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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Ausbildung der preußischen höhern verwaltungsbeamten

für die praktische Thätigkeit des Verwaltungsbeamten zu erkennen. Wir
werden bei der Besprechung der großen Staatsprüfung hierauf zurückkommen.

Begleiten wir nun den Regierungsreferendar auf seinem Gange durch die
Verwaltungsbehörden, so tritt er also zuerst bei einer Regierung ein und wird
dort einem Dezernenten zur Beschäftigung überwiesen. Es ist dies in der Regel
für die Dezernenten leine erwünschte Sache, denn der Zweck des Vorbereitungs¬
dienstes ist nach dem Regulativ vom 29. Mai 1879 ausschließlich die wissen¬
schaftliche und praktische Ausbildung der Referendare, und jede auf Aushilfe
oder Erleichterung der Beamten gerichtete Thätigkeit soll dabei vermieden werden.

Da der junge Referendar von der Verwaltungspraxis noch gar nichts
kennt und auch noch nicht genötigt gewesen ist, die Gesetze der Verwaltung,
die Verordnungen und generellen Verfügungen, diese meist aus den Regierungs¬
akten zu studiren, so ist vorerst eine Erleichterung der Beamten überhaupt aus¬
geschlossen. Wie soll der Dezernent dann aber den Anforderungen des Regu¬
lativs genügen? Man wird nicht erwarten, daß er dem Referendar förmlichen
Unterricht erteile, er wird ihm also einzelne Sachen zur Bearbeitung übergeben,
und wenn der Referendar davon möglichst viel Nutzen haben soll, solche Sachen
aussuchen, die ihm Gelegenheit geben, die Verwaltungsgesetzgebung kennen zu
lernen; oder er wird ihn vielleicht größere Berichte anfertigen lassen, wobei
der Referendar lernen kann, ein umfangreicheres Aktenmaterial übersichtlich zu¬
sammenzustellen. Bei den mangelnden Vorkenntnissen des Referendars kann der
einzelne Dezernent ihn auch nur eine beschränkte Zahl von Arbeiten anfertigen
lassen, zumal wenn der Referendar zugleich noch bei andern Dezernenten oder
dem Bezirksausschusse zu arbeiten hat. So geht es denn durch alle Dezernate
hindurch, später vielleicht etwas besser, wenn der Referendar dazwischen bei
einem Landrat oder dem Vorstande einer Stadtgemeinde gearbeitet hat. Die
Vorstände der Stadtgemeinden müßten aber sehr wenig zu thun haben, wenn
sie sich selbst eingehend mit einem Referendar zu beschäftigen imstande wären.
Er wird also bei ihnen meist nur sehr untergeordnete Arbeiten zu besorgen
haben.

Was wird der Referendar aber an der Kenntnis des praktischen Lebens
während seiner Beschäftigung bei einer Regierung gewinnen? -- Nichts oder so
gut wie nichts! Er wird in landwirtschaftlichen Angelegenheiten arbeiten,
ohne vielleicht je auf einem Bauernhofe gewesen zu sein, ohne Hafer von
Weizen unterscheiden zu können, ohne zu wissen, daß eine Rieselwiese nicht
ohne Wasser angelegt werden soll; er wird in Schulangelegenheiten Ver¬
fügungen schreiben, ohne vielleicht außer den Schulstuben, in denen er selbst
gesessen hat, jemals eine andre Schulstube oder einen Dorfschullehrer in seinem
Schulhause gesehen zu haben; er wird in Gewerbesachen arbeiten, ohne jemals
an einem Webstuhl gestanden zu haben, ohne jemals in einer Fabrik oder in
einer Arbeiterwohnung gewesen zu sein usw. Kurz er wird Verfügungen entwerfen,


Die Ausbildung der preußischen höhern verwaltungsbeamten

für die praktische Thätigkeit des Verwaltungsbeamten zu erkennen. Wir
werden bei der Besprechung der großen Staatsprüfung hierauf zurückkommen.

Begleiten wir nun den Regierungsreferendar auf seinem Gange durch die
Verwaltungsbehörden, so tritt er also zuerst bei einer Regierung ein und wird
dort einem Dezernenten zur Beschäftigung überwiesen. Es ist dies in der Regel
für die Dezernenten leine erwünschte Sache, denn der Zweck des Vorbereitungs¬
dienstes ist nach dem Regulativ vom 29. Mai 1879 ausschließlich die wissen¬
schaftliche und praktische Ausbildung der Referendare, und jede auf Aushilfe
oder Erleichterung der Beamten gerichtete Thätigkeit soll dabei vermieden werden.

Da der junge Referendar von der Verwaltungspraxis noch gar nichts
kennt und auch noch nicht genötigt gewesen ist, die Gesetze der Verwaltung,
die Verordnungen und generellen Verfügungen, diese meist aus den Regierungs¬
akten zu studiren, so ist vorerst eine Erleichterung der Beamten überhaupt aus¬
geschlossen. Wie soll der Dezernent dann aber den Anforderungen des Regu¬
lativs genügen? Man wird nicht erwarten, daß er dem Referendar förmlichen
Unterricht erteile, er wird ihm also einzelne Sachen zur Bearbeitung übergeben,
und wenn der Referendar davon möglichst viel Nutzen haben soll, solche Sachen
aussuchen, die ihm Gelegenheit geben, die Verwaltungsgesetzgebung kennen zu
lernen; oder er wird ihn vielleicht größere Berichte anfertigen lassen, wobei
der Referendar lernen kann, ein umfangreicheres Aktenmaterial übersichtlich zu¬
sammenzustellen. Bei den mangelnden Vorkenntnissen des Referendars kann der
einzelne Dezernent ihn auch nur eine beschränkte Zahl von Arbeiten anfertigen
lassen, zumal wenn der Referendar zugleich noch bei andern Dezernenten oder
dem Bezirksausschusse zu arbeiten hat. So geht es denn durch alle Dezernate
hindurch, später vielleicht etwas besser, wenn der Referendar dazwischen bei
einem Landrat oder dem Vorstande einer Stadtgemeinde gearbeitet hat. Die
Vorstände der Stadtgemeinden müßten aber sehr wenig zu thun haben, wenn
sie sich selbst eingehend mit einem Referendar zu beschäftigen imstande wären.
Er wird also bei ihnen meist nur sehr untergeordnete Arbeiten zu besorgen
haben.

Was wird der Referendar aber an der Kenntnis des praktischen Lebens
während seiner Beschäftigung bei einer Regierung gewinnen? — Nichts oder so
gut wie nichts! Er wird in landwirtschaftlichen Angelegenheiten arbeiten,
ohne vielleicht je auf einem Bauernhofe gewesen zu sein, ohne Hafer von
Weizen unterscheiden zu können, ohne zu wissen, daß eine Rieselwiese nicht
ohne Wasser angelegt werden soll; er wird in Schulangelegenheiten Ver¬
fügungen schreiben, ohne vielleicht außer den Schulstuben, in denen er selbst
gesessen hat, jemals eine andre Schulstube oder einen Dorfschullehrer in seinem
Schulhause gesehen zu haben; er wird in Gewerbesachen arbeiten, ohne jemals
an einem Webstuhl gestanden zu haben, ohne jemals in einer Fabrik oder in
einer Arbeiterwohnung gewesen zu sein usw. Kurz er wird Verfügungen entwerfen,


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[0624] Die Ausbildung der preußischen höhern verwaltungsbeamten für die praktische Thätigkeit des Verwaltungsbeamten zu erkennen. Wir werden bei der Besprechung der großen Staatsprüfung hierauf zurückkommen. Begleiten wir nun den Regierungsreferendar auf seinem Gange durch die Verwaltungsbehörden, so tritt er also zuerst bei einer Regierung ein und wird dort einem Dezernenten zur Beschäftigung überwiesen. Es ist dies in der Regel für die Dezernenten leine erwünschte Sache, denn der Zweck des Vorbereitungs¬ dienstes ist nach dem Regulativ vom 29. Mai 1879 ausschließlich die wissen¬ schaftliche und praktische Ausbildung der Referendare, und jede auf Aushilfe oder Erleichterung der Beamten gerichtete Thätigkeit soll dabei vermieden werden. Da der junge Referendar von der Verwaltungspraxis noch gar nichts kennt und auch noch nicht genötigt gewesen ist, die Gesetze der Verwaltung, die Verordnungen und generellen Verfügungen, diese meist aus den Regierungs¬ akten zu studiren, so ist vorerst eine Erleichterung der Beamten überhaupt aus¬ geschlossen. Wie soll der Dezernent dann aber den Anforderungen des Regu¬ lativs genügen? Man wird nicht erwarten, daß er dem Referendar förmlichen Unterricht erteile, er wird ihm also einzelne Sachen zur Bearbeitung übergeben, und wenn der Referendar davon möglichst viel Nutzen haben soll, solche Sachen aussuchen, die ihm Gelegenheit geben, die Verwaltungsgesetzgebung kennen zu lernen; oder er wird ihn vielleicht größere Berichte anfertigen lassen, wobei der Referendar lernen kann, ein umfangreicheres Aktenmaterial übersichtlich zu¬ sammenzustellen. Bei den mangelnden Vorkenntnissen des Referendars kann der einzelne Dezernent ihn auch nur eine beschränkte Zahl von Arbeiten anfertigen lassen, zumal wenn der Referendar zugleich noch bei andern Dezernenten oder dem Bezirksausschusse zu arbeiten hat. So geht es denn durch alle Dezernate hindurch, später vielleicht etwas besser, wenn der Referendar dazwischen bei einem Landrat oder dem Vorstande einer Stadtgemeinde gearbeitet hat. Die Vorstände der Stadtgemeinden müßten aber sehr wenig zu thun haben, wenn sie sich selbst eingehend mit einem Referendar zu beschäftigen imstande wären. Er wird also bei ihnen meist nur sehr untergeordnete Arbeiten zu besorgen haben. Was wird der Referendar aber an der Kenntnis des praktischen Lebens während seiner Beschäftigung bei einer Regierung gewinnen? — Nichts oder so gut wie nichts! Er wird in landwirtschaftlichen Angelegenheiten arbeiten, ohne vielleicht je auf einem Bauernhofe gewesen zu sein, ohne Hafer von Weizen unterscheiden zu können, ohne zu wissen, daß eine Rieselwiese nicht ohne Wasser angelegt werden soll; er wird in Schulangelegenheiten Ver¬ fügungen schreiben, ohne vielleicht außer den Schulstuben, in denen er selbst gesessen hat, jemals eine andre Schulstube oder einen Dorfschullehrer in seinem Schulhause gesehen zu haben; er wird in Gewerbesachen arbeiten, ohne jemals an einem Webstuhl gestanden zu haben, ohne jemals in einer Fabrik oder in einer Arbeiterwohnung gewesen zu sein usw. Kurz er wird Verfügungen entwerfen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/624>, abgerufen am 23.07.2024.