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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten

ohne das Leben zu kennen und auch ohne es in seiner Arbeit kennen zu lernen.
Auf der Regierung hat er nur mit Akten zu thun. Früher konnte der Referendar
dazu noch etwas aus den Vortragen und Besprechungen in den Sitzungen
lernen, aber die Abteilungen des Innern sind als Kollegialbehörden aufgehoben,
der Regierungspräsident ist an ihre Stelle getreten und hat keine Veranlassung
mehr, die ihm zugeordneten Räte und Assessoren zu Sitzungen zu vereinigen.

Soll der Verwaltungsbeamte also mit einer gründlichen Kenntnis des
praktischen Lebens in sein Amt, sei es als Regierungsrat, sei es als Landrat
oder als Mitglied eines Verwaltungsgerichts eintreten, so ist sein ganzes Ar¬
beiten bei der Regierung in dieser Beziehung nutzlos und völlig entbehrlich.
Die besondre geschäftliche Routine, die das Arbeiten in einer solchen Behörde
erfordert, läßt sich sehr schnell und ohne besondre Anleitung erlernen.

Mit der Beschäftigung bei einem Verwaltungsgerichte steht es nicht
anders. Ebenso kann die Beschäftigung bei dem Vorstande einer Stadt¬
gemeinde den Referendar aus dem vorhin angeführten Grunde nur wenig
fördern, zumal da diese Thätigkeit nur drei Monate dauern soll und gewöhnlich
mit der bei einem Landrate verbunden ist. Viele wichtige Geschäfte, wie die
Steuerverwaltung, die Aufstellung des Etats usw. kommen überhaupt nur in
jedem Jahre einmal vor und nicht aller drei Monate. Von solchen Angelegen¬
heiten erfährt der Referendar dann vielleicht überhaupt nichts, wenn er sich
nicht etwa aus den toten Akten darüber belehren will.

Auch die Beschäftigung bei dem Landrat ist mit sechs Monaten zu kurz
bemessen, weil viele Geschäfte, die an sich nur durch Wiederholung einigermaßen
gründlich erlernt werdeu können, im Laufe des Jahres nur einmal vorkommen.
Die Vorbereitungszeit bei dem Landrate müßte daher wenigstens ein Jahr dauern.
Im übrigen wird der Referendar bei einem tüchtigen und erfahrnen Landrate
doch am ehesten einen Einblick in das praktische Leben gewinnen können.

Nach Vollendung der Vorbereitungszeit hat sich der Referendar endlich
der großen Staatsprüfung zu unterwerfen, die in einer schriftlichen und in
einer mündlichen Prüfung besteht. Die schriftliche Prüfung hat zwei Arbeiten
über Aufgaben aus dem Gebiete des Staats- und Verwaltungsrechts oder der
Volks- und Staatswirtschaftslehre zum Gegenstande. Mit der mündlichen
Prüfung ist ein freier Vortrag aus Akten zu verbinden. Die ganze Prüfung
erstreckt sich auf das in Preußen geltende öffentliche und Privatrecht, insbe¬
sondre auf das Verfassungs- und Verwaltungsrecht, sowie auf die Volkswirt-
fchafts- und Finanzpolitik. Gegen die Anforderungen der frühern großen
Staatsprüfung ist hier unverkennbar ein Fortschritt festzustellen, denn früher
wurde auch bei dieser Gelegenheit noch auf Gegenstände der allgemeinen Bil¬
dung zurückgegangen, wie sie dem Abiturienten des Gymnasiums im Maturitäts-
examen abgefragt werden. So wurde der künftige Verwaltungsbeamte nach
den Menschenrassen, nach den griechischen Säulenordnungen gefragt, so nach


GrenBoten II 1898 78
Die Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten

ohne das Leben zu kennen und auch ohne es in seiner Arbeit kennen zu lernen.
Auf der Regierung hat er nur mit Akten zu thun. Früher konnte der Referendar
dazu noch etwas aus den Vortragen und Besprechungen in den Sitzungen
lernen, aber die Abteilungen des Innern sind als Kollegialbehörden aufgehoben,
der Regierungspräsident ist an ihre Stelle getreten und hat keine Veranlassung
mehr, die ihm zugeordneten Räte und Assessoren zu Sitzungen zu vereinigen.

Soll der Verwaltungsbeamte also mit einer gründlichen Kenntnis des
praktischen Lebens in sein Amt, sei es als Regierungsrat, sei es als Landrat
oder als Mitglied eines Verwaltungsgerichts eintreten, so ist sein ganzes Ar¬
beiten bei der Regierung in dieser Beziehung nutzlos und völlig entbehrlich.
Die besondre geschäftliche Routine, die das Arbeiten in einer solchen Behörde
erfordert, läßt sich sehr schnell und ohne besondre Anleitung erlernen.

Mit der Beschäftigung bei einem Verwaltungsgerichte steht es nicht
anders. Ebenso kann die Beschäftigung bei dem Vorstande einer Stadt¬
gemeinde den Referendar aus dem vorhin angeführten Grunde nur wenig
fördern, zumal da diese Thätigkeit nur drei Monate dauern soll und gewöhnlich
mit der bei einem Landrate verbunden ist. Viele wichtige Geschäfte, wie die
Steuerverwaltung, die Aufstellung des Etats usw. kommen überhaupt nur in
jedem Jahre einmal vor und nicht aller drei Monate. Von solchen Angelegen¬
heiten erfährt der Referendar dann vielleicht überhaupt nichts, wenn er sich
nicht etwa aus den toten Akten darüber belehren will.

Auch die Beschäftigung bei dem Landrat ist mit sechs Monaten zu kurz
bemessen, weil viele Geschäfte, die an sich nur durch Wiederholung einigermaßen
gründlich erlernt werdeu können, im Laufe des Jahres nur einmal vorkommen.
Die Vorbereitungszeit bei dem Landrate müßte daher wenigstens ein Jahr dauern.
Im übrigen wird der Referendar bei einem tüchtigen und erfahrnen Landrate
doch am ehesten einen Einblick in das praktische Leben gewinnen können.

Nach Vollendung der Vorbereitungszeit hat sich der Referendar endlich
der großen Staatsprüfung zu unterwerfen, die in einer schriftlichen und in
einer mündlichen Prüfung besteht. Die schriftliche Prüfung hat zwei Arbeiten
über Aufgaben aus dem Gebiete des Staats- und Verwaltungsrechts oder der
Volks- und Staatswirtschaftslehre zum Gegenstande. Mit der mündlichen
Prüfung ist ein freier Vortrag aus Akten zu verbinden. Die ganze Prüfung
erstreckt sich auf das in Preußen geltende öffentliche und Privatrecht, insbe¬
sondre auf das Verfassungs- und Verwaltungsrecht, sowie auf die Volkswirt-
fchafts- und Finanzpolitik. Gegen die Anforderungen der frühern großen
Staatsprüfung ist hier unverkennbar ein Fortschritt festzustellen, denn früher
wurde auch bei dieser Gelegenheit noch auf Gegenstände der allgemeinen Bil¬
dung zurückgegangen, wie sie dem Abiturienten des Gymnasiums im Maturitäts-
examen abgefragt werden. So wurde der künftige Verwaltungsbeamte nach
den Menschenrassen, nach den griechischen Säulenordnungen gefragt, so nach


GrenBoten II 1898 78
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[0625] Die Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten ohne das Leben zu kennen und auch ohne es in seiner Arbeit kennen zu lernen. Auf der Regierung hat er nur mit Akten zu thun. Früher konnte der Referendar dazu noch etwas aus den Vortragen und Besprechungen in den Sitzungen lernen, aber die Abteilungen des Innern sind als Kollegialbehörden aufgehoben, der Regierungspräsident ist an ihre Stelle getreten und hat keine Veranlassung mehr, die ihm zugeordneten Räte und Assessoren zu Sitzungen zu vereinigen. Soll der Verwaltungsbeamte also mit einer gründlichen Kenntnis des praktischen Lebens in sein Amt, sei es als Regierungsrat, sei es als Landrat oder als Mitglied eines Verwaltungsgerichts eintreten, so ist sein ganzes Ar¬ beiten bei der Regierung in dieser Beziehung nutzlos und völlig entbehrlich. Die besondre geschäftliche Routine, die das Arbeiten in einer solchen Behörde erfordert, läßt sich sehr schnell und ohne besondre Anleitung erlernen. Mit der Beschäftigung bei einem Verwaltungsgerichte steht es nicht anders. Ebenso kann die Beschäftigung bei dem Vorstande einer Stadt¬ gemeinde den Referendar aus dem vorhin angeführten Grunde nur wenig fördern, zumal da diese Thätigkeit nur drei Monate dauern soll und gewöhnlich mit der bei einem Landrate verbunden ist. Viele wichtige Geschäfte, wie die Steuerverwaltung, die Aufstellung des Etats usw. kommen überhaupt nur in jedem Jahre einmal vor und nicht aller drei Monate. Von solchen Angelegen¬ heiten erfährt der Referendar dann vielleicht überhaupt nichts, wenn er sich nicht etwa aus den toten Akten darüber belehren will. Auch die Beschäftigung bei dem Landrat ist mit sechs Monaten zu kurz bemessen, weil viele Geschäfte, die an sich nur durch Wiederholung einigermaßen gründlich erlernt werdeu können, im Laufe des Jahres nur einmal vorkommen. Die Vorbereitungszeit bei dem Landrate müßte daher wenigstens ein Jahr dauern. Im übrigen wird der Referendar bei einem tüchtigen und erfahrnen Landrate doch am ehesten einen Einblick in das praktische Leben gewinnen können. Nach Vollendung der Vorbereitungszeit hat sich der Referendar endlich der großen Staatsprüfung zu unterwerfen, die in einer schriftlichen und in einer mündlichen Prüfung besteht. Die schriftliche Prüfung hat zwei Arbeiten über Aufgaben aus dem Gebiete des Staats- und Verwaltungsrechts oder der Volks- und Staatswirtschaftslehre zum Gegenstande. Mit der mündlichen Prüfung ist ein freier Vortrag aus Akten zu verbinden. Die ganze Prüfung erstreckt sich auf das in Preußen geltende öffentliche und Privatrecht, insbe¬ sondre auf das Verfassungs- und Verwaltungsrecht, sowie auf die Volkswirt- fchafts- und Finanzpolitik. Gegen die Anforderungen der frühern großen Staatsprüfung ist hier unverkennbar ein Fortschritt festzustellen, denn früher wurde auch bei dieser Gelegenheit noch auf Gegenstände der allgemeinen Bil¬ dung zurückgegangen, wie sie dem Abiturienten des Gymnasiums im Maturitäts- examen abgefragt werden. So wurde der künftige Verwaltungsbeamte nach den Menschenrassen, nach den griechischen Säulenordnungen gefragt, so nach GrenBoten II 1898 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/625>, abgerufen am 23.07.2024.