Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Karl <Lrnst von Baer "ut der Darwinismus

Embryo könne niemals ein Vogel oder ein Säugetier werden. Denn das sehr
kleine Hirn, die Kiemen und die unPaaren Mittelflossen des Fisches, sowie
sein starker zum Vorwärtsstoßen des ganzen Tieres bestimmter Schwanz seien
schon im Embryo angelegt und würden sichtbar, sobald der Fischcharakter
hervortrete. Ist demnach aus den Entwicklungsstufen, die der Embryo des
Menschen durchläuft, keine Ahnenreihe abzuleiten, so läßt sich auch auf paläon¬
tologischen Wege keine ermitteln. Baer findet bei einem Überblick über die
Tierarten der auf einander folgenden Erdperioden, daß die Paläontologie
keineswegs die Entstehung der einen Grundform aus der andern durch Um¬
bildung erweise, "daß vielmehr die Grundformen, die wir Typen nennen, ohne
solche Übergänge neu aufgetreten zu sein scheinen." Überall würden Formen
vermißt, die man als Übergangsformen ansehen könnte. Wo sei ein Übergang
von Pflanzenfressern zu Fleischfressern, von Huftieren zu Raubtieren oder um¬
gekehrt zu finden? Die Omnivoren, wie das Schwein, seien keine Übergangs¬
formen, sondern hätten ihre besondern Eigentümlichkeiten, die sie eben so scharf
von jenen beiden Klassen unterschieden, wie jene unter sich verschieden seien.
Die Beuteltiere sollen die älteste Säugetierart sein; aber die in der alten Welt
gefundnen fossilen Beuteltiere seien so klein, daß niemand unsre großen Säuge¬
tiere von ihnen abzuleiten wage, und wolle man diese von den großen Beutel¬
tieren Australiens abstammen lassen, so entstehe die Frage, wie es komme, daß
Australien selbst keine großen plazentalen Säugetiere habe.

Für ganz unmöglich erklärt es Baer, sich die Entstehung des Menschen
aus einem Affen oder affenähnlichen Tiere zu denken. "Kein Klima, keine
Nahrung, keine Krankheit kann nach unsrer Erfahrung aus der Hinterhand
des Orang-Utangs den menschlichen Fuß gestalten, der in der gesamten
Schöpfung nicht wieder vorkommt. Ja, wenn nnn gar erwiesen werden kann,
was ich für erweisbar halte, daß der aufrechte Gang des Menschen nur Folge
von der Entwicklung seines Hirns, sowie die höhere Entwicklung des Hirns
nur der Ausdruck der höhern geistigen Anlage ist, so haben wir weiter zu
fragen: wie konnte in den Orang-Utang die höhere geistige Anlage kommen?"
Natürlich wird die Umwandlung nicht wahrscheinlicher, wenn man statt des
Orang-Utang den Gorilla bevorzugt.

Müssen wir annehmen, schreibt Baer (bei Stölzle S. 376), daß dieser Ur¬
vater die Bäume verlassen und sich im Gehen auf platter Erde zu üben angefangen
hat? Annehmen, daß dadurch der Fuß allmählich sich verbesserte, daß die große
Zehe allmählich weniger von den andern abzustehen begann, daß der Gorilla sich
aufrecht hielt "ut senkrecht zu stehen sich gewöhnte, daß die Kniee allmählich im
Laufe der Tausende von Jahrhunderten gerade gemacht wurden, daß die Beine
länger, die Arme und die Kiefer kürzer wurden, daß die Haare ausfielen außer
auf dem Kopf und an einigen andern Stellen, wo sie, wie es scheint, am wenigsten
notwendig sind? >Die Früchte, mit denen sich der Gorilla nähre, wüchsen doch
auf Bäumen.) Warum wird er nicht zu ihnen zurück auf die Bäume gehen,


Karl <Lrnst von Baer »ut der Darwinismus

Embryo könne niemals ein Vogel oder ein Säugetier werden. Denn das sehr
kleine Hirn, die Kiemen und die unPaaren Mittelflossen des Fisches, sowie
sein starker zum Vorwärtsstoßen des ganzen Tieres bestimmter Schwanz seien
schon im Embryo angelegt und würden sichtbar, sobald der Fischcharakter
hervortrete. Ist demnach aus den Entwicklungsstufen, die der Embryo des
Menschen durchläuft, keine Ahnenreihe abzuleiten, so läßt sich auch auf paläon¬
tologischen Wege keine ermitteln. Baer findet bei einem Überblick über die
Tierarten der auf einander folgenden Erdperioden, daß die Paläontologie
keineswegs die Entstehung der einen Grundform aus der andern durch Um¬
bildung erweise, „daß vielmehr die Grundformen, die wir Typen nennen, ohne
solche Übergänge neu aufgetreten zu sein scheinen." Überall würden Formen
vermißt, die man als Übergangsformen ansehen könnte. Wo sei ein Übergang
von Pflanzenfressern zu Fleischfressern, von Huftieren zu Raubtieren oder um¬
gekehrt zu finden? Die Omnivoren, wie das Schwein, seien keine Übergangs¬
formen, sondern hätten ihre besondern Eigentümlichkeiten, die sie eben so scharf
von jenen beiden Klassen unterschieden, wie jene unter sich verschieden seien.
Die Beuteltiere sollen die älteste Säugetierart sein; aber die in der alten Welt
gefundnen fossilen Beuteltiere seien so klein, daß niemand unsre großen Säuge¬
tiere von ihnen abzuleiten wage, und wolle man diese von den großen Beutel¬
tieren Australiens abstammen lassen, so entstehe die Frage, wie es komme, daß
Australien selbst keine großen plazentalen Säugetiere habe.

Für ganz unmöglich erklärt es Baer, sich die Entstehung des Menschen
aus einem Affen oder affenähnlichen Tiere zu denken. „Kein Klima, keine
Nahrung, keine Krankheit kann nach unsrer Erfahrung aus der Hinterhand
des Orang-Utangs den menschlichen Fuß gestalten, der in der gesamten
Schöpfung nicht wieder vorkommt. Ja, wenn nnn gar erwiesen werden kann,
was ich für erweisbar halte, daß der aufrechte Gang des Menschen nur Folge
von der Entwicklung seines Hirns, sowie die höhere Entwicklung des Hirns
nur der Ausdruck der höhern geistigen Anlage ist, so haben wir weiter zu
fragen: wie konnte in den Orang-Utang die höhere geistige Anlage kommen?"
Natürlich wird die Umwandlung nicht wahrscheinlicher, wenn man statt des
Orang-Utang den Gorilla bevorzugt.

Müssen wir annehmen, schreibt Baer (bei Stölzle S. 376), daß dieser Ur¬
vater die Bäume verlassen und sich im Gehen auf platter Erde zu üben angefangen
hat? Annehmen, daß dadurch der Fuß allmählich sich verbesserte, daß die große
Zehe allmählich weniger von den andern abzustehen begann, daß der Gorilla sich
aufrecht hielt »ut senkrecht zu stehen sich gewöhnte, daß die Kniee allmählich im
Laufe der Tausende von Jahrhunderten gerade gemacht wurden, daß die Beine
länger, die Arme und die Kiefer kürzer wurden, daß die Haare ausfielen außer
auf dem Kopf und an einigen andern Stellen, wo sie, wie es scheint, am wenigsten
notwendig sind? >Die Früchte, mit denen sich der Gorilla nähre, wüchsen doch
auf Bäumen.) Warum wird er nicht zu ihnen zurück auf die Bäume gehen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0581" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228217"/>
          <fw type="header" place="top"> Karl &lt;Lrnst von Baer »ut der Darwinismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1629" prev="#ID_1628"> Embryo könne niemals ein Vogel oder ein Säugetier werden. Denn das sehr<lb/>
kleine Hirn, die Kiemen und die unPaaren Mittelflossen des Fisches, sowie<lb/>
sein starker zum Vorwärtsstoßen des ganzen Tieres bestimmter Schwanz seien<lb/>
schon im Embryo angelegt und würden sichtbar, sobald der Fischcharakter<lb/>
hervortrete. Ist demnach aus den Entwicklungsstufen, die der Embryo des<lb/>
Menschen durchläuft, keine Ahnenreihe abzuleiten, so läßt sich auch auf paläon¬<lb/>
tologischen Wege keine ermitteln. Baer findet bei einem Überblick über die<lb/>
Tierarten der auf einander folgenden Erdperioden, daß die Paläontologie<lb/>
keineswegs die Entstehung der einen Grundform aus der andern durch Um¬<lb/>
bildung erweise, &#x201E;daß vielmehr die Grundformen, die wir Typen nennen, ohne<lb/>
solche Übergänge neu aufgetreten zu sein scheinen." Überall würden Formen<lb/>
vermißt, die man als Übergangsformen ansehen könnte. Wo sei ein Übergang<lb/>
von Pflanzenfressern zu Fleischfressern, von Huftieren zu Raubtieren oder um¬<lb/>
gekehrt zu finden? Die Omnivoren, wie das Schwein, seien keine Übergangs¬<lb/>
formen, sondern hätten ihre besondern Eigentümlichkeiten, die sie eben so scharf<lb/>
von jenen beiden Klassen unterschieden, wie jene unter sich verschieden seien.<lb/>
Die Beuteltiere sollen die älteste Säugetierart sein; aber die in der alten Welt<lb/>
gefundnen fossilen Beuteltiere seien so klein, daß niemand unsre großen Säuge¬<lb/>
tiere von ihnen abzuleiten wage, und wolle man diese von den großen Beutel¬<lb/>
tieren Australiens abstammen lassen, so entstehe die Frage, wie es komme, daß<lb/>
Australien selbst keine großen plazentalen Säugetiere habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1630"> Für ganz unmöglich erklärt es Baer, sich die Entstehung des Menschen<lb/>
aus einem Affen oder affenähnlichen Tiere zu denken. &#x201E;Kein Klima, keine<lb/>
Nahrung, keine Krankheit kann nach unsrer Erfahrung aus der Hinterhand<lb/>
des Orang-Utangs den menschlichen Fuß gestalten, der in der gesamten<lb/>
Schöpfung nicht wieder vorkommt. Ja, wenn nnn gar erwiesen werden kann,<lb/>
was ich für erweisbar halte, daß der aufrechte Gang des Menschen nur Folge<lb/>
von der Entwicklung seines Hirns, sowie die höhere Entwicklung des Hirns<lb/>
nur der Ausdruck der höhern geistigen Anlage ist, so haben wir weiter zu<lb/>
fragen: wie konnte in den Orang-Utang die höhere geistige Anlage kommen?"<lb/>
Natürlich wird die Umwandlung nicht wahrscheinlicher, wenn man statt des<lb/>
Orang-Utang den Gorilla bevorzugt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1631" next="#ID_1632"> Müssen wir annehmen, schreibt Baer (bei Stölzle S. 376), daß dieser Ur¬<lb/>
vater die Bäume verlassen und sich im Gehen auf platter Erde zu üben angefangen<lb/>
hat? Annehmen, daß dadurch der Fuß allmählich sich verbesserte, daß die große<lb/>
Zehe allmählich weniger von den andern abzustehen begann, daß der Gorilla sich<lb/>
aufrecht hielt »ut senkrecht zu stehen sich gewöhnte, daß die Kniee allmählich im<lb/>
Laufe der Tausende von Jahrhunderten gerade gemacht wurden, daß die Beine<lb/>
länger, die Arme und die Kiefer kürzer wurden, daß die Haare ausfielen außer<lb/>
auf dem Kopf und an einigen andern Stellen, wo sie, wie es scheint, am wenigsten<lb/>
notwendig sind? &gt;Die Früchte, mit denen sich der Gorilla nähre, wüchsen doch<lb/>
auf Bäumen.)  Warum wird er nicht zu ihnen zurück auf die Bäume gehen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0581] Karl <Lrnst von Baer »ut der Darwinismus Embryo könne niemals ein Vogel oder ein Säugetier werden. Denn das sehr kleine Hirn, die Kiemen und die unPaaren Mittelflossen des Fisches, sowie sein starker zum Vorwärtsstoßen des ganzen Tieres bestimmter Schwanz seien schon im Embryo angelegt und würden sichtbar, sobald der Fischcharakter hervortrete. Ist demnach aus den Entwicklungsstufen, die der Embryo des Menschen durchläuft, keine Ahnenreihe abzuleiten, so läßt sich auch auf paläon¬ tologischen Wege keine ermitteln. Baer findet bei einem Überblick über die Tierarten der auf einander folgenden Erdperioden, daß die Paläontologie keineswegs die Entstehung der einen Grundform aus der andern durch Um¬ bildung erweise, „daß vielmehr die Grundformen, die wir Typen nennen, ohne solche Übergänge neu aufgetreten zu sein scheinen." Überall würden Formen vermißt, die man als Übergangsformen ansehen könnte. Wo sei ein Übergang von Pflanzenfressern zu Fleischfressern, von Huftieren zu Raubtieren oder um¬ gekehrt zu finden? Die Omnivoren, wie das Schwein, seien keine Übergangs¬ formen, sondern hätten ihre besondern Eigentümlichkeiten, die sie eben so scharf von jenen beiden Klassen unterschieden, wie jene unter sich verschieden seien. Die Beuteltiere sollen die älteste Säugetierart sein; aber die in der alten Welt gefundnen fossilen Beuteltiere seien so klein, daß niemand unsre großen Säuge¬ tiere von ihnen abzuleiten wage, und wolle man diese von den großen Beutel¬ tieren Australiens abstammen lassen, so entstehe die Frage, wie es komme, daß Australien selbst keine großen plazentalen Säugetiere habe. Für ganz unmöglich erklärt es Baer, sich die Entstehung des Menschen aus einem Affen oder affenähnlichen Tiere zu denken. „Kein Klima, keine Nahrung, keine Krankheit kann nach unsrer Erfahrung aus der Hinterhand des Orang-Utangs den menschlichen Fuß gestalten, der in der gesamten Schöpfung nicht wieder vorkommt. Ja, wenn nnn gar erwiesen werden kann, was ich für erweisbar halte, daß der aufrechte Gang des Menschen nur Folge von der Entwicklung seines Hirns, sowie die höhere Entwicklung des Hirns nur der Ausdruck der höhern geistigen Anlage ist, so haben wir weiter zu fragen: wie konnte in den Orang-Utang die höhere geistige Anlage kommen?" Natürlich wird die Umwandlung nicht wahrscheinlicher, wenn man statt des Orang-Utang den Gorilla bevorzugt. Müssen wir annehmen, schreibt Baer (bei Stölzle S. 376), daß dieser Ur¬ vater die Bäume verlassen und sich im Gehen auf platter Erde zu üben angefangen hat? Annehmen, daß dadurch der Fuß allmählich sich verbesserte, daß die große Zehe allmählich weniger von den andern abzustehen begann, daß der Gorilla sich aufrecht hielt »ut senkrecht zu stehen sich gewöhnte, daß die Kniee allmählich im Laufe der Tausende von Jahrhunderten gerade gemacht wurden, daß die Beine länger, die Arme und die Kiefer kürzer wurden, daß die Haare ausfielen außer auf dem Kopf und an einigen andern Stellen, wo sie, wie es scheint, am wenigsten notwendig sind? >Die Früchte, mit denen sich der Gorilla nähre, wüchsen doch auf Bäumen.) Warum wird er nicht zu ihnen zurück auf die Bäume gehen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/581
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/581>, abgerufen am 23.07.2024.