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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

schämung denken kann. Friedjung scheint es in diesem Sinne nicht mit erlebt
zu habend)

Im seltsamsten Gegensatze zu der Zuversicht, mit der in Osterreich die
Diplomaten wie die Volksstimmung dem Kriege entgegensahen, standen Stim¬
mung und Verfahren der Heeresleitung. Nur widerwillig und ohne Vertrauen
auf sich selbst übernahm am 12. Mai der Feldzeugmeister Ludwig von Benedek
den Oberbefehl der Nordarmee, nur weil der Kaiser, der Volksstimmung nach¬
gebend, es ihm befahl, und der Erzherzog Albrecht, der selbst zum Befehls¬
haber der Südarmee in Italien ausersehen war, ihm vorstellte, daß ein Mit¬
glied des kaiserlichen Hauses sich der Gefahr einer Niederlage nicht aussetzen
dürfe. Italien, so hatte Benedek erklärt, wolle er gegen jeden Angriff
garantiren, denn dort kenne er jeden Baum, in Böhmen wisse er nicht einmal,
wo die Elbe fließe. In der That, er war ein tapferer und glücklicher Korps¬
führer, aber kein Feldherr. Dazu fehlten ihm der Überblick und die Fähigkeit
des raschen Entschlusses, wie nicht minder die militärwissenschaftliche Bildung.
Mit den Soldaten wußte er vortrefflich zu verkehren, und fast jedes Regiment
seines buntgemischten Heeres verstand er in seiner Sprache anzureden, sorgte
auch väterlich für die Truppen, aber mit den teilweise sehr hochgebornen
Generalen seiner Korps traf er den Ton nicht, und bei seinen Offizieren hielt
er selbst im Felde auffällig viel auf an sich gleichgiltige Äußerlichkeiten in der
Uniform und sogar in der Barttracht. Daher genoß er zwar das Vertrauen
der Soldaten, aber nicht der höhern Offiziere. Umso wichtiger war demnach
die Wahl des Generalstabschefs. Dies war nur der Form nach der Freiherr von
Henikstein, thatsächlich wurde es der Chef der Operationskanzlei, Generalmajor
Gideon Krismanitsch, ein Offizier kroatischer Abkunft, ein gelehrter Theoretiker
von gründlichen militürwissenschaftlichen Kenntnissen und voll starken Selbst¬
gefühls, der, starr an einem einmal gefaßten Plane festhaltend, jede Einwendung
mit dem Bewußtsein der Überlegenheit abzuweisen Pflegte, und da er Benedeks
Schwächen zu ergänzen schien, bei diesem im größten Ansehen stand. So wurde
er die Seele der ganzen österreichischen Kriegführung im Norden. Viel günstiger
stand es sür Österreich im Süden. Nicht nur war der Erzherzog Albrecht
persönlich seiner Aufgabe durchaus gewachsen, sondern er hatte auch im Feld¬
marschallleutnant John einen ausgezeichneten Generalstabschef, dessen kalte
Ruhe das feurige Ungestüm des Erzherzogs wirksam und glücklich dämpfte.

Mit der ausführlichen Darstellung des siegreichen Kampfes in Italien
bis nach der Schlacht von Custozza am 24. Juni 1866 beginnt Friedjung die
Schilderung der Kriegsereignisse; dann folgt, nur in den Hauptzttgen dar¬
gestellt, die Unterwerfung Norddeutschlands, die Einleitung des preußischen



Einige besonders widerwärtige Proben roher Drohbriefe an Bismarck teilt das Bis-
marck-Jcchrbuch von 1894 (S, 152 sf.) mit.
Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

schämung denken kann. Friedjung scheint es in diesem Sinne nicht mit erlebt
zu habend)

Im seltsamsten Gegensatze zu der Zuversicht, mit der in Osterreich die
Diplomaten wie die Volksstimmung dem Kriege entgegensahen, standen Stim¬
mung und Verfahren der Heeresleitung. Nur widerwillig und ohne Vertrauen
auf sich selbst übernahm am 12. Mai der Feldzeugmeister Ludwig von Benedek
den Oberbefehl der Nordarmee, nur weil der Kaiser, der Volksstimmung nach¬
gebend, es ihm befahl, und der Erzherzog Albrecht, der selbst zum Befehls¬
haber der Südarmee in Italien ausersehen war, ihm vorstellte, daß ein Mit¬
glied des kaiserlichen Hauses sich der Gefahr einer Niederlage nicht aussetzen
dürfe. Italien, so hatte Benedek erklärt, wolle er gegen jeden Angriff
garantiren, denn dort kenne er jeden Baum, in Böhmen wisse er nicht einmal,
wo die Elbe fließe. In der That, er war ein tapferer und glücklicher Korps¬
führer, aber kein Feldherr. Dazu fehlten ihm der Überblick und die Fähigkeit
des raschen Entschlusses, wie nicht minder die militärwissenschaftliche Bildung.
Mit den Soldaten wußte er vortrefflich zu verkehren, und fast jedes Regiment
seines buntgemischten Heeres verstand er in seiner Sprache anzureden, sorgte
auch väterlich für die Truppen, aber mit den teilweise sehr hochgebornen
Generalen seiner Korps traf er den Ton nicht, und bei seinen Offizieren hielt
er selbst im Felde auffällig viel auf an sich gleichgiltige Äußerlichkeiten in der
Uniform und sogar in der Barttracht. Daher genoß er zwar das Vertrauen
der Soldaten, aber nicht der höhern Offiziere. Umso wichtiger war demnach
die Wahl des Generalstabschefs. Dies war nur der Form nach der Freiherr von
Henikstein, thatsächlich wurde es der Chef der Operationskanzlei, Generalmajor
Gideon Krismanitsch, ein Offizier kroatischer Abkunft, ein gelehrter Theoretiker
von gründlichen militürwissenschaftlichen Kenntnissen und voll starken Selbst¬
gefühls, der, starr an einem einmal gefaßten Plane festhaltend, jede Einwendung
mit dem Bewußtsein der Überlegenheit abzuweisen Pflegte, und da er Benedeks
Schwächen zu ergänzen schien, bei diesem im größten Ansehen stand. So wurde
er die Seele der ganzen österreichischen Kriegführung im Norden. Viel günstiger
stand es sür Österreich im Süden. Nicht nur war der Erzherzog Albrecht
persönlich seiner Aufgabe durchaus gewachsen, sondern er hatte auch im Feld¬
marschallleutnant John einen ausgezeichneten Generalstabschef, dessen kalte
Ruhe das feurige Ungestüm des Erzherzogs wirksam und glücklich dämpfte.

Mit der ausführlichen Darstellung des siegreichen Kampfes in Italien
bis nach der Schlacht von Custozza am 24. Juni 1866 beginnt Friedjung die
Schilderung der Kriegsereignisse; dann folgt, nur in den Hauptzttgen dar¬
gestellt, die Unterwerfung Norddeutschlands, die Einleitung des preußischen



Einige besonders widerwärtige Proben roher Drohbriefe an Bismarck teilt das Bis-
marck-Jcchrbuch von 1894 (S, 152 sf.) mit.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/612>, abgerufen am 23.07.2024.