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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Vie bildenden Aünste und die natürlichen Bodenverhältnisse

ist die -- die gotische -- Baukunst ein Resultat der Eigenschaft des Mate¬
rials; sie ist eine Folge des Steinbaues. Der Quader wirkte in der Kon¬
struktion hauptsächlich durch sein Gewicht und seine Festigkeit. Der Quader¬
bau allein kann also die Aufgabe lösen, die Masse vollständig auf einzelne
tragende Punkte zurückzuführen." Darin liegt aber bekanntermaßen das
xunvwm Lg.UsnL der gotischen Bankunst. Daß dann in entwickelterer Bau¬
periode gerade leichte Gewölbe, wie das Fächergewölbe im Lande des Ziegel¬
baues die vollkommenste Ausbildung erhielten, kann uns in diesem Zusammen¬
hange gleichgiltig lassen.

Gleichwie sür die stilistischen Grundgedanken das Material maßgebend ist,
so auch sür die einzelnen Formen. Der sogenannte Rustikabau ist, um einen
Beleg zu geben, in Toskana wie nie zuvor entwickelt worden; in Oberitalien,
dem Lande der Ziegelbauten, wäre eine solche Architektur unmöglich. Der
Ziegelbau wird unter den für uns obwaltenden Verhältnissen die eintönigen
Mauerflächen nicht durch energische, wuchtige Bauglieder beleben -- trotz
Palladio --, sondern durch kleinere, mehr oder weniger ornamentale Motive,
wie durch Ziegelstellung, durch Medaillons, Lisenen, Blendbogen usw. Diese
Bemerkung sührt uns zu dem Einfluß des natürlichen Materials, den es auf
die Formenbildung der einzelnen Teile und Glieder des Baues ausübt. Ein
und dasselbe Motiv sieht nämlich in Sand- oder hartem Kalkstein ausgeführt
ganz anders aus als in gebranntem Thon. Ein Architekt, der z. B. eine
Konsole für den Thon ebenso bilden wollte wie für den festgefügten, echten
Stein, würde ganz gewaltig irre gehen. Der durchbrochne gotische Kirch¬
turm würde niemals in einer Gegend erfunden worden sein, die nur über
Thonerde verfügt. Daß die Formensprache der Renaissance in Florenz so ganz
anders tönt als die der Lombardei und der Niederlande, beruht in erster Linie
auf dem benutzten Stoffe.

Noch ein andrer Einfluß muß hervorgehoben werden, der allgemein für
die nordischen wie für die südlichen Landschaften als bestimmend gilt: das
Licht. Die Sonne und deren Kraft, die dickere und dünnere Atmosphäre
sprechen bedeutsam mit. Die scharfe Beleuchtung des Südens erlaubt und
fordert eine viel zartere Behandlung aller Einzelheiten. Diese atmosphärischen
Verhältnisse, die zum Teil doch auch durch die natürlichen Bodenverhältnisse
hervorgerufen werden, gestalten die Architektur ihrerseits noch in einer andern
Hinsicht. Ein Land, das wie die Niederlande reiche Niederschlüge hat, das
wie Skandinavien von mächtigen Schneemassen bedeckt wird, muß und wird
seine Baukunst ganz anders entwickeln als etwa Rom oder Südspanien. Der
luftige Hallen- und Gewölbebau der Alhambra ist ein echtes Kind des Klimas,
der natürlichen Bodenverhältnisse im weitern Wortsinn. Die Araber ver¬
wandten den Spitzbogen ohne seinen architektonischen Wert zu erkennen; sie
schätzten ihn vielleicht nur rechnerisch als Mathematiker. Ebenso begreiflich


Vie bildenden Aünste und die natürlichen Bodenverhältnisse

ist die — die gotische — Baukunst ein Resultat der Eigenschaft des Mate¬
rials; sie ist eine Folge des Steinbaues. Der Quader wirkte in der Kon¬
struktion hauptsächlich durch sein Gewicht und seine Festigkeit. Der Quader¬
bau allein kann also die Aufgabe lösen, die Masse vollständig auf einzelne
tragende Punkte zurückzuführen." Darin liegt aber bekanntermaßen das
xunvwm Lg.UsnL der gotischen Bankunst. Daß dann in entwickelterer Bau¬
periode gerade leichte Gewölbe, wie das Fächergewölbe im Lande des Ziegel¬
baues die vollkommenste Ausbildung erhielten, kann uns in diesem Zusammen¬
hange gleichgiltig lassen.

Gleichwie sür die stilistischen Grundgedanken das Material maßgebend ist,
so auch sür die einzelnen Formen. Der sogenannte Rustikabau ist, um einen
Beleg zu geben, in Toskana wie nie zuvor entwickelt worden; in Oberitalien,
dem Lande der Ziegelbauten, wäre eine solche Architektur unmöglich. Der
Ziegelbau wird unter den für uns obwaltenden Verhältnissen die eintönigen
Mauerflächen nicht durch energische, wuchtige Bauglieder beleben — trotz
Palladio —, sondern durch kleinere, mehr oder weniger ornamentale Motive,
wie durch Ziegelstellung, durch Medaillons, Lisenen, Blendbogen usw. Diese
Bemerkung sührt uns zu dem Einfluß des natürlichen Materials, den es auf
die Formenbildung der einzelnen Teile und Glieder des Baues ausübt. Ein
und dasselbe Motiv sieht nämlich in Sand- oder hartem Kalkstein ausgeführt
ganz anders aus als in gebranntem Thon. Ein Architekt, der z. B. eine
Konsole für den Thon ebenso bilden wollte wie für den festgefügten, echten
Stein, würde ganz gewaltig irre gehen. Der durchbrochne gotische Kirch¬
turm würde niemals in einer Gegend erfunden worden sein, die nur über
Thonerde verfügt. Daß die Formensprache der Renaissance in Florenz so ganz
anders tönt als die der Lombardei und der Niederlande, beruht in erster Linie
auf dem benutzten Stoffe.

Noch ein andrer Einfluß muß hervorgehoben werden, der allgemein für
die nordischen wie für die südlichen Landschaften als bestimmend gilt: das
Licht. Die Sonne und deren Kraft, die dickere und dünnere Atmosphäre
sprechen bedeutsam mit. Die scharfe Beleuchtung des Südens erlaubt und
fordert eine viel zartere Behandlung aller Einzelheiten. Diese atmosphärischen
Verhältnisse, die zum Teil doch auch durch die natürlichen Bodenverhältnisse
hervorgerufen werden, gestalten die Architektur ihrerseits noch in einer andern
Hinsicht. Ein Land, das wie die Niederlande reiche Niederschlüge hat, das
wie Skandinavien von mächtigen Schneemassen bedeckt wird, muß und wird
seine Baukunst ganz anders entwickeln als etwa Rom oder Südspanien. Der
luftige Hallen- und Gewölbebau der Alhambra ist ein echtes Kind des Klimas,
der natürlichen Bodenverhältnisse im weitern Wortsinn. Die Araber ver¬
wandten den Spitzbogen ohne seinen architektonischen Wert zu erkennen; sie
schätzten ihn vielleicht nur rechnerisch als Mathematiker. Ebenso begreiflich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/87>, abgerufen am 23.07.2024.