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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich der Große nud England

Als im Jahre 1773 Graf Tschernyschew, der in der Danziger Angelegen¬
heit zum .Könige gesandt worden war, ihn wieder einmal zu dein Bündnis mit
England bereden wollte, da lehnte er das genau mit denselben Gründen ab,
die wir kennen gelernt haben. Er legte sie Tschernyschew ausführlich dar, und
dieser hat einen sehr genauen Bericht über die Unterredung an Katharina ge¬
sandt. Wieder war sein Gedankengang: die Engländer haben mich beim Frieden
im Stich gelassen; sie haben damals mit Österreich und Rußland gegen mich
konspiriren wollen; ich brauche sie nicht, solange ich Rußland habe; sie sind
unzuverlässige Bundesgenossen, wie das auch die Österreicher früher erfahren
haben -- mich würden sie nur in einen unnützen Krieg stürzen. "Es war mir
nicht möglich, so große Vorurteile zu besiegen," berichtete Tschernyschew.

Vorurteile, so scheint mir nach allem, was ich hier erzählt habe, waren
es wirklich nicht, die Friedrich in seiner Haltung gegen England leiteten. Es
war nur die klare Erkenntnis, daß England für Preußen kein geeigneter Bundes¬
genosse sei.

Vorbilder in der Politik auch in ähnlicher Lage einfach zu kopiren, würde
Thorheit sein. Aus der Erfahrung, die Friedrich der Große gemacht hat, für
alle Zeiten den Grundsatz abzuleiten, daß wir nicht an Englands Seite stehe"
dürfen, wäre sicherlich falsch. Dem gewaltigen gemeinsamen Gegner gegenüber
haben sich England und Preußen in den Befreiungskriege" zusammengefunden.
Damals lag ein solches Bündnis durchaus in Preußens Interesse. Eine
Lehre aber können wir ganz sicher aus der Politik des großen Königs gegen
England ziehen, nämlich: daß England gegenüber die größte Vorsicht am Platze
ist, größere Vorsicht als andern Staaten gegenüber. Englands Verfassung
ist in ihren Grundlagen dieselbe geblieben, wie in den Zeiten Friedrichs; die
Natur des englischen Volkes auch. Liegen die Dinge so oder doch ähnlich
wie bei Friedrich nach dem siebenjährigen Kriege, haben wir die Wahl, uns
England oder einem andern Staate, z. B. Rußland, anschließen zu können,
dann wird es sicherlich heilsam sein, in unsern Erwägungen auch der Erfahrung
zu gedenken, die Friedrich der Große zu seinem Schaden gemacht hat, und die
Gründe zu beachten, mit denen er es abgelehnt hat, England zum zweitenmal
die Hand zu reichen.




Friedrich der Große nud England

Als im Jahre 1773 Graf Tschernyschew, der in der Danziger Angelegen¬
heit zum .Könige gesandt worden war, ihn wieder einmal zu dein Bündnis mit
England bereden wollte, da lehnte er das genau mit denselben Gründen ab,
die wir kennen gelernt haben. Er legte sie Tschernyschew ausführlich dar, und
dieser hat einen sehr genauen Bericht über die Unterredung an Katharina ge¬
sandt. Wieder war sein Gedankengang: die Engländer haben mich beim Frieden
im Stich gelassen; sie haben damals mit Österreich und Rußland gegen mich
konspiriren wollen; ich brauche sie nicht, solange ich Rußland habe; sie sind
unzuverlässige Bundesgenossen, wie das auch die Österreicher früher erfahren
haben — mich würden sie nur in einen unnützen Krieg stürzen. „Es war mir
nicht möglich, so große Vorurteile zu besiegen," berichtete Tschernyschew.

Vorurteile, so scheint mir nach allem, was ich hier erzählt habe, waren
es wirklich nicht, die Friedrich in seiner Haltung gegen England leiteten. Es
war nur die klare Erkenntnis, daß England für Preußen kein geeigneter Bundes¬
genosse sei.

Vorbilder in der Politik auch in ähnlicher Lage einfach zu kopiren, würde
Thorheit sein. Aus der Erfahrung, die Friedrich der Große gemacht hat, für
alle Zeiten den Grundsatz abzuleiten, daß wir nicht an Englands Seite stehe»
dürfen, wäre sicherlich falsch. Dem gewaltigen gemeinsamen Gegner gegenüber
haben sich England und Preußen in den Befreiungskriege» zusammengefunden.
Damals lag ein solches Bündnis durchaus in Preußens Interesse. Eine
Lehre aber können wir ganz sicher aus der Politik des großen Königs gegen
England ziehen, nämlich: daß England gegenüber die größte Vorsicht am Platze
ist, größere Vorsicht als andern Staaten gegenüber. Englands Verfassung
ist in ihren Grundlagen dieselbe geblieben, wie in den Zeiten Friedrichs; die
Natur des englischen Volkes auch. Liegen die Dinge so oder doch ähnlich
wie bei Friedrich nach dem siebenjährigen Kriege, haben wir die Wahl, uns
England oder einem andern Staate, z. B. Rußland, anschließen zu können,
dann wird es sicherlich heilsam sein, in unsern Erwägungen auch der Erfahrung
zu gedenken, die Friedrich der Große zu seinem Schaden gemacht hat, und die
Gründe zu beachten, mit denen er es abgelehnt hat, England zum zweitenmal
die Hand zu reichen.




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[0072] Friedrich der Große nud England Als im Jahre 1773 Graf Tschernyschew, der in der Danziger Angelegen¬ heit zum .Könige gesandt worden war, ihn wieder einmal zu dein Bündnis mit England bereden wollte, da lehnte er das genau mit denselben Gründen ab, die wir kennen gelernt haben. Er legte sie Tschernyschew ausführlich dar, und dieser hat einen sehr genauen Bericht über die Unterredung an Katharina ge¬ sandt. Wieder war sein Gedankengang: die Engländer haben mich beim Frieden im Stich gelassen; sie haben damals mit Österreich und Rußland gegen mich konspiriren wollen; ich brauche sie nicht, solange ich Rußland habe; sie sind unzuverlässige Bundesgenossen, wie das auch die Österreicher früher erfahren haben — mich würden sie nur in einen unnützen Krieg stürzen. „Es war mir nicht möglich, so große Vorurteile zu besiegen," berichtete Tschernyschew. Vorurteile, so scheint mir nach allem, was ich hier erzählt habe, waren es wirklich nicht, die Friedrich in seiner Haltung gegen England leiteten. Es war nur die klare Erkenntnis, daß England für Preußen kein geeigneter Bundes¬ genosse sei. Vorbilder in der Politik auch in ähnlicher Lage einfach zu kopiren, würde Thorheit sein. Aus der Erfahrung, die Friedrich der Große gemacht hat, für alle Zeiten den Grundsatz abzuleiten, daß wir nicht an Englands Seite stehe» dürfen, wäre sicherlich falsch. Dem gewaltigen gemeinsamen Gegner gegenüber haben sich England und Preußen in den Befreiungskriege» zusammengefunden. Damals lag ein solches Bündnis durchaus in Preußens Interesse. Eine Lehre aber können wir ganz sicher aus der Politik des großen Königs gegen England ziehen, nämlich: daß England gegenüber die größte Vorsicht am Platze ist, größere Vorsicht als andern Staaten gegenüber. Englands Verfassung ist in ihren Grundlagen dieselbe geblieben, wie in den Zeiten Friedrichs; die Natur des englischen Volkes auch. Liegen die Dinge so oder doch ähnlich wie bei Friedrich nach dem siebenjährigen Kriege, haben wir die Wahl, uns England oder einem andern Staate, z. B. Rußland, anschließen zu können, dann wird es sicherlich heilsam sein, in unsern Erwägungen auch der Erfahrung zu gedenken, die Friedrich der Große zu seinem Schaden gemacht hat, und die Gründe zu beachten, mit denen er es abgelehnt hat, England zum zweitenmal die Hand zu reichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/72>, abgerufen am 23.07.2024.