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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

nicht bemerkte. Stimmung und Zustände des Heeres waren die traurigsten.
Ungehorsam und Schlaffheit, Unordnung und Niedergeschlagenheit bezeichneten
die Lage. An 30000 Mann hatte die Armee in wenigen Tagen und ohne eine
Hauptschlacht verloren, ihre immer wieder angewandte Stoßtaktik war, trotz hin¬
gebender Tapferkeit, an dem furchtbaren Schnellfeuer der Zündnadel gewesen,
das Offiziere und Soldaten gleichmäßig mit Entsetzen erfüllte, abgeprallt und
der überlegnen, ebenso gewandten als schneidigen Taktik des preußischen Fu߬
volks erlegen. Die Soldaten hatten alles Vertrauen auf ihre Fechtweise und
ihre schwächere Waffe, die obern Führer auf ihre Truppen und auf Benedek
verloren. Dieser selbst hielt unter solchen Umständen einen Sieg für unmöglich;
in einem verzweifelten Telegramm am Mittag des 1. Juli bat er den Kaiser,
"um jeden Preis den Frieden zu schließen," mit dem Zusatze: "Katastrophe
für Armee unvermeidlich." An seine Frau schrieb er am Tage vorher: "Wäre
besser-, wenn mich eine Kugel träfe." Hätte er seiner eignen Einsicht ungestört
folgen können, so hätte er wahrscheinlich am 3. Juli den Rückzug nach Olmütz
angetreten und dadurch die gefurchtste Katastrophe vermieden; aber der Kaiser
deutete ihm an, daß er eine Schlacht erwarte, berief Krismanitsch, Henikstein
und Clam-Gallas ab und befahl die Wahl eines neuen Generalstabschefs
(Vaumgarten). So kam Benedek am Vormittage des 2. Juli zu dem Ent¬
schlüsse, die Schlacht zu wagen, allerdings mit der Elbe im Rücken, aber er
hatte sie an zwölf Stellen überbrücken lassen, und die noch von Krismanitsch
ausgearbeiteten Dispositionen konnten in der an sich starken Stellung, wenn
der Augenblick richtig erfaßt wurde, vielleicht doch noch einen Erfolg erzielen.
Noch am Morgen des 3. Juli schrieb Benedek seiner Gemahlin: "Wenn mein
altes Glück mich nicht ganz verläßt, kanns zum guten Ende führen." Seine
Absichten den Korpsführern mitzuteilen hatte er freilich auch jetzt nicht für
nötig gehalten.

Die schicksalsvolle Entscheidung nahte also mit raschen Schritten. Am
Morgen des 30. Juni verließ König Wilhelm mit Bismarck, Moltke und
Roon Berlin, um den Oberbefehl selbst zu übernehmen. Unterwegs von Kohl-
surt aus sandte Moltke, noch ohne Kenntnis von Benedeks Stellung, gegen
ein Uhr mittags ein Telegramm an die Armeeführer in Böhmen, das den
Kronprinzen anwies, sich am linken Elbufer zu behaupten und über Königinhof
dem linken Flügel der ersten Armee anzuschließen, dem Prinzen Friedrich Karl
aber befahl, "ohne Aufenthalt" auf Königgrätz (also, wie er annahm, auf die
Rückzugslinie der Österreicher) vorzugehen. Als der König mit seinem Gefolge
nachmittags nach drei Uhr den Bahnhof Zittau passirte, da hatten auch die
Hunderte von Einwohnern der sächsischen Stadt, die ihn halb grollend, halb
ehrfurchtsvoll erwarteten, das bestimmte Gefühl, daß die große Entscheidung,
auf die sie mit Bangen harrten, unmittelbar bevorstehe. Eine Stunde später
traf der König in Reichenberg ein, am 1. Juli übernachtete er in Sichrow,


Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

nicht bemerkte. Stimmung und Zustände des Heeres waren die traurigsten.
Ungehorsam und Schlaffheit, Unordnung und Niedergeschlagenheit bezeichneten
die Lage. An 30000 Mann hatte die Armee in wenigen Tagen und ohne eine
Hauptschlacht verloren, ihre immer wieder angewandte Stoßtaktik war, trotz hin¬
gebender Tapferkeit, an dem furchtbaren Schnellfeuer der Zündnadel gewesen,
das Offiziere und Soldaten gleichmäßig mit Entsetzen erfüllte, abgeprallt und
der überlegnen, ebenso gewandten als schneidigen Taktik des preußischen Fu߬
volks erlegen. Die Soldaten hatten alles Vertrauen auf ihre Fechtweise und
ihre schwächere Waffe, die obern Führer auf ihre Truppen und auf Benedek
verloren. Dieser selbst hielt unter solchen Umständen einen Sieg für unmöglich;
in einem verzweifelten Telegramm am Mittag des 1. Juli bat er den Kaiser,
„um jeden Preis den Frieden zu schließen," mit dem Zusatze: „Katastrophe
für Armee unvermeidlich." An seine Frau schrieb er am Tage vorher: „Wäre
besser-, wenn mich eine Kugel träfe." Hätte er seiner eignen Einsicht ungestört
folgen können, so hätte er wahrscheinlich am 3. Juli den Rückzug nach Olmütz
angetreten und dadurch die gefurchtste Katastrophe vermieden; aber der Kaiser
deutete ihm an, daß er eine Schlacht erwarte, berief Krismanitsch, Henikstein
und Clam-Gallas ab und befahl die Wahl eines neuen Generalstabschefs
(Vaumgarten). So kam Benedek am Vormittage des 2. Juli zu dem Ent¬
schlüsse, die Schlacht zu wagen, allerdings mit der Elbe im Rücken, aber er
hatte sie an zwölf Stellen überbrücken lassen, und die noch von Krismanitsch
ausgearbeiteten Dispositionen konnten in der an sich starken Stellung, wenn
der Augenblick richtig erfaßt wurde, vielleicht doch noch einen Erfolg erzielen.
Noch am Morgen des 3. Juli schrieb Benedek seiner Gemahlin: „Wenn mein
altes Glück mich nicht ganz verläßt, kanns zum guten Ende führen." Seine
Absichten den Korpsführern mitzuteilen hatte er freilich auch jetzt nicht für
nötig gehalten.

Die schicksalsvolle Entscheidung nahte also mit raschen Schritten. Am
Morgen des 30. Juni verließ König Wilhelm mit Bismarck, Moltke und
Roon Berlin, um den Oberbefehl selbst zu übernehmen. Unterwegs von Kohl-
surt aus sandte Moltke, noch ohne Kenntnis von Benedeks Stellung, gegen
ein Uhr mittags ein Telegramm an die Armeeführer in Böhmen, das den
Kronprinzen anwies, sich am linken Elbufer zu behaupten und über Königinhof
dem linken Flügel der ersten Armee anzuschließen, dem Prinzen Friedrich Karl
aber befahl, „ohne Aufenthalt" auf Königgrätz (also, wie er annahm, auf die
Rückzugslinie der Österreicher) vorzugehen. Als der König mit seinem Gefolge
nachmittags nach drei Uhr den Bahnhof Zittau passirte, da hatten auch die
Hunderte von Einwohnern der sächsischen Stadt, die ihn halb grollend, halb
ehrfurchtsvoll erwarteten, das bestimmte Gefühl, daß die große Entscheidung,
auf die sie mit Bangen harrten, unmittelbar bevorstehe. Eine Stunde später
traf der König in Reichenberg ein, am 1. Juli übernachtete er in Sichrow,


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[0618] Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland nicht bemerkte. Stimmung und Zustände des Heeres waren die traurigsten. Ungehorsam und Schlaffheit, Unordnung und Niedergeschlagenheit bezeichneten die Lage. An 30000 Mann hatte die Armee in wenigen Tagen und ohne eine Hauptschlacht verloren, ihre immer wieder angewandte Stoßtaktik war, trotz hin¬ gebender Tapferkeit, an dem furchtbaren Schnellfeuer der Zündnadel gewesen, das Offiziere und Soldaten gleichmäßig mit Entsetzen erfüllte, abgeprallt und der überlegnen, ebenso gewandten als schneidigen Taktik des preußischen Fu߬ volks erlegen. Die Soldaten hatten alles Vertrauen auf ihre Fechtweise und ihre schwächere Waffe, die obern Führer auf ihre Truppen und auf Benedek verloren. Dieser selbst hielt unter solchen Umständen einen Sieg für unmöglich; in einem verzweifelten Telegramm am Mittag des 1. Juli bat er den Kaiser, „um jeden Preis den Frieden zu schließen," mit dem Zusatze: „Katastrophe für Armee unvermeidlich." An seine Frau schrieb er am Tage vorher: „Wäre besser-, wenn mich eine Kugel träfe." Hätte er seiner eignen Einsicht ungestört folgen können, so hätte er wahrscheinlich am 3. Juli den Rückzug nach Olmütz angetreten und dadurch die gefurchtste Katastrophe vermieden; aber der Kaiser deutete ihm an, daß er eine Schlacht erwarte, berief Krismanitsch, Henikstein und Clam-Gallas ab und befahl die Wahl eines neuen Generalstabschefs (Vaumgarten). So kam Benedek am Vormittage des 2. Juli zu dem Ent¬ schlüsse, die Schlacht zu wagen, allerdings mit der Elbe im Rücken, aber er hatte sie an zwölf Stellen überbrücken lassen, und die noch von Krismanitsch ausgearbeiteten Dispositionen konnten in der an sich starken Stellung, wenn der Augenblick richtig erfaßt wurde, vielleicht doch noch einen Erfolg erzielen. Noch am Morgen des 3. Juli schrieb Benedek seiner Gemahlin: „Wenn mein altes Glück mich nicht ganz verläßt, kanns zum guten Ende führen." Seine Absichten den Korpsführern mitzuteilen hatte er freilich auch jetzt nicht für nötig gehalten. Die schicksalsvolle Entscheidung nahte also mit raschen Schritten. Am Morgen des 30. Juni verließ König Wilhelm mit Bismarck, Moltke und Roon Berlin, um den Oberbefehl selbst zu übernehmen. Unterwegs von Kohl- surt aus sandte Moltke, noch ohne Kenntnis von Benedeks Stellung, gegen ein Uhr mittags ein Telegramm an die Armeeführer in Böhmen, das den Kronprinzen anwies, sich am linken Elbufer zu behaupten und über Königinhof dem linken Flügel der ersten Armee anzuschließen, dem Prinzen Friedrich Karl aber befahl, „ohne Aufenthalt" auf Königgrätz (also, wie er annahm, auf die Rückzugslinie der Österreicher) vorzugehen. Als der König mit seinem Gefolge nachmittags nach drei Uhr den Bahnhof Zittau passirte, da hatten auch die Hunderte von Einwohnern der sächsischen Stadt, die ihn halb grollend, halb ehrfurchtsvoll erwarteten, das bestimmte Gefühl, daß die große Entscheidung, auf die sie mit Bangen harrten, unmittelbar bevorstehe. Eine Stunde später traf der König in Reichenberg ein, am 1. Juli übernachtete er in Sichrow,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/618>, abgerufen am 23.07.2024.