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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

österreichische "Schlamperei" hat ganz verkehrte, den Absichten Benedeks geradezu
widersprechende Operationen verschuldet.

Ganz anders verfuhr Moltke. Er gab immer das Ziel der Operationen
an, die Ausführung im einzelnen überließ er den Armee- und Korpsführern.
So wies er auch am 22. Juni, als die erste Armee mit der Elbarmee schon
in der südlichen Oberlausitz dicht an der Grenze Böhmens stand, den Prinzen
Friedrich Karl und den Kronprinzen kurz und bündig nur an, in Böhmen
einzurücken und die Vereinigung in der Richtung auf Gitschin aufzusuchen.
Infolgedessen überschritt Prinz Friedrich Karl am Morgen des 23. Juni,
Sonnabends, die böhmische Grenze. Wenn Friedjungs Karte als Hauptrich¬
tung des Einmarsches die Linie Görlitz-Friedland-Reichenberg angiebt, so ist
das nicht genau. Vielmehr muß, da als "Hauptrichtung" doch der Weg des
Hauptquartiers angesehen werden muß, als solche die Straße Görlitz-Zittau-
Reichenberg bezeichnet werden, die Linie, die den Preußen zugleich die einzige
benutzbare Bahnverbindung nach Böhmen für ihre Nachschübe und Rücktrans¬
port bot. Zittau, wo noch am 20. Juni österreichische Husarenpatrouillen
rekognoszirt hatten, wurde schon am 22. von der 7. Division besetzt, die ihre
Vorposten bis dicht an die nahe Grenze vorschob; am 23. folgte die 8. Division
und Teile des II. (pommerschen) Armeekorps (also etwa die Hülste der ganzen
ersten Armee) in endlosen Kolonnen von Görlitz und Löbau her. Der Prinz
hatte sein Hauptquartier am 22. abends in Hirschfelde an der Straße von
Görlitz nach Zittau; in Zittau erschien er am Sonnabend früh gegen sieben
Uhr und ritt um die Stadt die böhmische Straße hinaus bis an den Grenz¬
posten; hier stieg er ab und ließ stundenlang seine Heersäulen an sich vorbei-
desiliren, die beim Anblick des Feldherrn und des schwarzgelben Schlagbaums
in brausende Hurrah ausbrachen. Auch die amtliche preußische Depesche von
diesem Tage lautete: "Die erste Armee ist heute über Zittau in Böhmen ein¬
gerückt."

Doch viel entscheidender als dies Heer griff die zweite Armee, den Kron¬
prinzen und Blumenthal an der Spitze, in den Kampf ein. Sie vor allem
hat Benedeks ganzen Plan vereitelt. Noch am Morgen des 26. Juni wies
Benedek den Kronprinzen Albert, den nunmehrigen Oberbefehlshaber der Jser-
armee, an, die Jserlinie "um jeden Preis" zu halten, denn seinem Plane
gemäß setzte er jetzt seine Hauptmacht von Josephstadt dorthin in Bewegung.
Aber an demselben Tage warfen die preußischen Vortruppen die Österreicher
bei Hühnerwasser und Liebenau zurück, besetzten Turnau, das den Übergang
nach Gitschin beherrscht, und erstürmten noch in der Nacht die Jserbrücke bei
Podol. Damit war die Jserlinie schon durchbrochen, ja die Stellung der Jser-
nrmee schon mit Umgehung bedroht, die Absicht Benedeks also vereitelt. Dazu
brachen jetzt die Korps des Kronprinzen über die Grenze und stießen in seine
rechte Flanke vor, das I. Korps (Bonin) von Liebau über Tmutenau mit


Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

österreichische „Schlamperei" hat ganz verkehrte, den Absichten Benedeks geradezu
widersprechende Operationen verschuldet.

Ganz anders verfuhr Moltke. Er gab immer das Ziel der Operationen
an, die Ausführung im einzelnen überließ er den Armee- und Korpsführern.
So wies er auch am 22. Juni, als die erste Armee mit der Elbarmee schon
in der südlichen Oberlausitz dicht an der Grenze Böhmens stand, den Prinzen
Friedrich Karl und den Kronprinzen kurz und bündig nur an, in Böhmen
einzurücken und die Vereinigung in der Richtung auf Gitschin aufzusuchen.
Infolgedessen überschritt Prinz Friedrich Karl am Morgen des 23. Juni,
Sonnabends, die böhmische Grenze. Wenn Friedjungs Karte als Hauptrich¬
tung des Einmarsches die Linie Görlitz-Friedland-Reichenberg angiebt, so ist
das nicht genau. Vielmehr muß, da als „Hauptrichtung" doch der Weg des
Hauptquartiers angesehen werden muß, als solche die Straße Görlitz-Zittau-
Reichenberg bezeichnet werden, die Linie, die den Preußen zugleich die einzige
benutzbare Bahnverbindung nach Böhmen für ihre Nachschübe und Rücktrans¬
port bot. Zittau, wo noch am 20. Juni österreichische Husarenpatrouillen
rekognoszirt hatten, wurde schon am 22. von der 7. Division besetzt, die ihre
Vorposten bis dicht an die nahe Grenze vorschob; am 23. folgte die 8. Division
und Teile des II. (pommerschen) Armeekorps (also etwa die Hülste der ganzen
ersten Armee) in endlosen Kolonnen von Görlitz und Löbau her. Der Prinz
hatte sein Hauptquartier am 22. abends in Hirschfelde an der Straße von
Görlitz nach Zittau; in Zittau erschien er am Sonnabend früh gegen sieben
Uhr und ritt um die Stadt die böhmische Straße hinaus bis an den Grenz¬
posten; hier stieg er ab und ließ stundenlang seine Heersäulen an sich vorbei-
desiliren, die beim Anblick des Feldherrn und des schwarzgelben Schlagbaums
in brausende Hurrah ausbrachen. Auch die amtliche preußische Depesche von
diesem Tage lautete: „Die erste Armee ist heute über Zittau in Böhmen ein¬
gerückt."

Doch viel entscheidender als dies Heer griff die zweite Armee, den Kron¬
prinzen und Blumenthal an der Spitze, in den Kampf ein. Sie vor allem
hat Benedeks ganzen Plan vereitelt. Noch am Morgen des 26. Juni wies
Benedek den Kronprinzen Albert, den nunmehrigen Oberbefehlshaber der Jser-
armee, an, die Jserlinie „um jeden Preis" zu halten, denn seinem Plane
gemäß setzte er jetzt seine Hauptmacht von Josephstadt dorthin in Bewegung.
Aber an demselben Tage warfen die preußischen Vortruppen die Österreicher
bei Hühnerwasser und Liebenau zurück, besetzten Turnau, das den Übergang
nach Gitschin beherrscht, und erstürmten noch in der Nacht die Jserbrücke bei
Podol. Damit war die Jserlinie schon durchbrochen, ja die Stellung der Jser-
nrmee schon mit Umgehung bedroht, die Absicht Benedeks also vereitelt. Dazu
brachen jetzt die Korps des Kronprinzen über die Grenze und stießen in seine
rechte Flanke vor, das I. Korps (Bonin) von Liebau über Tmutenau mit


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[0615] Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland österreichische „Schlamperei" hat ganz verkehrte, den Absichten Benedeks geradezu widersprechende Operationen verschuldet. Ganz anders verfuhr Moltke. Er gab immer das Ziel der Operationen an, die Ausführung im einzelnen überließ er den Armee- und Korpsführern. So wies er auch am 22. Juni, als die erste Armee mit der Elbarmee schon in der südlichen Oberlausitz dicht an der Grenze Böhmens stand, den Prinzen Friedrich Karl und den Kronprinzen kurz und bündig nur an, in Böhmen einzurücken und die Vereinigung in der Richtung auf Gitschin aufzusuchen. Infolgedessen überschritt Prinz Friedrich Karl am Morgen des 23. Juni, Sonnabends, die böhmische Grenze. Wenn Friedjungs Karte als Hauptrich¬ tung des Einmarsches die Linie Görlitz-Friedland-Reichenberg angiebt, so ist das nicht genau. Vielmehr muß, da als „Hauptrichtung" doch der Weg des Hauptquartiers angesehen werden muß, als solche die Straße Görlitz-Zittau- Reichenberg bezeichnet werden, die Linie, die den Preußen zugleich die einzige benutzbare Bahnverbindung nach Böhmen für ihre Nachschübe und Rücktrans¬ port bot. Zittau, wo noch am 20. Juni österreichische Husarenpatrouillen rekognoszirt hatten, wurde schon am 22. von der 7. Division besetzt, die ihre Vorposten bis dicht an die nahe Grenze vorschob; am 23. folgte die 8. Division und Teile des II. (pommerschen) Armeekorps (also etwa die Hülste der ganzen ersten Armee) in endlosen Kolonnen von Görlitz und Löbau her. Der Prinz hatte sein Hauptquartier am 22. abends in Hirschfelde an der Straße von Görlitz nach Zittau; in Zittau erschien er am Sonnabend früh gegen sieben Uhr und ritt um die Stadt die böhmische Straße hinaus bis an den Grenz¬ posten; hier stieg er ab und ließ stundenlang seine Heersäulen an sich vorbei- desiliren, die beim Anblick des Feldherrn und des schwarzgelben Schlagbaums in brausende Hurrah ausbrachen. Auch die amtliche preußische Depesche von diesem Tage lautete: „Die erste Armee ist heute über Zittau in Böhmen ein¬ gerückt." Doch viel entscheidender als dies Heer griff die zweite Armee, den Kron¬ prinzen und Blumenthal an der Spitze, in den Kampf ein. Sie vor allem hat Benedeks ganzen Plan vereitelt. Noch am Morgen des 26. Juni wies Benedek den Kronprinzen Albert, den nunmehrigen Oberbefehlshaber der Jser- armee, an, die Jserlinie „um jeden Preis" zu halten, denn seinem Plane gemäß setzte er jetzt seine Hauptmacht von Josephstadt dorthin in Bewegung. Aber an demselben Tage warfen die preußischen Vortruppen die Österreicher bei Hühnerwasser und Liebenau zurück, besetzten Turnau, das den Übergang nach Gitschin beherrscht, und erstürmten noch in der Nacht die Jserbrücke bei Podol. Damit war die Jserlinie schon durchbrochen, ja die Stellung der Jser- nrmee schon mit Umgehung bedroht, die Absicht Benedeks also vereitelt. Dazu brachen jetzt die Korps des Kronprinzen über die Grenze und stießen in seine rechte Flanke vor, das I. Korps (Bonin) von Liebau über Tmutenau mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/615>, abgerufen am 23.07.2024.