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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

vor allem unwahrhaftig erscheinen und weder im Interesse der historischen Wissen¬
schaft liegend, das natürlich nicht überall in erster Linie berücksichtigt werden
kann, noch auch des Staats, denn die begangnen Fehler und die vorhandnen
Schwächen können doch nur dann vermieden oder geheilt werden, wenn sie
erkannt und anerkannt werden; verschweigt man sie, so erweckt man leicht die
Vorstellung, als seien die Zustände noch viel ärger als sie in Wirklichkeit sind;
man schädigt also die Autorität des Staats, aber man stärkt sie nicht. Der
österreichische Pessimismus wurzelt nicht zum wenigsten in diesem Vertuschungs¬
und Verschwcigungssystem.

Eine rühmliche Ausnahme sind die amtlichen österreichischen Darstellungen
der Kriege von 1859 und 1866, aber noch der allerdings schonungslos ur¬
teilende, ungenannte Verfasser eines tüchtigen Buchs über 1859/1 der seiner
Vorrede das Motto vorangestellt hat: "Wahrheit ist im sittlichen wie im
geistigen Leben die erste aller Pflichten," und sie mit den Worten schließt:
Falsche Meinungen und Ansichten "sind unverwüstliche Keime künftiger Kata¬
strophen," hat seine Offenheit mit der Verabschiedung aus den: Heere gebüßt.
Auch Friedjung hat zuletzt das k. k. Kriegsarchiv, das ihm die frühere Leitung
bereitwillig geöffnet hatte, verschlossen gefunden. Um so eifriger hat er sich
bemüht, bei den leitenden Persönlichkeiten dieser Jahre ausführliche Erkun¬
digungen über wichtige, sonst nicht leicht aufzuklärende Fragen einzuziehen,^ und
sie haben auf beiden Seiten bereitwillig und ehrlich seinem Verlangen entsprochen.
Fürst Bismarck, Moltke, Blumenthal und Graf Nigra, Graf Nechberg, General
von Edelsheim-Giulay, Beuedeks Witwe, frühere Geueralstabsoffiziere Benedeks,
wie die (jetzigen) Feldmarschallleutnants Freiherr von Sacken und Reuber u. a.,
haben wichtige Nachrichten beigesteuert, die der Verfasser teilweise zusammen
mit einer Anzahl von Aktenstücken aus dem Kriegsarchiv im Anhange mitteilt.
Zuweilen hat er über eine besonders wichtige Frage ein förmliches "Zeugen¬
verhör" angestellt, um zu einem sichern Ergebnis zu gelangen. So hat er
die historische Erkenntnis in sehr wesentlichen Punkten gefördert; ja man kann
sagen, daß die Vorgänge in der österreichischen Diplomatie und Heeresleitung
erst durch ihn in das richtige Licht gerückt worden sind. Vor allem aber ver¬
dankt er diesen mithandelnden Männern neben seiner eignen Erfahrung als
Österreicher die überaus lebendige Färbung seiner Darstellung der Verhältnisse,
Vorgänge und Personen. Da er, bei aller Anerkennung der Wucht, die in den
Dingen selbst liegt, sehr wohl weiß, wie entscheidend im gegebnen Augenblick,
namentlich im Kriege, die Persönlichkeit eingreift, so giebt er eine Reihe höchst
anschaulicher Lebens- und Charakterbilder der führenden Männer auf beiden
Seiten. Auch den Männern der preußischen Seite wird er gerecht, nur dem König



Der Krieg im Jahre 18S9, Nach offiziellen Quellen nicht offiziell bearbeitet. Mit
S Plänen und 8 Beilagen. Vnmberg, C. C. Buchner, 1894. VI und 272 S,
Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland

vor allem unwahrhaftig erscheinen und weder im Interesse der historischen Wissen¬
schaft liegend, das natürlich nicht überall in erster Linie berücksichtigt werden
kann, noch auch des Staats, denn die begangnen Fehler und die vorhandnen
Schwächen können doch nur dann vermieden oder geheilt werden, wenn sie
erkannt und anerkannt werden; verschweigt man sie, so erweckt man leicht die
Vorstellung, als seien die Zustände noch viel ärger als sie in Wirklichkeit sind;
man schädigt also die Autorität des Staats, aber man stärkt sie nicht. Der
österreichische Pessimismus wurzelt nicht zum wenigsten in diesem Vertuschungs¬
und Verschwcigungssystem.

Eine rühmliche Ausnahme sind die amtlichen österreichischen Darstellungen
der Kriege von 1859 und 1866, aber noch der allerdings schonungslos ur¬
teilende, ungenannte Verfasser eines tüchtigen Buchs über 1859/1 der seiner
Vorrede das Motto vorangestellt hat: „Wahrheit ist im sittlichen wie im
geistigen Leben die erste aller Pflichten," und sie mit den Worten schließt:
Falsche Meinungen und Ansichten „sind unverwüstliche Keime künftiger Kata¬
strophen," hat seine Offenheit mit der Verabschiedung aus den: Heere gebüßt.
Auch Friedjung hat zuletzt das k. k. Kriegsarchiv, das ihm die frühere Leitung
bereitwillig geöffnet hatte, verschlossen gefunden. Um so eifriger hat er sich
bemüht, bei den leitenden Persönlichkeiten dieser Jahre ausführliche Erkun¬
digungen über wichtige, sonst nicht leicht aufzuklärende Fragen einzuziehen,^ und
sie haben auf beiden Seiten bereitwillig und ehrlich seinem Verlangen entsprochen.
Fürst Bismarck, Moltke, Blumenthal und Graf Nigra, Graf Nechberg, General
von Edelsheim-Giulay, Beuedeks Witwe, frühere Geueralstabsoffiziere Benedeks,
wie die (jetzigen) Feldmarschallleutnants Freiherr von Sacken und Reuber u. a.,
haben wichtige Nachrichten beigesteuert, die der Verfasser teilweise zusammen
mit einer Anzahl von Aktenstücken aus dem Kriegsarchiv im Anhange mitteilt.
Zuweilen hat er über eine besonders wichtige Frage ein förmliches „Zeugen¬
verhör" angestellt, um zu einem sichern Ergebnis zu gelangen. So hat er
die historische Erkenntnis in sehr wesentlichen Punkten gefördert; ja man kann
sagen, daß die Vorgänge in der österreichischen Diplomatie und Heeresleitung
erst durch ihn in das richtige Licht gerückt worden sind. Vor allem aber ver¬
dankt er diesen mithandelnden Männern neben seiner eignen Erfahrung als
Österreicher die überaus lebendige Färbung seiner Darstellung der Verhältnisse,
Vorgänge und Personen. Da er, bei aller Anerkennung der Wucht, die in den
Dingen selbst liegt, sehr wohl weiß, wie entscheidend im gegebnen Augenblick,
namentlich im Kriege, die Persönlichkeit eingreift, so giebt er eine Reihe höchst
anschaulicher Lebens- und Charakterbilder der führenden Männer auf beiden
Seiten. Auch den Männern der preußischen Seite wird er gerecht, nur dem König



Der Krieg im Jahre 18S9, Nach offiziellen Quellen nicht offiziell bearbeitet. Mit
S Plänen und 8 Beilagen. Vnmberg, C. C. Buchner, 1894. VI und 272 S,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/563>, abgerufen am 28.12.2024.