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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

Den Höhepunkt des Friedjungschen Werkes bildet die Darstellung des
böhmischen Feldzugs. Die ganze dramatische Gewalt dieses "siebentägigen
Krieges" kommt hier in einem großartigen Gemälde voll flutenden Lebens und
erschütternder Wahrheit vorzüglich zur Geltung. Ohne seine Darstellung mit
Einzelheiten zu überladen, weiß Friedjung ebenso wohl die Entschlüsse und
Beweggründe der Leiter, wie den Gang der Gefechte aufs klarste zu entwickeln.
Aber nicht Schachfiguren, sondern lebendige Menschen in Hoffnung und Sorge,
in kühnem Draufgehen und zäher Gegenwehr, in Siegesjubel und Verzweiflung
bewegen sich vor unsern Augen. Ohne Zweifel verdient diese Darstellung vor
Sybel den Preis; Friedjung reißt unwillkürlich mit sich fort, Sybel entfaltet
die Ereignisse mit völliger Klarheit, aber er läßt im Grunde genommen kalt.
Auch die Anordnung des Stoffes ist bei beiden Historikern wesentlich ver¬
schieden. Sybel folgt den Ereignissen im Zusammenhange zuerst mit der
Armee des Prinzen Friedrich Karl, dann mit dem Heere des Kronprinzen,
bis sich beide auf dem Siegesfelde vereinigen. Friedjung stellt den öster¬
reichischen Generalstab in den Mittelpunkt und zeigt, wie die Ereignisse an der
Ostgrenze und die in Nordwestböhmen fortwährend auf einander und auf die
Entschlüsse der Oberleitung wirken. So folgen wir den Vorgängen Tag für
Tag, ja Stunde für Stunde in atemloser Spannung, als wenn wir sie selbst
erlebten, und vollends dem, dessen eigne Erinnerung bis in diese Zeit zurück¬
reicht, und in dem noch etwas nachzittert von der ungeheuern Erregung dieser
gewaltigen Woche, treten die Tage, die das Schicksal Deutschlands entschieden,
wieder lebendig vor die Seele.

Benedeks damals viel besprochner und nachmals viel bespöttelter "Plan"
ging darauf aus, sich mit Übermacht gegen den Prinzen Friedrich Karl zu
wenden und nach seiner Überwältigung zum Angriff überzugehen; gegen den
Kronprinzen wollte er sich nur abwehrend verhalten. Er stellte ihm daher zu¬
nächst nur zwei Armeekorps (Gablenz und Ramming) entgegen, weil er meinte,
diese würden genügen, den langen, vereinzelten Heersäulen der schlesischen
Armee den Ausgang aus den schwierigen Paßstraßen zu verlegen. Es war
sein Irrtum, aber ein verzeihlicher Irrtum, daß er weniger die Stärke dieses
Heeres, als die Energie der preußischen Führung unterschützte, und ein Fehler,
daß er, weil er sein Heer nicht in Böhmen, sondern in Olmütz gesammelt
hatte, zu spät kam, um die erste preußische Armee zu schlagen, bevor der
Kronprinz seine rechte Flanke wirksam bedrohen konnte. Dabei teilte er aber
die Grundgedanken seinen Unterfeldherrn niemals mit, sondern wies ihnen
immer nur einzelne bestimmte Aufgaben zu. Sie tappten daher über den Zu¬
sammenhang und die Ziele der Operationen immer im Dunkeln und waren
deshalb zu Eigenmächtigkeiten aller Art geneigt. Um so nachteiliger war es,
daß die Ausfertigung und namentlich die Übermittlung der Befehle Benedeks
fast immer unbegreiflich und unverantwortlich saumselig war; ja diese echt


Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

Den Höhepunkt des Friedjungschen Werkes bildet die Darstellung des
böhmischen Feldzugs. Die ganze dramatische Gewalt dieses „siebentägigen
Krieges" kommt hier in einem großartigen Gemälde voll flutenden Lebens und
erschütternder Wahrheit vorzüglich zur Geltung. Ohne seine Darstellung mit
Einzelheiten zu überladen, weiß Friedjung ebenso wohl die Entschlüsse und
Beweggründe der Leiter, wie den Gang der Gefechte aufs klarste zu entwickeln.
Aber nicht Schachfiguren, sondern lebendige Menschen in Hoffnung und Sorge,
in kühnem Draufgehen und zäher Gegenwehr, in Siegesjubel und Verzweiflung
bewegen sich vor unsern Augen. Ohne Zweifel verdient diese Darstellung vor
Sybel den Preis; Friedjung reißt unwillkürlich mit sich fort, Sybel entfaltet
die Ereignisse mit völliger Klarheit, aber er läßt im Grunde genommen kalt.
Auch die Anordnung des Stoffes ist bei beiden Historikern wesentlich ver¬
schieden. Sybel folgt den Ereignissen im Zusammenhange zuerst mit der
Armee des Prinzen Friedrich Karl, dann mit dem Heere des Kronprinzen,
bis sich beide auf dem Siegesfelde vereinigen. Friedjung stellt den öster¬
reichischen Generalstab in den Mittelpunkt und zeigt, wie die Ereignisse an der
Ostgrenze und die in Nordwestböhmen fortwährend auf einander und auf die
Entschlüsse der Oberleitung wirken. So folgen wir den Vorgängen Tag für
Tag, ja Stunde für Stunde in atemloser Spannung, als wenn wir sie selbst
erlebten, und vollends dem, dessen eigne Erinnerung bis in diese Zeit zurück¬
reicht, und in dem noch etwas nachzittert von der ungeheuern Erregung dieser
gewaltigen Woche, treten die Tage, die das Schicksal Deutschlands entschieden,
wieder lebendig vor die Seele.

Benedeks damals viel besprochner und nachmals viel bespöttelter „Plan"
ging darauf aus, sich mit Übermacht gegen den Prinzen Friedrich Karl zu
wenden und nach seiner Überwältigung zum Angriff überzugehen; gegen den
Kronprinzen wollte er sich nur abwehrend verhalten. Er stellte ihm daher zu¬
nächst nur zwei Armeekorps (Gablenz und Ramming) entgegen, weil er meinte,
diese würden genügen, den langen, vereinzelten Heersäulen der schlesischen
Armee den Ausgang aus den schwierigen Paßstraßen zu verlegen. Es war
sein Irrtum, aber ein verzeihlicher Irrtum, daß er weniger die Stärke dieses
Heeres, als die Energie der preußischen Führung unterschützte, und ein Fehler,
daß er, weil er sein Heer nicht in Böhmen, sondern in Olmütz gesammelt
hatte, zu spät kam, um die erste preußische Armee zu schlagen, bevor der
Kronprinz seine rechte Flanke wirksam bedrohen konnte. Dabei teilte er aber
die Grundgedanken seinen Unterfeldherrn niemals mit, sondern wies ihnen
immer nur einzelne bestimmte Aufgaben zu. Sie tappten daher über den Zu¬
sammenhang und die Ziele der Operationen immer im Dunkeln und waren
deshalb zu Eigenmächtigkeiten aller Art geneigt. Um so nachteiliger war es,
daß die Ausfertigung und namentlich die Übermittlung der Befehle Benedeks
fast immer unbegreiflich und unverantwortlich saumselig war; ja diese echt


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[0614] Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland Den Höhepunkt des Friedjungschen Werkes bildet die Darstellung des böhmischen Feldzugs. Die ganze dramatische Gewalt dieses „siebentägigen Krieges" kommt hier in einem großartigen Gemälde voll flutenden Lebens und erschütternder Wahrheit vorzüglich zur Geltung. Ohne seine Darstellung mit Einzelheiten zu überladen, weiß Friedjung ebenso wohl die Entschlüsse und Beweggründe der Leiter, wie den Gang der Gefechte aufs klarste zu entwickeln. Aber nicht Schachfiguren, sondern lebendige Menschen in Hoffnung und Sorge, in kühnem Draufgehen und zäher Gegenwehr, in Siegesjubel und Verzweiflung bewegen sich vor unsern Augen. Ohne Zweifel verdient diese Darstellung vor Sybel den Preis; Friedjung reißt unwillkürlich mit sich fort, Sybel entfaltet die Ereignisse mit völliger Klarheit, aber er läßt im Grunde genommen kalt. Auch die Anordnung des Stoffes ist bei beiden Historikern wesentlich ver¬ schieden. Sybel folgt den Ereignissen im Zusammenhange zuerst mit der Armee des Prinzen Friedrich Karl, dann mit dem Heere des Kronprinzen, bis sich beide auf dem Siegesfelde vereinigen. Friedjung stellt den öster¬ reichischen Generalstab in den Mittelpunkt und zeigt, wie die Ereignisse an der Ostgrenze und die in Nordwestböhmen fortwährend auf einander und auf die Entschlüsse der Oberleitung wirken. So folgen wir den Vorgängen Tag für Tag, ja Stunde für Stunde in atemloser Spannung, als wenn wir sie selbst erlebten, und vollends dem, dessen eigne Erinnerung bis in diese Zeit zurück¬ reicht, und in dem noch etwas nachzittert von der ungeheuern Erregung dieser gewaltigen Woche, treten die Tage, die das Schicksal Deutschlands entschieden, wieder lebendig vor die Seele. Benedeks damals viel besprochner und nachmals viel bespöttelter „Plan" ging darauf aus, sich mit Übermacht gegen den Prinzen Friedrich Karl zu wenden und nach seiner Überwältigung zum Angriff überzugehen; gegen den Kronprinzen wollte er sich nur abwehrend verhalten. Er stellte ihm daher zu¬ nächst nur zwei Armeekorps (Gablenz und Ramming) entgegen, weil er meinte, diese würden genügen, den langen, vereinzelten Heersäulen der schlesischen Armee den Ausgang aus den schwierigen Paßstraßen zu verlegen. Es war sein Irrtum, aber ein verzeihlicher Irrtum, daß er weniger die Stärke dieses Heeres, als die Energie der preußischen Führung unterschützte, und ein Fehler, daß er, weil er sein Heer nicht in Böhmen, sondern in Olmütz gesammelt hatte, zu spät kam, um die erste preußische Armee zu schlagen, bevor der Kronprinz seine rechte Flanke wirksam bedrohen konnte. Dabei teilte er aber die Grundgedanken seinen Unterfeldherrn niemals mit, sondern wies ihnen immer nur einzelne bestimmte Aufgaben zu. Sie tappten daher über den Zu¬ sammenhang und die Ziele der Operationen immer im Dunkeln und waren deshalb zu Eigenmächtigkeiten aller Art geneigt. Um so nachteiliger war es, daß die Ausfertigung und namentlich die Übermittlung der Befehle Benedeks fast immer unbegreiflich und unverantwortlich saumselig war; ja diese echt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/614>, abgerufen am 23.07.2024.