Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

dann schadet er sich selbst an seiner Praxis. Sollte in den genannten Fällen
auch noch ein Ehrengericht vonnöten sein?

Legt der Beruf aber noch andre Pflichten auf, als die oben aufgezählten,
dann ist es vor der Einführung eines Ehrengerichts, durch das Verstöße da¬
gegen geahndet werden sollen, die allerhöchste Zeit, sie zu nennen, und es
nicht dem Gutdünken irgend eines Juristen zu überlasse", auszuführen, worin
jene Pflichten bestehen. Hier hatte die Thätigkeit des Ärztekammerausschusses
einzusetzen, nicht aber bei der Ausarbeitung der Form des Gesetzes, einer rein
technisch-juristischen Sache. Und was hat der Ausschuß gethan? Nach einem
Antrag Dr. K.s hat er beschlossen, den Minister zu ersuchen, eine ärztliche
Standesordnung auszuarbeiten. Hat man bei diesem Beschluß vielleicht etwas
von dein bekannten beschränkten Unterthanenverstcmde verspürt? Hinsichtlich
des Privatlebens der Berufsgenossen ist man schwankend gewesen. Merk¬
würdigerweise soll es den ehrengerichtlichen Satzungen nicht unterliegen. Will
man aber die Ehre des Standes heben, den Stand verbessern, so sollte man
genau genommen den Hebel überall ansetzen, an das Privatleben sowohl als
an die Berufsthätigkeit.

An und für sich sollte es scheinen, daß Gesetze keinen andern Zweck hätten,
als allgemein giltige, gute Gewohnheiten in rechtliche, d. h. für alle verbind¬
liche Formen zu bringen. Aus einem guten Stück der neuern Gesetzgebung
geht aber hervor, daß sie auch erzieherisch wirken sollen. Der Gedanke, die
Menschen durch die aufs Papier gebrachte" Paragraphen zu bessern, ist eben
zu verlockend. Wenn die Menschen einmal anders organisirt sein werden, und
die nötigen Nechtsbelehrungen der Richter dabei nicht ausbleiben, so ist es
vielleicht zu erwarten, daß die Menschen auf diese Weise zum Guten erzogen
werden und die Zustände dieser Welt sich in paradiesische umwandeln. Bis
dahin aber sollte man als Koeffizienten der Erziehung Elternhaus, Schule,
Kirche und ähnliche Größen walten lassen, Gesetze aber nur für die Wahrung
bestimmter guter Gewohnheiten und gegen ihre Übertretung in gewissen Fällen
aufstellen! Wie das auf unsern Fall anzuwenden ist, möge seine Erörterung
weiter unten finden. Hier mag noch ein Beispiel folgen, wie weit verbreitet
die Meinung ist, daß die Menschen durch den Strafrichter zum Besser" er¬
zogen werden müssen. Ein Artikel der "Deutschen Tageszeitung," der im
November vorigen Jahres erschienen ist, schreibt in diesem Sinne: "Daß man
kurzerhand fast allgemein gefordert hat, das Versälle" außerhalb des Berufs
müsse dem Ehrengericht grundsätzlich entzogen werden, das ist bedenklich und
bedauerlich. Kein Beruf muß so vom Vertrauen der Bevölkerung getragen
werden wie der ärztliche; keinem Beruf wird so viel anvertraut wie dem ärzt¬
lichen. Wenn ein Arzt sein schweres Amt in gewissenhafter Weise ausüben
will, dann muß er ein sittlich einwandfreier Mensch sein, dan" darf auch fein
anßeramtliches Verhalten keine schwere Verfehlung aufweisen, sonst wird das


Grenzboten II 1398 w

dann schadet er sich selbst an seiner Praxis. Sollte in den genannten Fällen
auch noch ein Ehrengericht vonnöten sein?

Legt der Beruf aber noch andre Pflichten auf, als die oben aufgezählten,
dann ist es vor der Einführung eines Ehrengerichts, durch das Verstöße da¬
gegen geahndet werden sollen, die allerhöchste Zeit, sie zu nennen, und es
nicht dem Gutdünken irgend eines Juristen zu überlasse», auszuführen, worin
jene Pflichten bestehen. Hier hatte die Thätigkeit des Ärztekammerausschusses
einzusetzen, nicht aber bei der Ausarbeitung der Form des Gesetzes, einer rein
technisch-juristischen Sache. Und was hat der Ausschuß gethan? Nach einem
Antrag Dr. K.s hat er beschlossen, den Minister zu ersuchen, eine ärztliche
Standesordnung auszuarbeiten. Hat man bei diesem Beschluß vielleicht etwas
von dein bekannten beschränkten Unterthanenverstcmde verspürt? Hinsichtlich
des Privatlebens der Berufsgenossen ist man schwankend gewesen. Merk¬
würdigerweise soll es den ehrengerichtlichen Satzungen nicht unterliegen. Will
man aber die Ehre des Standes heben, den Stand verbessern, so sollte man
genau genommen den Hebel überall ansetzen, an das Privatleben sowohl als
an die Berufsthätigkeit.

An und für sich sollte es scheinen, daß Gesetze keinen andern Zweck hätten,
als allgemein giltige, gute Gewohnheiten in rechtliche, d. h. für alle verbind¬
liche Formen zu bringen. Aus einem guten Stück der neuern Gesetzgebung
geht aber hervor, daß sie auch erzieherisch wirken sollen. Der Gedanke, die
Menschen durch die aufs Papier gebrachte» Paragraphen zu bessern, ist eben
zu verlockend. Wenn die Menschen einmal anders organisirt sein werden, und
die nötigen Nechtsbelehrungen der Richter dabei nicht ausbleiben, so ist es
vielleicht zu erwarten, daß die Menschen auf diese Weise zum Guten erzogen
werden und die Zustände dieser Welt sich in paradiesische umwandeln. Bis
dahin aber sollte man als Koeffizienten der Erziehung Elternhaus, Schule,
Kirche und ähnliche Größen walten lassen, Gesetze aber nur für die Wahrung
bestimmter guter Gewohnheiten und gegen ihre Übertretung in gewissen Fällen
aufstellen! Wie das auf unsern Fall anzuwenden ist, möge seine Erörterung
weiter unten finden. Hier mag noch ein Beispiel folgen, wie weit verbreitet
die Meinung ist, daß die Menschen durch den Strafrichter zum Besser» er¬
zogen werden müssen. Ein Artikel der „Deutschen Tageszeitung," der im
November vorigen Jahres erschienen ist, schreibt in diesem Sinne: „Daß man
kurzerhand fast allgemein gefordert hat, das Versälle» außerhalb des Berufs
müsse dem Ehrengericht grundsätzlich entzogen werden, das ist bedenklich und
bedauerlich. Kein Beruf muß so vom Vertrauen der Bevölkerung getragen
werden wie der ärztliche; keinem Beruf wird so viel anvertraut wie dem ärzt¬
lichen. Wenn ein Arzt sein schweres Amt in gewissenhafter Weise ausüben
will, dann muß er ein sittlich einwandfreier Mensch sein, dan» darf auch fein
anßeramtliches Verhalten keine schwere Verfehlung aufweisen, sonst wird das


Grenzboten II 1398 w
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0081" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227717"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_202" prev="#ID_201"> dann schadet er sich selbst an seiner Praxis. Sollte in den genannten Fällen<lb/>
auch noch ein Ehrengericht vonnöten sein?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_203"> Legt der Beruf aber noch andre Pflichten auf, als die oben aufgezählten,<lb/>
dann ist es vor der Einführung eines Ehrengerichts, durch das Verstöße da¬<lb/>
gegen geahndet werden sollen, die allerhöchste Zeit, sie zu nennen, und es<lb/>
nicht dem Gutdünken irgend eines Juristen zu überlasse», auszuführen, worin<lb/>
jene Pflichten bestehen. Hier hatte die Thätigkeit des Ärztekammerausschusses<lb/>
einzusetzen, nicht aber bei der Ausarbeitung der Form des Gesetzes, einer rein<lb/>
technisch-juristischen Sache. Und was hat der Ausschuß gethan? Nach einem<lb/>
Antrag Dr. K.s hat er beschlossen, den Minister zu ersuchen, eine ärztliche<lb/>
Standesordnung auszuarbeiten. Hat man bei diesem Beschluß vielleicht etwas<lb/>
von dein bekannten beschränkten Unterthanenverstcmde verspürt? Hinsichtlich<lb/>
des Privatlebens der Berufsgenossen ist man schwankend gewesen. Merk¬<lb/>
würdigerweise soll es den ehrengerichtlichen Satzungen nicht unterliegen. Will<lb/>
man aber die Ehre des Standes heben, den Stand verbessern, so sollte man<lb/>
genau genommen den Hebel überall ansetzen, an das Privatleben sowohl als<lb/>
an die Berufsthätigkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_204" next="#ID_205"> An und für sich sollte es scheinen, daß Gesetze keinen andern Zweck hätten,<lb/>
als allgemein giltige, gute Gewohnheiten in rechtliche, d. h. für alle verbind¬<lb/>
liche Formen zu bringen. Aus einem guten Stück der neuern Gesetzgebung<lb/>
geht aber hervor, daß sie auch erzieherisch wirken sollen. Der Gedanke, die<lb/>
Menschen durch die aufs Papier gebrachte» Paragraphen zu bessern, ist eben<lb/>
zu verlockend. Wenn die Menschen einmal anders organisirt sein werden, und<lb/>
die nötigen Nechtsbelehrungen der Richter dabei nicht ausbleiben, so ist es<lb/>
vielleicht zu erwarten, daß die Menschen auf diese Weise zum Guten erzogen<lb/>
werden und die Zustände dieser Welt sich in paradiesische umwandeln. Bis<lb/>
dahin aber sollte man als Koeffizienten der Erziehung Elternhaus, Schule,<lb/>
Kirche und ähnliche Größen walten lassen, Gesetze aber nur für die Wahrung<lb/>
bestimmter guter Gewohnheiten und gegen ihre Übertretung in gewissen Fällen<lb/>
aufstellen! Wie das auf unsern Fall anzuwenden ist, möge seine Erörterung<lb/>
weiter unten finden. Hier mag noch ein Beispiel folgen, wie weit verbreitet<lb/>
die Meinung ist, daß die Menschen durch den Strafrichter zum Besser» er¬<lb/>
zogen werden müssen. Ein Artikel der &#x201E;Deutschen Tageszeitung," der im<lb/>
November vorigen Jahres erschienen ist, schreibt in diesem Sinne: &#x201E;Daß man<lb/>
kurzerhand fast allgemein gefordert hat, das Versälle» außerhalb des Berufs<lb/>
müsse dem Ehrengericht grundsätzlich entzogen werden, das ist bedenklich und<lb/>
bedauerlich. Kein Beruf muß so vom Vertrauen der Bevölkerung getragen<lb/>
werden wie der ärztliche; keinem Beruf wird so viel anvertraut wie dem ärzt¬<lb/>
lichen. Wenn ein Arzt sein schweres Amt in gewissenhafter Weise ausüben<lb/>
will, dann muß er ein sittlich einwandfreier Mensch sein, dan» darf auch fein<lb/>
anßeramtliches Verhalten keine schwere Verfehlung aufweisen, sonst wird das</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1398 w</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0081] dann schadet er sich selbst an seiner Praxis. Sollte in den genannten Fällen auch noch ein Ehrengericht vonnöten sein? Legt der Beruf aber noch andre Pflichten auf, als die oben aufgezählten, dann ist es vor der Einführung eines Ehrengerichts, durch das Verstöße da¬ gegen geahndet werden sollen, die allerhöchste Zeit, sie zu nennen, und es nicht dem Gutdünken irgend eines Juristen zu überlasse», auszuführen, worin jene Pflichten bestehen. Hier hatte die Thätigkeit des Ärztekammerausschusses einzusetzen, nicht aber bei der Ausarbeitung der Form des Gesetzes, einer rein technisch-juristischen Sache. Und was hat der Ausschuß gethan? Nach einem Antrag Dr. K.s hat er beschlossen, den Minister zu ersuchen, eine ärztliche Standesordnung auszuarbeiten. Hat man bei diesem Beschluß vielleicht etwas von dein bekannten beschränkten Unterthanenverstcmde verspürt? Hinsichtlich des Privatlebens der Berufsgenossen ist man schwankend gewesen. Merk¬ würdigerweise soll es den ehrengerichtlichen Satzungen nicht unterliegen. Will man aber die Ehre des Standes heben, den Stand verbessern, so sollte man genau genommen den Hebel überall ansetzen, an das Privatleben sowohl als an die Berufsthätigkeit. An und für sich sollte es scheinen, daß Gesetze keinen andern Zweck hätten, als allgemein giltige, gute Gewohnheiten in rechtliche, d. h. für alle verbind¬ liche Formen zu bringen. Aus einem guten Stück der neuern Gesetzgebung geht aber hervor, daß sie auch erzieherisch wirken sollen. Der Gedanke, die Menschen durch die aufs Papier gebrachte» Paragraphen zu bessern, ist eben zu verlockend. Wenn die Menschen einmal anders organisirt sein werden, und die nötigen Nechtsbelehrungen der Richter dabei nicht ausbleiben, so ist es vielleicht zu erwarten, daß die Menschen auf diese Weise zum Guten erzogen werden und die Zustände dieser Welt sich in paradiesische umwandeln. Bis dahin aber sollte man als Koeffizienten der Erziehung Elternhaus, Schule, Kirche und ähnliche Größen walten lassen, Gesetze aber nur für die Wahrung bestimmter guter Gewohnheiten und gegen ihre Übertretung in gewissen Fällen aufstellen! Wie das auf unsern Fall anzuwenden ist, möge seine Erörterung weiter unten finden. Hier mag noch ein Beispiel folgen, wie weit verbreitet die Meinung ist, daß die Menschen durch den Strafrichter zum Besser» er¬ zogen werden müssen. Ein Artikel der „Deutschen Tageszeitung," der im November vorigen Jahres erschienen ist, schreibt in diesem Sinne: „Daß man kurzerhand fast allgemein gefordert hat, das Versälle» außerhalb des Berufs müsse dem Ehrengericht grundsätzlich entzogen werden, das ist bedenklich und bedauerlich. Kein Beruf muß so vom Vertrauen der Bevölkerung getragen werden wie der ärztliche; keinem Beruf wird so viel anvertraut wie dem ärzt¬ lichen. Wenn ein Arzt sein schweres Amt in gewissenhafter Weise ausüben will, dann muß er ein sittlich einwandfreier Mensch sein, dan» darf auch fein anßeramtliches Verhalten keine schwere Verfehlung aufweisen, sonst wird das Grenzboten II 1398 w

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/81
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/81>, abgerufen am 23.07.2024.