. Auch Griechenland, z. B. Attika und
Euböa (Chalcis), war reich an Kupfer, und welchen bildenden Einfluß diese
natürlichen Bodenverhältnisse ausgeübt haben müssen, können wir selbst noch
aus relativ späten Arbeiten, z. B. den Gruppen von Ägiua, ersehen. Das
Erz wird dem Marmor erst die volle Freiheit gebracht haben.

Wir dürfen daher die Wichtigkeit der durch den Boden dem „auto-
chthonen" Plastiker geschenkten Stoffe etwa so bestimmen: Holz und Thon sind
die ältesten, aber weniger wertvoll, das Erz ist jünger, aber vornehmer, der
Marmor endlich ist weniger edel, aber von allgemeinerer Bedeutung für die
ganze Entwicklung der Plastik.

Die natürlichen Bodenverhältnisse bestimmen auch, wie wir schon hervor¬
gehoben haben, wenigstens teilweise das Klima. Dieses beeinflußt wiederum
die Kunst, also auch die Plastik. Von dem Klima hängt auch die Scheidung
ab in eine Außen- und eine Jnnenplastik. Die Griechen sind die Bildhauer, die
für die Aufstellung im Freien meißelten und gössen; die Nordländer bildeten in
der Zeit ihrer einheimischen Bildhauerkunst nur für geschlossene Räume, oder
für solche Räume, die mit der Architektur in derartiger Beziehung standen,
daß sie, z. B. die Kirchenportale, als geschlossene gelten können. Die Italiener
nehmen in der Renaissamezeit eine vermittelnde Stelle ein. Wie sehr das
Klima mitspricht — und nur von diesem ist die Rede, nicht von den Wechsel¬
wirkungen der gesteigerten Kultur, die z. B. den Norden mit zahlreichen
unter freiem Himmel aufgestellten Statuen beschenkt hat —, das ergiebt sich
sofort aus einem Vergleiche zwischen der Formensprache der griechischen Skulp¬
turen, denen Michelangelos und denen in Naumburg. Der Grieche hat, all-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/91>, abgerufen am 23.07.2024.