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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

wenigsten damals. Aber während von der Pfordten zwischen der Angst Um
die bayrische Souveränität und der tiefen Abneigung gegen Österreich unsicher
hin- und herschwankte, während König Georg V. von Hannover in seinem
Welfenstolze möglichst freie Hand behalten wollte, um sich je uach den Um¬
stünden zu entscheiden, sich zwar dann zu Österreich neigte, als ihm Kaiser
Franz Joseph in einem Handschreiben am 20. Mai eine Vergrößerung auf
Kosten seiner Nachbarn zusicherte, und doch keine ausreichenden militärischen
Vorkehrungen traf, traten König Johann und Kronprinz Albert von Sachsen,
sobald sich die Unzuverlässigkeit Bayerns herausstellte, klar und entschlossen
auf Österreichs Seite und rüsteten nach Kräften; schon um den 20. Mai stand
die sächsische Armee um Dresden zum Abmarsch uach Böhmen fertig, und der
Kronprinz bat Benedek an dieseni Tage, ihm seine Absichten mitzuteilen, damit
die Sachsen ihren Marsch demgemäß einrichten könnten (V. Beilage). Über
die unruhige Geschäftigkeit und das hochgradige Selbstbewußtsein Beusts, den
der alte Fürst Metternich einmal einen "politischen Seiltänzer" genannt hatte,
und den auch König Johann von "Seitensprüngen" abhalten zu müssen erklärte,
urteilt auch Friedjung wenig günstig, bei aller Anerkennung seiner reichen
Begabung.

Die Rücksicht auf die mit ihm thatsächlich schon verbündeten Mittelstaaten,
die dann doch, mit Ausnahme Sachsens, für Österreich gar nichts leisteten,
übte nun einen verhängnisvollen Einfluß auf die österreichische Politik. Zum
letztenmale machte Bismarck, zunächst auf die Veranlassung und durch den
Mund Antons von Gablenz, der in Preußen angesessen war, während sein
Bruder als General in österreichischen Diensten stand, dem Wiener Kabinett
den Vorschlag, die Vorherrschaft und den militärischen Oberbefehl in Deutsch¬
land zwischen die beiden Großmächte zu teilen, die beiderseitigen Besitzungen
(auch Venezien) einander zu garantiren und dann gemeinsam gegen Frank¬
reich vorzugehen (25. Mai). Inwieweit Bismarck die Annahme dieser Vor¬
schläge für möglich gehalten und sie im vollen Ernste gemacht hat, ist nicht
recht zu sagen, für Österreich boten sie jedenfalls viele Bordelle. Doch das
tiefe Mißtrauen gegen Bismarck, die alte Tradition und das Verhältnis zu
den Mittelstaaten, die dann Österreich der ^Treulosigkeit hätten beschuldigen
können, bestimmten den Kaiser, sie abzulehnen. Auch so förderte er Bismarcks
Politik, denn König Wilhelm, der den Teilungsplan ernster genommen hatte,
sah in seiner Zurückweisung einen neuen Beweis von Feindseligkeit. Dieser
Eindruck verstärkte sich noch, als Österreich am 1. Juni die Annahme des
Napoleonischen Kongreßvorschlags, dem Preußen und Italien schon zugestimmt
hatten, gegen Mensdorffs Stimme an unerfüllbare Bedingungen knüpfte, ihn
also ablehnte. Die letzte Hoffnung auf die Abwendung des Krieges war damit
geschwunden, und durch die Teilnahme der Mittelstaaten wurde er zum wirk¬
lichen Bruderkriege.


Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

wenigsten damals. Aber während von der Pfordten zwischen der Angst Um
die bayrische Souveränität und der tiefen Abneigung gegen Österreich unsicher
hin- und herschwankte, während König Georg V. von Hannover in seinem
Welfenstolze möglichst freie Hand behalten wollte, um sich je uach den Um¬
stünden zu entscheiden, sich zwar dann zu Österreich neigte, als ihm Kaiser
Franz Joseph in einem Handschreiben am 20. Mai eine Vergrößerung auf
Kosten seiner Nachbarn zusicherte, und doch keine ausreichenden militärischen
Vorkehrungen traf, traten König Johann und Kronprinz Albert von Sachsen,
sobald sich die Unzuverlässigkeit Bayerns herausstellte, klar und entschlossen
auf Österreichs Seite und rüsteten nach Kräften; schon um den 20. Mai stand
die sächsische Armee um Dresden zum Abmarsch uach Böhmen fertig, und der
Kronprinz bat Benedek an dieseni Tage, ihm seine Absichten mitzuteilen, damit
die Sachsen ihren Marsch demgemäß einrichten könnten (V. Beilage). Über
die unruhige Geschäftigkeit und das hochgradige Selbstbewußtsein Beusts, den
der alte Fürst Metternich einmal einen „politischen Seiltänzer" genannt hatte,
und den auch König Johann von „Seitensprüngen" abhalten zu müssen erklärte,
urteilt auch Friedjung wenig günstig, bei aller Anerkennung seiner reichen
Begabung.

Die Rücksicht auf die mit ihm thatsächlich schon verbündeten Mittelstaaten,
die dann doch, mit Ausnahme Sachsens, für Österreich gar nichts leisteten,
übte nun einen verhängnisvollen Einfluß auf die österreichische Politik. Zum
letztenmale machte Bismarck, zunächst auf die Veranlassung und durch den
Mund Antons von Gablenz, der in Preußen angesessen war, während sein
Bruder als General in österreichischen Diensten stand, dem Wiener Kabinett
den Vorschlag, die Vorherrschaft und den militärischen Oberbefehl in Deutsch¬
land zwischen die beiden Großmächte zu teilen, die beiderseitigen Besitzungen
(auch Venezien) einander zu garantiren und dann gemeinsam gegen Frank¬
reich vorzugehen (25. Mai). Inwieweit Bismarck die Annahme dieser Vor¬
schläge für möglich gehalten und sie im vollen Ernste gemacht hat, ist nicht
recht zu sagen, für Österreich boten sie jedenfalls viele Bordelle. Doch das
tiefe Mißtrauen gegen Bismarck, die alte Tradition und das Verhältnis zu
den Mittelstaaten, die dann Österreich der ^Treulosigkeit hätten beschuldigen
können, bestimmten den Kaiser, sie abzulehnen. Auch so förderte er Bismarcks
Politik, denn König Wilhelm, der den Teilungsplan ernster genommen hatte,
sah in seiner Zurückweisung einen neuen Beweis von Feindseligkeit. Dieser
Eindruck verstärkte sich noch, als Österreich am 1. Juni die Annahme des
Napoleonischen Kongreßvorschlags, dem Preußen und Italien schon zugestimmt
hatten, gegen Mensdorffs Stimme an unerfüllbare Bedingungen knüpfte, ihn
also ablehnte. Die letzte Hoffnung auf die Abwendung des Krieges war damit
geschwunden, und durch die Teilnahme der Mittelstaaten wurde er zum wirk¬
lichen Bruderkriege.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/610>, abgerufen am 23.07.2024.