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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Metallvergiftung in lithographischen Anstalten.

In unserm Aufsah
"Sozialanslese" in Ur. 10 d. I. war folgendes mitgeteilt wordeu: "In der "Neuen
Zeit" Ur. 9 des Jahrgangs 1897 bis 1898 berichtet Helene Simon über die
amtliche Untersuchung, der in England sieben Industrien in Beziehung auf ihre
Gesundheitsschädlichkeit unterworfen worden sind. Nach dem im Juli 1896 ver¬
öffentlichten Bericht hat die Kommission unter ander," in den lithographischen An¬
stalten bei den Bronzirern die Metallvergiftung so stark gefunden, daß sie vor¬
schlägt, es solle gesetzlich angeordnet werden, diesen Arbeitern täglich zweimal eine
halbe Pinke Milch als Gegengift zu reichen."

Hierzu erhalten wir von Herrn Th. Staehle (Gebrüder Klingenberg) in
Detmold folgende Mitteilung: Ich gestatte mir mitzuteilen, daß in der Anstalt,
deren Teilhaber ich bin, seit vielen Jahren täglich zwei Bronzirmaschineu im
Gange sind. Diese beiden Maschinen werden vou einem Arbeiter und sechs
Mädchen bedient, ferner werden noch weitere sechs bis acht Mädchen zeitweilig mit
Bronziren mit der Hand beschäftigt. Bei allen diesen Leuten hat sich im Laufe
der vielen Jahre kein einziger Krankheitsfall ereignet, bei dem auch nur eine Ver-
mutung auf Metallvergiftung bestanden hätte. Ebensowenig haben Arbeiter oder
Arbeiterinnen irgendwelche Beschwerden, die sich auf die Beschäftigung mit der
Bronze zurückführen ließen, obwohl besonders die Arbeiterinnen auch bei den
kleinsten Anlässen den Arzt konsultiren, der täglich in unsrer Anstalt Sprech¬
stunde abhält. Es wird dabei noch besonders bemerkt, daß den mit Bronziren
beschäftigten Arbeitern und Arbeiterinnen keinerlei Mittel gegeben wird, das der
Einwirkung der Bronze entgegenwirken soll, ferner, daß die Leute die allerdings
vorhandnen Respirationsapparate niemals benutzen. Es wird in unsrer Anstalt
genau dieselbe Bronze verarbeitet wie in England, dn dieses Metall bekanntlich
ausschließlich in Deutschland hergestellt wird.

Da mir aus meiner ziemlich umfangreichen Praxis in andern lithographischen
Anstalten ebenfalls kein einziger Fall bekannt geworden ist, wo die Bronzirer unter
Metallvergiftung gelitten haben, muß ich annehmen, daß die englische Kommission
ihren Bericht in durchaus leichtfertiger Weise aufgestellt hat, ich wäre Ihnen
deshalb dankbar, wenn Sie die oben angeführten Thatsachen in einer der nächsten
Nummern veröffentlichen würden, da die Anschuldigung gegen die lithographischen
Anstalten, die in dem Bericht der englischen Kommission liegt, nur dazu angethan
sein kann, Mißhelltgkeiten zwischen Arbeitern und Arbeitgebern hervorzurufen.


Cuvier.

Im Nachlasse Karl Ernst von Baers hat sich eine Handschrift
mit dem Titel: Lebensgeschichte Cuviers gefunden. Ludwig Stieda hat sie
für deu Druck fertig gemacht und voriges Jahr bei Fr. Vieweg in Braunschweig
herausgegeben. Baer und Cuvier waren verwandte Geister. Die Verwandtschaft
tritt u. a. in folgenden Sätzen dieser sehr hübschen und anziehenden Lebensbe¬
schreibung hervor. "Es springt in die Augen, daß Cuvier in der Jugend auch
ein genetisches System im Auge hatte, wie Oken es später verfolgte, daß er aber
bald erkannt haben muß, daß diese Aufgabe für ihn nnlvsbnr sei. Er gab sie
"uf und suchte vielmehr ans der Mannigfaltigkeit des Gcwordnen Schlüsse ans
die Bedingungen des Werdens zu ziehen. So kam er zu den teleologischen An¬
sichten, die er bei verschiednen Gelegenheiten entwickelte. Deutsche Naturforscher
haben daraus, besonders zur Zeit der Schelliugscheu Naturphilosophie, den Schluß


Metallvergiftung in lithographischen Anstalten.

In unserm Aufsah
„Sozialanslese" in Ur. 10 d. I. war folgendes mitgeteilt wordeu: „In der »Neuen
Zeit« Ur. 9 des Jahrgangs 1897 bis 1898 berichtet Helene Simon über die
amtliche Untersuchung, der in England sieben Industrien in Beziehung auf ihre
Gesundheitsschädlichkeit unterworfen worden sind. Nach dem im Juli 1896 ver¬
öffentlichten Bericht hat die Kommission unter ander,» in den lithographischen An¬
stalten bei den Bronzirern die Metallvergiftung so stark gefunden, daß sie vor¬
schlägt, es solle gesetzlich angeordnet werden, diesen Arbeitern täglich zweimal eine
halbe Pinke Milch als Gegengift zu reichen."

Hierzu erhalten wir von Herrn Th. Staehle (Gebrüder Klingenberg) in
Detmold folgende Mitteilung: Ich gestatte mir mitzuteilen, daß in der Anstalt,
deren Teilhaber ich bin, seit vielen Jahren täglich zwei Bronzirmaschineu im
Gange sind. Diese beiden Maschinen werden vou einem Arbeiter und sechs
Mädchen bedient, ferner werden noch weitere sechs bis acht Mädchen zeitweilig mit
Bronziren mit der Hand beschäftigt. Bei allen diesen Leuten hat sich im Laufe
der vielen Jahre kein einziger Krankheitsfall ereignet, bei dem auch nur eine Ver-
mutung auf Metallvergiftung bestanden hätte. Ebensowenig haben Arbeiter oder
Arbeiterinnen irgendwelche Beschwerden, die sich auf die Beschäftigung mit der
Bronze zurückführen ließen, obwohl besonders die Arbeiterinnen auch bei den
kleinsten Anlässen den Arzt konsultiren, der täglich in unsrer Anstalt Sprech¬
stunde abhält. Es wird dabei noch besonders bemerkt, daß den mit Bronziren
beschäftigten Arbeitern und Arbeiterinnen keinerlei Mittel gegeben wird, das der
Einwirkung der Bronze entgegenwirken soll, ferner, daß die Leute die allerdings
vorhandnen Respirationsapparate niemals benutzen. Es wird in unsrer Anstalt
genau dieselbe Bronze verarbeitet wie in England, dn dieses Metall bekanntlich
ausschließlich in Deutschland hergestellt wird.

Da mir aus meiner ziemlich umfangreichen Praxis in andern lithographischen
Anstalten ebenfalls kein einziger Fall bekannt geworden ist, wo die Bronzirer unter
Metallvergiftung gelitten haben, muß ich annehmen, daß die englische Kommission
ihren Bericht in durchaus leichtfertiger Weise aufgestellt hat, ich wäre Ihnen
deshalb dankbar, wenn Sie die oben angeführten Thatsachen in einer der nächsten
Nummern veröffentlichen würden, da die Anschuldigung gegen die lithographischen
Anstalten, die in dem Bericht der englischen Kommission liegt, nur dazu angethan
sein kann, Mißhelltgkeiten zwischen Arbeitern und Arbeitgebern hervorzurufen.


Cuvier.

Im Nachlasse Karl Ernst von Baers hat sich eine Handschrift
mit dem Titel: Lebensgeschichte Cuviers gefunden. Ludwig Stieda hat sie
für deu Druck fertig gemacht und voriges Jahr bei Fr. Vieweg in Braunschweig
herausgegeben. Baer und Cuvier waren verwandte Geister. Die Verwandtschaft
tritt u. a. in folgenden Sätzen dieser sehr hübschen und anziehenden Lebensbe¬
schreibung hervor. „Es springt in die Augen, daß Cuvier in der Jugend auch
ein genetisches System im Auge hatte, wie Oken es später verfolgte, daß er aber
bald erkannt haben muß, daß diese Aufgabe für ihn nnlvsbnr sei. Er gab sie
"uf und suchte vielmehr ans der Mannigfaltigkeit des Gcwordnen Schlüsse ans
die Bedingungen des Werdens zu ziehen. So kam er zu den teleologischen An¬
sichten, die er bei verschiednen Gelegenheiten entwickelte. Deutsche Naturforscher
haben daraus, besonders zur Zeit der Schelliugscheu Naturphilosophie, den Schluß


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[0607] Metallvergiftung in lithographischen Anstalten. In unserm Aufsah „Sozialanslese" in Ur. 10 d. I. war folgendes mitgeteilt wordeu: „In der »Neuen Zeit« Ur. 9 des Jahrgangs 1897 bis 1898 berichtet Helene Simon über die amtliche Untersuchung, der in England sieben Industrien in Beziehung auf ihre Gesundheitsschädlichkeit unterworfen worden sind. Nach dem im Juli 1896 ver¬ öffentlichten Bericht hat die Kommission unter ander,» in den lithographischen An¬ stalten bei den Bronzirern die Metallvergiftung so stark gefunden, daß sie vor¬ schlägt, es solle gesetzlich angeordnet werden, diesen Arbeitern täglich zweimal eine halbe Pinke Milch als Gegengift zu reichen." Hierzu erhalten wir von Herrn Th. Staehle (Gebrüder Klingenberg) in Detmold folgende Mitteilung: Ich gestatte mir mitzuteilen, daß in der Anstalt, deren Teilhaber ich bin, seit vielen Jahren täglich zwei Bronzirmaschineu im Gange sind. Diese beiden Maschinen werden vou einem Arbeiter und sechs Mädchen bedient, ferner werden noch weitere sechs bis acht Mädchen zeitweilig mit Bronziren mit der Hand beschäftigt. Bei allen diesen Leuten hat sich im Laufe der vielen Jahre kein einziger Krankheitsfall ereignet, bei dem auch nur eine Ver- mutung auf Metallvergiftung bestanden hätte. Ebensowenig haben Arbeiter oder Arbeiterinnen irgendwelche Beschwerden, die sich auf die Beschäftigung mit der Bronze zurückführen ließen, obwohl besonders die Arbeiterinnen auch bei den kleinsten Anlässen den Arzt konsultiren, der täglich in unsrer Anstalt Sprech¬ stunde abhält. Es wird dabei noch besonders bemerkt, daß den mit Bronziren beschäftigten Arbeitern und Arbeiterinnen keinerlei Mittel gegeben wird, das der Einwirkung der Bronze entgegenwirken soll, ferner, daß die Leute die allerdings vorhandnen Respirationsapparate niemals benutzen. Es wird in unsrer Anstalt genau dieselbe Bronze verarbeitet wie in England, dn dieses Metall bekanntlich ausschließlich in Deutschland hergestellt wird. Da mir aus meiner ziemlich umfangreichen Praxis in andern lithographischen Anstalten ebenfalls kein einziger Fall bekannt geworden ist, wo die Bronzirer unter Metallvergiftung gelitten haben, muß ich annehmen, daß die englische Kommission ihren Bericht in durchaus leichtfertiger Weise aufgestellt hat, ich wäre Ihnen deshalb dankbar, wenn Sie die oben angeführten Thatsachen in einer der nächsten Nummern veröffentlichen würden, da die Anschuldigung gegen die lithographischen Anstalten, die in dem Bericht der englischen Kommission liegt, nur dazu angethan sein kann, Mißhelltgkeiten zwischen Arbeitern und Arbeitgebern hervorzurufen. Cuvier. Im Nachlasse Karl Ernst von Baers hat sich eine Handschrift mit dem Titel: Lebensgeschichte Cuviers gefunden. Ludwig Stieda hat sie für deu Druck fertig gemacht und voriges Jahr bei Fr. Vieweg in Braunschweig herausgegeben. Baer und Cuvier waren verwandte Geister. Die Verwandtschaft tritt u. a. in folgenden Sätzen dieser sehr hübschen und anziehenden Lebensbe¬ schreibung hervor. „Es springt in die Augen, daß Cuvier in der Jugend auch ein genetisches System im Auge hatte, wie Oken es später verfolgte, daß er aber bald erkannt haben muß, daß diese Aufgabe für ihn nnlvsbnr sei. Er gab sie "uf und suchte vielmehr ans der Mannigfaltigkeit des Gcwordnen Schlüsse ans die Bedingungen des Werdens zu ziehen. So kam er zu den teleologischen An¬ sichten, die er bei verschiednen Gelegenheiten entwickelte. Deutsche Naturforscher haben daraus, besonders zur Zeit der Schelliugscheu Naturphilosophie, den Schluß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/607>, abgerufen am 27.12.2024.