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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die bildenden Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse

teilung auch hier beizubehalten. Sie gestattet uns, vom niedern zum höhern,
von dem erdeuschweren Stoffe zum leichtbeschwingten Lichte emporzustreben.

Die Erdoberfläche wird zunächst der Baukunst einige allgemeine Gesetze
aufzwingen. Wenn wir z. B. sehen, daß die ägyptische Architektur, nach
Götter, vorwiegend mit Ebenen und geraden Kanten und Linien, mit scharfen
Kontrasten der Beleuchtung arbeitet, so steht dies in Übereinstimmung mit der
natürlichen Umgebung, dem reinen Himmel und den großen Linien der Land¬
schaft. Wenn wir in Gebirgsthälern so oft nadelspitzen Türmen begegnen,
so sind es die ragenden Spitzen der Berge, die zum Wettstreite reizten. Wenn
wir ferner in vulkanischen Gebieten, z. B. in Santiago, großartige langgestreckte
Paläste erblicken, die aber alle einstöckig sind, so spricht hier die Unsicherheit
der natürlichen Bodenverhältnisse mit. Ebenso wenig wie ein vom Erdbeben
oft heimgesuchtes Land einer aufstrebenden monumentalen Architektur förderlich
ist, vermag ein sumpfiger Boden diese hervorzurufen. Auf einem Roste wird
niemals eine künstlerisch durchgebildete, im künstlerischen Sinne strebende
Architektur autochthon entstehen können. Die Notwendigkeit, einen Baugrund
erst durch eingeräumte Pfühle beschaffen zu müssen, ist für das Entstehen
einer selbständigen Baukunst ein zu großes Hindernis. Wie schwerwiegend
dieses ist, beweisen die Perioden am besten, in denen der Mensch, ausgestattet
mit reichen technischen und materiellen Mitteln, an die baukünstlerischen Auf¬
gaben herangetreten ist. In Venedig hat sich, um ein Beispiel anzuführen, in
keiner Zeit eine eigenständige monumentale Architektur entwickelt. Allerdings
sind eine Anzahl glänzender Paläste und Kirchen erbaut worden; aber gerade
diese beweisen, wie sehr der sumpfige Untergrund die Baumeister behindert
hat. Die Bauten sind schmal und tief, aber nicht breit angelegt. Denn der
breite Grundriß verlangt eine vielfach gestaltete Durchbildung, die mehr belastet
als der schmale. Die Gebäude sind serner in leichterm Material errichtet und
wenigstens der weit überwiegenden Mehrzahl nach nicht durch massige Bau¬
glieder belebt, sondern mit bunten Gestein und glänzendem Goldschmuck heraus¬
geputzt, wie man wohl sagen darf. Es war also in erster Hinsicht der un¬
sichere Baugrund, der diese eigentümliche Anlage der Bauten forderte; erst an
zweiter Stelle kam ihre Kostbarkeit in Frage. Dieselben Verhältnisse und
Ergebnisse beobachten wir in den Niederlanden. Der Situationsplan eines
Hauses wird weiterhin besonders im Gebirge durch die Beschaffenheit des
natürlichen Bodens bestimmt werden. Hier wird ein kompakter Grundriß, der
möglichst wenig Raum verlangt, unbedingt notwendig sein.

Nachdem wir die hauptsächlichsten Formen der "natürlichen Bodenver¬
hältnisse" untersucht haben, müssen wir die Frage aufwerfen: Welche Be¬
dingungen sind die günstigsten, unter denen eine monumentale Architektur er¬
stehen kann? Die Antwort müßte heißen: Die geeignetsten Vorbedingungen
treffen wir in der nichtvulkanischen Ebene an. Denn in dieser steht der


Die bildenden Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse

teilung auch hier beizubehalten. Sie gestattet uns, vom niedern zum höhern,
von dem erdeuschweren Stoffe zum leichtbeschwingten Lichte emporzustreben.

Die Erdoberfläche wird zunächst der Baukunst einige allgemeine Gesetze
aufzwingen. Wenn wir z. B. sehen, daß die ägyptische Architektur, nach
Götter, vorwiegend mit Ebenen und geraden Kanten und Linien, mit scharfen
Kontrasten der Beleuchtung arbeitet, so steht dies in Übereinstimmung mit der
natürlichen Umgebung, dem reinen Himmel und den großen Linien der Land¬
schaft. Wenn wir in Gebirgsthälern so oft nadelspitzen Türmen begegnen,
so sind es die ragenden Spitzen der Berge, die zum Wettstreite reizten. Wenn
wir ferner in vulkanischen Gebieten, z. B. in Santiago, großartige langgestreckte
Paläste erblicken, die aber alle einstöckig sind, so spricht hier die Unsicherheit
der natürlichen Bodenverhältnisse mit. Ebenso wenig wie ein vom Erdbeben
oft heimgesuchtes Land einer aufstrebenden monumentalen Architektur förderlich
ist, vermag ein sumpfiger Boden diese hervorzurufen. Auf einem Roste wird
niemals eine künstlerisch durchgebildete, im künstlerischen Sinne strebende
Architektur autochthon entstehen können. Die Notwendigkeit, einen Baugrund
erst durch eingeräumte Pfühle beschaffen zu müssen, ist für das Entstehen
einer selbständigen Baukunst ein zu großes Hindernis. Wie schwerwiegend
dieses ist, beweisen die Perioden am besten, in denen der Mensch, ausgestattet
mit reichen technischen und materiellen Mitteln, an die baukünstlerischen Auf¬
gaben herangetreten ist. In Venedig hat sich, um ein Beispiel anzuführen, in
keiner Zeit eine eigenständige monumentale Architektur entwickelt. Allerdings
sind eine Anzahl glänzender Paläste und Kirchen erbaut worden; aber gerade
diese beweisen, wie sehr der sumpfige Untergrund die Baumeister behindert
hat. Die Bauten sind schmal und tief, aber nicht breit angelegt. Denn der
breite Grundriß verlangt eine vielfach gestaltete Durchbildung, die mehr belastet
als der schmale. Die Gebäude sind serner in leichterm Material errichtet und
wenigstens der weit überwiegenden Mehrzahl nach nicht durch massige Bau¬
glieder belebt, sondern mit bunten Gestein und glänzendem Goldschmuck heraus¬
geputzt, wie man wohl sagen darf. Es war also in erster Hinsicht der un¬
sichere Baugrund, der diese eigentümliche Anlage der Bauten forderte; erst an
zweiter Stelle kam ihre Kostbarkeit in Frage. Dieselben Verhältnisse und
Ergebnisse beobachten wir in den Niederlanden. Der Situationsplan eines
Hauses wird weiterhin besonders im Gebirge durch die Beschaffenheit des
natürlichen Bodens bestimmt werden. Hier wird ein kompakter Grundriß, der
möglichst wenig Raum verlangt, unbedingt notwendig sein.

Nachdem wir die hauptsächlichsten Formen der „natürlichen Bodenver¬
hältnisse" untersucht haben, müssen wir die Frage aufwerfen: Welche Be¬
dingungen sind die günstigsten, unter denen eine monumentale Architektur er¬
stehen kann? Die Antwort müßte heißen: Die geeignetsten Vorbedingungen
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[0085] Die bildenden Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse teilung auch hier beizubehalten. Sie gestattet uns, vom niedern zum höhern, von dem erdeuschweren Stoffe zum leichtbeschwingten Lichte emporzustreben. Die Erdoberfläche wird zunächst der Baukunst einige allgemeine Gesetze aufzwingen. Wenn wir z. B. sehen, daß die ägyptische Architektur, nach Götter, vorwiegend mit Ebenen und geraden Kanten und Linien, mit scharfen Kontrasten der Beleuchtung arbeitet, so steht dies in Übereinstimmung mit der natürlichen Umgebung, dem reinen Himmel und den großen Linien der Land¬ schaft. Wenn wir in Gebirgsthälern so oft nadelspitzen Türmen begegnen, so sind es die ragenden Spitzen der Berge, die zum Wettstreite reizten. Wenn wir ferner in vulkanischen Gebieten, z. B. in Santiago, großartige langgestreckte Paläste erblicken, die aber alle einstöckig sind, so spricht hier die Unsicherheit der natürlichen Bodenverhältnisse mit. Ebenso wenig wie ein vom Erdbeben oft heimgesuchtes Land einer aufstrebenden monumentalen Architektur förderlich ist, vermag ein sumpfiger Boden diese hervorzurufen. Auf einem Roste wird niemals eine künstlerisch durchgebildete, im künstlerischen Sinne strebende Architektur autochthon entstehen können. Die Notwendigkeit, einen Baugrund erst durch eingeräumte Pfühle beschaffen zu müssen, ist für das Entstehen einer selbständigen Baukunst ein zu großes Hindernis. Wie schwerwiegend dieses ist, beweisen die Perioden am besten, in denen der Mensch, ausgestattet mit reichen technischen und materiellen Mitteln, an die baukünstlerischen Auf¬ gaben herangetreten ist. In Venedig hat sich, um ein Beispiel anzuführen, in keiner Zeit eine eigenständige monumentale Architektur entwickelt. Allerdings sind eine Anzahl glänzender Paläste und Kirchen erbaut worden; aber gerade diese beweisen, wie sehr der sumpfige Untergrund die Baumeister behindert hat. Die Bauten sind schmal und tief, aber nicht breit angelegt. Denn der breite Grundriß verlangt eine vielfach gestaltete Durchbildung, die mehr belastet als der schmale. Die Gebäude sind serner in leichterm Material errichtet und wenigstens der weit überwiegenden Mehrzahl nach nicht durch massige Bau¬ glieder belebt, sondern mit bunten Gestein und glänzendem Goldschmuck heraus¬ geputzt, wie man wohl sagen darf. Es war also in erster Hinsicht der un¬ sichere Baugrund, der diese eigentümliche Anlage der Bauten forderte; erst an zweiter Stelle kam ihre Kostbarkeit in Frage. Dieselben Verhältnisse und Ergebnisse beobachten wir in den Niederlanden. Der Situationsplan eines Hauses wird weiterhin besonders im Gebirge durch die Beschaffenheit des natürlichen Bodens bestimmt werden. Hier wird ein kompakter Grundriß, der möglichst wenig Raum verlangt, unbedingt notwendig sein. Nachdem wir die hauptsächlichsten Formen der „natürlichen Bodenver¬ hältnisse" untersucht haben, müssen wir die Frage aufwerfen: Welche Be¬ dingungen sind die günstigsten, unter denen eine monumentale Architektur er¬ stehen kann? Die Antwort müßte heißen: Die geeignetsten Vorbedingungen treffen wir in der nichtvulkanischen Ebene an. Denn in dieser steht der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/85>, abgerufen am 23.07.2024.