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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Rechtskonsulentenfrage

gehören, übertragen die Konsulenten dann einem Rechtsanwalt, während sie
amtsgerichtliche Rechtsstreitigkeiten vielfach selbst führen. Hier und in großen,
oft recht einträglichen Geschäften, wie Kurateln und Konkursverwaltungen,
findet ein eigentliches Konkurriren mit den Rechtsanwälten statt, sei es, daß
es in dem betreffenden Orte an Nechtsanwälten fehlt, sei es, daß die Amts¬
richter die Übertragung von Geschäften der erwähnten Art an einen Rechts¬
anwalt nicht für zweckmäßig halte". Wenn aber so wichtige Geschäfte von
Rechtskonsulenten besorgt werden sollen, so liegt es in der Natur der Sache,
daß hierfür verschiedene Bürgschaften gefordert werden müssen.

Die Reichsgesetzgebung enthält nur wenig über die Nechtskonsulenten. Es
sind dies Z 143 Absatz 2 der Zivilprozeßordnung, wonach der Amtsrichter
Bevollmächtigte und Beistände, die das mündliche Verhandeln vor Gericht
geschäftsmüßig betreiben, zurückweisen kann; und Z 35 der Gewerbeordnung
(Fassung vom 1. Juli 1883). Darnach ist die gewerbsmäßige Besorgung
fremder Rechtsangelegenheiten und bei Behörden wahrzunehmender Geschäfte
zu untersagen, wenn Thatsachen vorliegen, die die Unzuverlässtgleit des Ge¬
werbetreibenden darthun.

Eine Neuerung, die möglicherweise von der weittragendsten Bedeutung
ist, enthält die Novelle zur Zivilprozeßordnung, wonach Z 143 Absatz 2 ans
die Bevollmächtigten und Beistände nicht angewandt werden soll, denen das
mündliche Verhandeln vor Gericht durch eine von der Justizverwaltung ge-
troffne Anordnung gestattet ist. Bevor wir auf diese Neuerung näher ein¬
gehen, müssen wir auf die beiden vorerwähnten Bestimmungen einen Blick
werfen.

Der § 143 Absatz 2 der Zivilprozeßordnung beruht auf dem Gedanken,
"dem Entstehen und dem verderblichen Treiben der Winkeladvokatur entgegen¬
zutreten." Folgerichtig wäre es daher gewesen, wie dies auch der Abgeordnete
Eysoldt beantragte, daß der Richter alle Personen, die das Verhandeln vor
Gericht gewerbsmäßig betreiben, zurückweisen müsse. Dieser Antrag wurde
aber abgelehnt und dem Richter nnr die Befugnis zur Zurückweisung erteilt.
Damit wurde offiziell die Notwendigkeit einer neben der Rechtsanwaltschaft
bestehenden zweiten Klasse von Parteivertretern für die Amtsgerichte anerkannt.
Es giebt nämlich an vielen Amtsgerichtssitzen keine Rechtsanwälte; auch treten
nicht alle Anwälte vor diesen Gerichten auf, da sie die dahin gehörigen Sachen
als zu unbedeutend zurückweisen. Es ist unbedingt zu verwerfen, daß es dem
Gutdünken des Amtsrichters überlassen bleibt, ob er Rechtskonsnlenten vor
seinem Forum dulden will oder nicht, weil diese Willkür das Ansehen des
Anwaltsstandes schädigt und mit dem Grundgedanken der freien Advokatur
-- völlige Unabhängigkeit gegenüber Behörden und Gerichten -- unver¬
einbar ist.

Zur Zeit konkurriren, wie schon erwähnt worden ist, bei den Amts-


Die Rechtskonsulentenfrage

gehören, übertragen die Konsulenten dann einem Rechtsanwalt, während sie
amtsgerichtliche Rechtsstreitigkeiten vielfach selbst führen. Hier und in großen,
oft recht einträglichen Geschäften, wie Kurateln und Konkursverwaltungen,
findet ein eigentliches Konkurriren mit den Rechtsanwälten statt, sei es, daß
es in dem betreffenden Orte an Nechtsanwälten fehlt, sei es, daß die Amts¬
richter die Übertragung von Geschäften der erwähnten Art an einen Rechts¬
anwalt nicht für zweckmäßig halte». Wenn aber so wichtige Geschäfte von
Rechtskonsulenten besorgt werden sollen, so liegt es in der Natur der Sache,
daß hierfür verschiedene Bürgschaften gefordert werden müssen.

Die Reichsgesetzgebung enthält nur wenig über die Nechtskonsulenten. Es
sind dies Z 143 Absatz 2 der Zivilprozeßordnung, wonach der Amtsrichter
Bevollmächtigte und Beistände, die das mündliche Verhandeln vor Gericht
geschäftsmüßig betreiben, zurückweisen kann; und Z 35 der Gewerbeordnung
(Fassung vom 1. Juli 1883). Darnach ist die gewerbsmäßige Besorgung
fremder Rechtsangelegenheiten und bei Behörden wahrzunehmender Geschäfte
zu untersagen, wenn Thatsachen vorliegen, die die Unzuverlässtgleit des Ge¬
werbetreibenden darthun.

Eine Neuerung, die möglicherweise von der weittragendsten Bedeutung
ist, enthält die Novelle zur Zivilprozeßordnung, wonach Z 143 Absatz 2 ans
die Bevollmächtigten und Beistände nicht angewandt werden soll, denen das
mündliche Verhandeln vor Gericht durch eine von der Justizverwaltung ge-
troffne Anordnung gestattet ist. Bevor wir auf diese Neuerung näher ein¬
gehen, müssen wir auf die beiden vorerwähnten Bestimmungen einen Blick
werfen.

Der § 143 Absatz 2 der Zivilprozeßordnung beruht auf dem Gedanken,
„dem Entstehen und dem verderblichen Treiben der Winkeladvokatur entgegen¬
zutreten." Folgerichtig wäre es daher gewesen, wie dies auch der Abgeordnete
Eysoldt beantragte, daß der Richter alle Personen, die das Verhandeln vor
Gericht gewerbsmäßig betreiben, zurückweisen müsse. Dieser Antrag wurde
aber abgelehnt und dem Richter nnr die Befugnis zur Zurückweisung erteilt.
Damit wurde offiziell die Notwendigkeit einer neben der Rechtsanwaltschaft
bestehenden zweiten Klasse von Parteivertretern für die Amtsgerichte anerkannt.
Es giebt nämlich an vielen Amtsgerichtssitzen keine Rechtsanwälte; auch treten
nicht alle Anwälte vor diesen Gerichten auf, da sie die dahin gehörigen Sachen
als zu unbedeutend zurückweisen. Es ist unbedingt zu verwerfen, daß es dem
Gutdünken des Amtsrichters überlassen bleibt, ob er Rechtskonsnlenten vor
seinem Forum dulden will oder nicht, weil diese Willkür das Ansehen des
Anwaltsstandes schädigt und mit dem Grundgedanken der freien Advokatur
— völlige Unabhängigkeit gegenüber Behörden und Gerichten — unver¬
einbar ist.

Zur Zeit konkurriren, wie schon erwähnt worden ist, bei den Amts-


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[0532] Die Rechtskonsulentenfrage gehören, übertragen die Konsulenten dann einem Rechtsanwalt, während sie amtsgerichtliche Rechtsstreitigkeiten vielfach selbst führen. Hier und in großen, oft recht einträglichen Geschäften, wie Kurateln und Konkursverwaltungen, findet ein eigentliches Konkurriren mit den Rechtsanwälten statt, sei es, daß es in dem betreffenden Orte an Nechtsanwälten fehlt, sei es, daß die Amts¬ richter die Übertragung von Geschäften der erwähnten Art an einen Rechts¬ anwalt nicht für zweckmäßig halte». Wenn aber so wichtige Geschäfte von Rechtskonsulenten besorgt werden sollen, so liegt es in der Natur der Sache, daß hierfür verschiedene Bürgschaften gefordert werden müssen. Die Reichsgesetzgebung enthält nur wenig über die Nechtskonsulenten. Es sind dies Z 143 Absatz 2 der Zivilprozeßordnung, wonach der Amtsrichter Bevollmächtigte und Beistände, die das mündliche Verhandeln vor Gericht geschäftsmüßig betreiben, zurückweisen kann; und Z 35 der Gewerbeordnung (Fassung vom 1. Juli 1883). Darnach ist die gewerbsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten und bei Behörden wahrzunehmender Geschäfte zu untersagen, wenn Thatsachen vorliegen, die die Unzuverlässtgleit des Ge¬ werbetreibenden darthun. Eine Neuerung, die möglicherweise von der weittragendsten Bedeutung ist, enthält die Novelle zur Zivilprozeßordnung, wonach Z 143 Absatz 2 ans die Bevollmächtigten und Beistände nicht angewandt werden soll, denen das mündliche Verhandeln vor Gericht durch eine von der Justizverwaltung ge- troffne Anordnung gestattet ist. Bevor wir auf diese Neuerung näher ein¬ gehen, müssen wir auf die beiden vorerwähnten Bestimmungen einen Blick werfen. Der § 143 Absatz 2 der Zivilprozeßordnung beruht auf dem Gedanken, „dem Entstehen und dem verderblichen Treiben der Winkeladvokatur entgegen¬ zutreten." Folgerichtig wäre es daher gewesen, wie dies auch der Abgeordnete Eysoldt beantragte, daß der Richter alle Personen, die das Verhandeln vor Gericht gewerbsmäßig betreiben, zurückweisen müsse. Dieser Antrag wurde aber abgelehnt und dem Richter nnr die Befugnis zur Zurückweisung erteilt. Damit wurde offiziell die Notwendigkeit einer neben der Rechtsanwaltschaft bestehenden zweiten Klasse von Parteivertretern für die Amtsgerichte anerkannt. Es giebt nämlich an vielen Amtsgerichtssitzen keine Rechtsanwälte; auch treten nicht alle Anwälte vor diesen Gerichten auf, da sie die dahin gehörigen Sachen als zu unbedeutend zurückweisen. Es ist unbedingt zu verwerfen, daß es dem Gutdünken des Amtsrichters überlassen bleibt, ob er Rechtskonsnlenten vor seinem Forum dulden will oder nicht, weil diese Willkür das Ansehen des Anwaltsstandes schädigt und mit dem Grundgedanken der freien Advokatur — völlige Unabhängigkeit gegenüber Behörden und Gerichten — unver¬ einbar ist. Zur Zeit konkurriren, wie schon erwähnt worden ist, bei den Amts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/532>, abgerufen am 23.07.2024.