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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten

Eine tüchtige Amtsverwaltung hing ab von der eignen Anschauung, der
unmittelbaren Verhandlung und von der persönlichen Einwirkung der Beamten.
Die Beamten hatten deshalb nicht allein am Amtssitze, sondern auch auswärts
regelmäßige Sprechtage abzuhalten, außerdem zur Gewinnung einer genauen
Kenntnis von den Sachen und Personen den Bezirk oft zu bereisen und mit
den Eingesessenen an Ort und Stelle zu verhandeln.

Schon der Mangel eines Kreissekretärs hatte das Gute, daß die Schreiberei
möglichst eingeschränkt wurde; ein Arbeiten auf Journalnummern war den
Beamten unbekannt, denn nur die von auswärts eingehenden Schriftstücke
wurden in das Journal, das sogenannte Produktenbuch, eingetragen, aber z. B.
die aufgenommnen Protokolle nicht; und wenn Sachen zur Entscheidung bei
der Oberbehörde vorzulegen waren, so wurde erwartet, daß diese vollständig
instruirt waren und die Oberbehörde nicht etwa noch von andern Stellen
Berichte einzufordern hatte. Hatte die Oberbehörde als Berufungsinstanz zu
entscheiden, so wurden die Verhandlungen erster Instanz nur mit kurzem Berichte
vorgelegt. Alle in bestimmten Terminen einzureichenden Nachweisungen wurden
nur unter Couvert ohne Bericht eingesandt.

Bei solcher Geschäftsführung war es erklärlich, daß die nach der Annexion
nach Hannover versetzten altpreußischen schreibseligen Verwaltungsbecimten den
Eindruck bekamen, als ob an den dortigen Ämtern recht wenig zu thun ge¬
wesen sei, während die an altpreußischc Regierung versetzten hannoverschen
Beamten, wenn sie auch sonst klagten, niemals Veranlassung gefunden haben,
sich wegen Überanstrengung zu beklagen. Waren die Ämter in den meisten
Sachen erste entscheidende Instanz, so waren sie auch nicht an Instruktionen
und an die Vorentscheidungen höherer Instanz in gleichartigen Fällen ge¬
bunden, sondern gehalten, allezeit nach den Gesetzen und nach eigner pflicht¬
gemäßer Überzeugung zu entscheiden.

Der zweite Beamte war nur Hilfsbeamter und in gewisser Weise dem
ersten Beamten, dem Amtmann, untergeben. An den ersten Beamten wurden
aber so weitgehende Anforderungen gestellt, daß dazu nur in längerer Dienst¬
zeit erprobte Männer bestimmt wurden. In der Regel erfolgte das Aufrücken
in diese Stelle erst etwa nach fünfzehnjähriger Dienstzeit nach der zweiten und
letzten Prüfung.

Da die meisten Amtssitze auf dem Lande oder in kleinen Orten waren und
zu der Dienstwohnung auch Dienstländereien gehörten, so wurden die Amtmänner
hierdurch zugleich durch eigne Praxis mit dem landwirtschaftlichen Betriebe
bekannt gemacht. Bei der Überweisung der jungen Leute in der Vorbereitungs¬
zeit an ein Amt wurde mit sorgfältiger Auswahl verfahren. Bei den höhern
Behörden wurden die Referendare (Auditoren) nicht beschäftigt. Daß ein junger
Mann aber unter solchen Verhältnissen bei einem Amte wirklich Gelegenheit fand,
das praktische Leben nach allen Seiten hin kennen zu lernen, liegt auf der Hand.


Die Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten

Eine tüchtige Amtsverwaltung hing ab von der eignen Anschauung, der
unmittelbaren Verhandlung und von der persönlichen Einwirkung der Beamten.
Die Beamten hatten deshalb nicht allein am Amtssitze, sondern auch auswärts
regelmäßige Sprechtage abzuhalten, außerdem zur Gewinnung einer genauen
Kenntnis von den Sachen und Personen den Bezirk oft zu bereisen und mit
den Eingesessenen an Ort und Stelle zu verhandeln.

Schon der Mangel eines Kreissekretärs hatte das Gute, daß die Schreiberei
möglichst eingeschränkt wurde; ein Arbeiten auf Journalnummern war den
Beamten unbekannt, denn nur die von auswärts eingehenden Schriftstücke
wurden in das Journal, das sogenannte Produktenbuch, eingetragen, aber z. B.
die aufgenommnen Protokolle nicht; und wenn Sachen zur Entscheidung bei
der Oberbehörde vorzulegen waren, so wurde erwartet, daß diese vollständig
instruirt waren und die Oberbehörde nicht etwa noch von andern Stellen
Berichte einzufordern hatte. Hatte die Oberbehörde als Berufungsinstanz zu
entscheiden, so wurden die Verhandlungen erster Instanz nur mit kurzem Berichte
vorgelegt. Alle in bestimmten Terminen einzureichenden Nachweisungen wurden
nur unter Couvert ohne Bericht eingesandt.

Bei solcher Geschäftsführung war es erklärlich, daß die nach der Annexion
nach Hannover versetzten altpreußischen schreibseligen Verwaltungsbecimten den
Eindruck bekamen, als ob an den dortigen Ämtern recht wenig zu thun ge¬
wesen sei, während die an altpreußischc Regierung versetzten hannoverschen
Beamten, wenn sie auch sonst klagten, niemals Veranlassung gefunden haben,
sich wegen Überanstrengung zu beklagen. Waren die Ämter in den meisten
Sachen erste entscheidende Instanz, so waren sie auch nicht an Instruktionen
und an die Vorentscheidungen höherer Instanz in gleichartigen Fällen ge¬
bunden, sondern gehalten, allezeit nach den Gesetzen und nach eigner pflicht¬
gemäßer Überzeugung zu entscheiden.

Der zweite Beamte war nur Hilfsbeamter und in gewisser Weise dem
ersten Beamten, dem Amtmann, untergeben. An den ersten Beamten wurden
aber so weitgehende Anforderungen gestellt, daß dazu nur in längerer Dienst¬
zeit erprobte Männer bestimmt wurden. In der Regel erfolgte das Aufrücken
in diese Stelle erst etwa nach fünfzehnjähriger Dienstzeit nach der zweiten und
letzten Prüfung.

Da die meisten Amtssitze auf dem Lande oder in kleinen Orten waren und
zu der Dienstwohnung auch Dienstländereien gehörten, so wurden die Amtmänner
hierdurch zugleich durch eigne Praxis mit dem landwirtschaftlichen Betriebe
bekannt gemacht. Bei der Überweisung der jungen Leute in der Vorbereitungs¬
zeit an ein Amt wurde mit sorgfältiger Auswahl verfahren. Bei den höhern
Behörden wurden die Referendare (Auditoren) nicht beschäftigt. Daß ein junger
Mann aber unter solchen Verhältnissen bei einem Amte wirklich Gelegenheit fand,
das praktische Leben nach allen Seiten hin kennen zu lernen, liegt auf der Hand.


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[0629] Die Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten Eine tüchtige Amtsverwaltung hing ab von der eignen Anschauung, der unmittelbaren Verhandlung und von der persönlichen Einwirkung der Beamten. Die Beamten hatten deshalb nicht allein am Amtssitze, sondern auch auswärts regelmäßige Sprechtage abzuhalten, außerdem zur Gewinnung einer genauen Kenntnis von den Sachen und Personen den Bezirk oft zu bereisen und mit den Eingesessenen an Ort und Stelle zu verhandeln. Schon der Mangel eines Kreissekretärs hatte das Gute, daß die Schreiberei möglichst eingeschränkt wurde; ein Arbeiten auf Journalnummern war den Beamten unbekannt, denn nur die von auswärts eingehenden Schriftstücke wurden in das Journal, das sogenannte Produktenbuch, eingetragen, aber z. B. die aufgenommnen Protokolle nicht; und wenn Sachen zur Entscheidung bei der Oberbehörde vorzulegen waren, so wurde erwartet, daß diese vollständig instruirt waren und die Oberbehörde nicht etwa noch von andern Stellen Berichte einzufordern hatte. Hatte die Oberbehörde als Berufungsinstanz zu entscheiden, so wurden die Verhandlungen erster Instanz nur mit kurzem Berichte vorgelegt. Alle in bestimmten Terminen einzureichenden Nachweisungen wurden nur unter Couvert ohne Bericht eingesandt. Bei solcher Geschäftsführung war es erklärlich, daß die nach der Annexion nach Hannover versetzten altpreußischen schreibseligen Verwaltungsbecimten den Eindruck bekamen, als ob an den dortigen Ämtern recht wenig zu thun ge¬ wesen sei, während die an altpreußischc Regierung versetzten hannoverschen Beamten, wenn sie auch sonst klagten, niemals Veranlassung gefunden haben, sich wegen Überanstrengung zu beklagen. Waren die Ämter in den meisten Sachen erste entscheidende Instanz, so waren sie auch nicht an Instruktionen und an die Vorentscheidungen höherer Instanz in gleichartigen Fällen ge¬ bunden, sondern gehalten, allezeit nach den Gesetzen und nach eigner pflicht¬ gemäßer Überzeugung zu entscheiden. Der zweite Beamte war nur Hilfsbeamter und in gewisser Weise dem ersten Beamten, dem Amtmann, untergeben. An den ersten Beamten wurden aber so weitgehende Anforderungen gestellt, daß dazu nur in längerer Dienst¬ zeit erprobte Männer bestimmt wurden. In der Regel erfolgte das Aufrücken in diese Stelle erst etwa nach fünfzehnjähriger Dienstzeit nach der zweiten und letzten Prüfung. Da die meisten Amtssitze auf dem Lande oder in kleinen Orten waren und zu der Dienstwohnung auch Dienstländereien gehörten, so wurden die Amtmänner hierdurch zugleich durch eigne Praxis mit dem landwirtschaftlichen Betriebe bekannt gemacht. Bei der Überweisung der jungen Leute in der Vorbereitungs¬ zeit an ein Amt wurde mit sorgfältiger Auswahl verfahren. Bei den höhern Behörden wurden die Referendare (Auditoren) nicht beschäftigt. Daß ein junger Mann aber unter solchen Verhältnissen bei einem Amte wirklich Gelegenheit fand, das praktische Leben nach allen Seiten hin kennen zu lernen, liegt auf der Hand.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/629>, abgerufen am 23.07.2024.