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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Das deutsche Lied seit dem Tode Richard Wagners

so hat er doch Wagnersche und Löwesche Intentionen zuweilen wirksam ver¬
einigt und durch seinen Fleiß und Eifer das Interesse sür die Ballade neu
belebt. Es ist aber für die Zukunft des deutscheu Gesangs ganz notwendig,
daß die Ballade zunächst in der Hausmusik eine bedeutendere Stellung zurück¬
gewinnt- Plüddemann ist leider früh gestorben. Die lebenden Spezialisten,
über die mit einiger Sicherheit gesprochen werden kann, sind der bereits er¬
wähnte Philipp Graf zu Eulenburg, Hans Hermann und Hugo Wolf.

Das sind drei positive Talente, im Wert verschieden, keins ohne eigne
Art und doch durch einen gemeinsamen, erfreulichen Zug verbunden. Dieses
Gemeinsame liegt in der Richtung aufs Einfache, Klare, im Sinn für natür¬
liche Verhältnisse und in der Achtung vor der Macht der menschlichen Stimme.
Diese drei Künstler sind im allgemeinen viel tiefer von der Volksmusik als
von der Kunstmusik berührt. Am tiefsten der Graf zu Eulenburg, in dessen
Gesängen das Tanzlied zuweilen wieder zu der Bedeutung gelangt, die es
in alten Zeiten hatte. Den nächst starken Einfluß haben dann Löwe, die
Skandinavier und zuletzt Wagner auf ihn geübt. Wagner, dessen Einfluß
auch bei Hermann, bei Wolf, bei der guten Hülste aller Liederkomponisten
der Gegenwart wiederkehrt. Denn er ist so stark gewesen auf die Musik seiner
Zeit, wie die Geschichte nur ein zweites Beispiel weiß: in der Wirkung, die
Monteverdi aufs siebzehnte Jahrhundert geübt hat. Eins scheidet Graf
Eulenburg von R. Wagner, das ist das Maß im Ausdruck der Leiden¬
schaften. Da zeigt er sich mehr mit Mendelssohn, mit Curschmann verwandt,
von der Berliner Schule, von norddeutscher Art, vom Wesen der Gesell¬
schaftskreise, aus denen er kommt, berührt. Aber nur im Ausdruck, nicht in
der Empfindung, der nichts von der Stärke und Ursprünglichkeit einer ge¬
sunden Natur fehlt. Die Kunst Eulenburgs gleicht einem edeln Renner,
dem Peitsche und Sporen fremd sind. Lebensverhältnisse und zufällige Um¬
stünde haben es gefügt, daß Graf Eulenburgs Kunst mit Vorliebe den Norden
besingt. Der Komponist selbst legt nach der Vorrede unter diesen Nvrdlands-
liedern besondern Wert auf seine Skaldengesänge, die uns in vortansend-
jährige Sitten und Geschlechter zurückversetzen wollen. Es ist um alle Nach¬
bildung im allgemeinen und um die Nachbildung alter Kunst im besondern etwas
Mißliches. Wir erinnern an Frehtag, an Dahn, an Thomae und an den
Schiffbruch vieler ähnlicher bedeutender Dichter und Maler. So wird man
unter diesen Skaldengesängen nur die kürzern, "Der Knabe," "Karln" -- hier
wirkt der Refrain das Beste --, von den größern vielleicht die "Jul-Nacht"
unbedingt loben können. In den andern ist die Manier starker als die Phan¬
tasie und Kunst. Die erfreulichsten Arbeiten des Dichterkomponisten sind seine
"Rosenlieder."

Hans Hermanns Wert liegt in seinem Talent für den Entwurf, für ge¬
schlossene Führung großer, breiter Formen, für klare und imposante Gruppi-


Das deutsche Lied seit dem Tode Richard Wagners

so hat er doch Wagnersche und Löwesche Intentionen zuweilen wirksam ver¬
einigt und durch seinen Fleiß und Eifer das Interesse sür die Ballade neu
belebt. Es ist aber für die Zukunft des deutscheu Gesangs ganz notwendig,
daß die Ballade zunächst in der Hausmusik eine bedeutendere Stellung zurück¬
gewinnt- Plüddemann ist leider früh gestorben. Die lebenden Spezialisten,
über die mit einiger Sicherheit gesprochen werden kann, sind der bereits er¬
wähnte Philipp Graf zu Eulenburg, Hans Hermann und Hugo Wolf.

Das sind drei positive Talente, im Wert verschieden, keins ohne eigne
Art und doch durch einen gemeinsamen, erfreulichen Zug verbunden. Dieses
Gemeinsame liegt in der Richtung aufs Einfache, Klare, im Sinn für natür¬
liche Verhältnisse und in der Achtung vor der Macht der menschlichen Stimme.
Diese drei Künstler sind im allgemeinen viel tiefer von der Volksmusik als
von der Kunstmusik berührt. Am tiefsten der Graf zu Eulenburg, in dessen
Gesängen das Tanzlied zuweilen wieder zu der Bedeutung gelangt, die es
in alten Zeiten hatte. Den nächst starken Einfluß haben dann Löwe, die
Skandinavier und zuletzt Wagner auf ihn geübt. Wagner, dessen Einfluß
auch bei Hermann, bei Wolf, bei der guten Hülste aller Liederkomponisten
der Gegenwart wiederkehrt. Denn er ist so stark gewesen auf die Musik seiner
Zeit, wie die Geschichte nur ein zweites Beispiel weiß: in der Wirkung, die
Monteverdi aufs siebzehnte Jahrhundert geübt hat. Eins scheidet Graf
Eulenburg von R. Wagner, das ist das Maß im Ausdruck der Leiden¬
schaften. Da zeigt er sich mehr mit Mendelssohn, mit Curschmann verwandt,
von der Berliner Schule, von norddeutscher Art, vom Wesen der Gesell¬
schaftskreise, aus denen er kommt, berührt. Aber nur im Ausdruck, nicht in
der Empfindung, der nichts von der Stärke und Ursprünglichkeit einer ge¬
sunden Natur fehlt. Die Kunst Eulenburgs gleicht einem edeln Renner,
dem Peitsche und Sporen fremd sind. Lebensverhältnisse und zufällige Um¬
stünde haben es gefügt, daß Graf Eulenburgs Kunst mit Vorliebe den Norden
besingt. Der Komponist selbst legt nach der Vorrede unter diesen Nvrdlands-
liedern besondern Wert auf seine Skaldengesänge, die uns in vortansend-
jährige Sitten und Geschlechter zurückversetzen wollen. Es ist um alle Nach¬
bildung im allgemeinen und um die Nachbildung alter Kunst im besondern etwas
Mißliches. Wir erinnern an Frehtag, an Dahn, an Thomae und an den
Schiffbruch vieler ähnlicher bedeutender Dichter und Maler. So wird man
unter diesen Skaldengesängen nur die kürzern, „Der Knabe," „Karln" — hier
wirkt der Refrain das Beste —, von den größern vielleicht die „Jul-Nacht"
unbedingt loben können. In den andern ist die Manier starker als die Phan¬
tasie und Kunst. Die erfreulichsten Arbeiten des Dichterkomponisten sind seine
„Rosenlieder."

Hans Hermanns Wert liegt in seinem Talent für den Entwurf, für ge¬
schlossene Führung großer, breiter Formen, für klare und imposante Gruppi-


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[0549] Das deutsche Lied seit dem Tode Richard Wagners so hat er doch Wagnersche und Löwesche Intentionen zuweilen wirksam ver¬ einigt und durch seinen Fleiß und Eifer das Interesse sür die Ballade neu belebt. Es ist aber für die Zukunft des deutscheu Gesangs ganz notwendig, daß die Ballade zunächst in der Hausmusik eine bedeutendere Stellung zurück¬ gewinnt- Plüddemann ist leider früh gestorben. Die lebenden Spezialisten, über die mit einiger Sicherheit gesprochen werden kann, sind der bereits er¬ wähnte Philipp Graf zu Eulenburg, Hans Hermann und Hugo Wolf. Das sind drei positive Talente, im Wert verschieden, keins ohne eigne Art und doch durch einen gemeinsamen, erfreulichen Zug verbunden. Dieses Gemeinsame liegt in der Richtung aufs Einfache, Klare, im Sinn für natür¬ liche Verhältnisse und in der Achtung vor der Macht der menschlichen Stimme. Diese drei Künstler sind im allgemeinen viel tiefer von der Volksmusik als von der Kunstmusik berührt. Am tiefsten der Graf zu Eulenburg, in dessen Gesängen das Tanzlied zuweilen wieder zu der Bedeutung gelangt, die es in alten Zeiten hatte. Den nächst starken Einfluß haben dann Löwe, die Skandinavier und zuletzt Wagner auf ihn geübt. Wagner, dessen Einfluß auch bei Hermann, bei Wolf, bei der guten Hülste aller Liederkomponisten der Gegenwart wiederkehrt. Denn er ist so stark gewesen auf die Musik seiner Zeit, wie die Geschichte nur ein zweites Beispiel weiß: in der Wirkung, die Monteverdi aufs siebzehnte Jahrhundert geübt hat. Eins scheidet Graf Eulenburg von R. Wagner, das ist das Maß im Ausdruck der Leiden¬ schaften. Da zeigt er sich mehr mit Mendelssohn, mit Curschmann verwandt, von der Berliner Schule, von norddeutscher Art, vom Wesen der Gesell¬ schaftskreise, aus denen er kommt, berührt. Aber nur im Ausdruck, nicht in der Empfindung, der nichts von der Stärke und Ursprünglichkeit einer ge¬ sunden Natur fehlt. Die Kunst Eulenburgs gleicht einem edeln Renner, dem Peitsche und Sporen fremd sind. Lebensverhältnisse und zufällige Um¬ stünde haben es gefügt, daß Graf Eulenburgs Kunst mit Vorliebe den Norden besingt. Der Komponist selbst legt nach der Vorrede unter diesen Nvrdlands- liedern besondern Wert auf seine Skaldengesänge, die uns in vortansend- jährige Sitten und Geschlechter zurückversetzen wollen. Es ist um alle Nach¬ bildung im allgemeinen und um die Nachbildung alter Kunst im besondern etwas Mißliches. Wir erinnern an Frehtag, an Dahn, an Thomae und an den Schiffbruch vieler ähnlicher bedeutender Dichter und Maler. So wird man unter diesen Skaldengesängen nur die kürzern, „Der Knabe," „Karln" — hier wirkt der Refrain das Beste —, von den größern vielleicht die „Jul-Nacht" unbedingt loben können. In den andern ist die Manier starker als die Phan¬ tasie und Kunst. Die erfreulichsten Arbeiten des Dichterkomponisten sind seine „Rosenlieder." Hans Hermanns Wert liegt in seinem Talent für den Entwurf, für ge¬ schlossene Führung großer, breiter Formen, für klare und imposante Gruppi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/549>, abgerufen am 28.12.2024.