Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vom Deutschenhaß

und ein polnischer Minister bewies den besten Willen, das Deutschtum in Öster¬
reich mit gebundnen Händen den Slawen auszuliefern.

Daß es so weit kommen konnte, ist wesentlich eine Folge der vielen
Schwankungen und plötzlichen Schwenkungen in der innern Politik des Kaiser¬
staats, und wer die Zusammensetzung und die Führung der deutschfeindlichen
Heerscharen ins Auge faßt, kann nicht darüber im Zweifel sein, daß der er¬
bitterte Kampf vor allem der Hochburg des Protestantismus gilt. Überall
sieht mau katholische Geistliche eifrigst an der Arbeit, und es ist sicher nicht
zufällig, daß der Jesuitenorden, der bei der Gegenreformation in Böhmen,
Polen, Jnuerösterreich, Tirol sich mit so viel Ruhm bedeckt hat, eben jetzt in
Österreich so auffallend gehegt und gepflegt wird. Kein Wunder daher, daß
die Deutschen zum großen Teil sich Gambettas Losung angeeignet haben: I.ö
vlerieMsnw o'oft 1'causal. Indessen kann die Anwendung des Satzes nicht durch¬
weg als glücklich betrachtet werden. Ja, die Gegenreformation hat unendliches
Unheil über das Reich gebracht, doch ist das bei diesem Anlaß nicht gut zu
machen, und es wäre höchst unpolitisch, Deutsche zurückzuweisen, weil sie
Katholiken sind. Damit würde den Feinden nur Wasser auf die Mühle ge¬
führt. Ihnen liefern ohnehin unüberlegte Reden und Handlungen der soge¬
nannten Radikalen den Vorwand, alle Deutschen antiösterreichischer, nnti-
dhnastischer Gesinnung zu bezichtigen, und ihren Glauben wollen sich die
Tiroler und Oberösterreichcr ebenso wenig wie ihre Kaisertreue rauben lassen.
Es ist überhaupt nicht abzusehen, was Herr schönerer und sein -- wie man
sagt besonders unter der Jugend sehr bedeutender -- Anhang anstreben. Daß
ihre stürmischen Liebeswerbungen Deutschland nicht erwünscht kommen, ist
natürlich und hinlänglich dargethan; eine neue Auflage der vom Jahre 1848
her berühmten Herrschaft der Wiener "Aula" ist undenkbar, und so bleibt als
Rest des Liebäugelns mit der Kornblume und andern Wahrzeichen die Durch¬
löcherung der "Gemeinbürgschaft" der Deutschen Österreichs. Einig machen
konnte sie Graf Bcideni, aber einig zu bleiben wird augenscheinlich deu Deutschen
noch hente so schwer wie vor zweitausend Jahren.

Das Verschulden an den jetzigen beklagenswerten und gefährlichen Zu¬
ständen im deutschen Österreich darf also nicht den Regierenden allein auf¬
gebürdet werden. Für fremde Nationen und Natiönchen zu schwärmen war ja
ein Gebot des Liberalismus. Die Sage von dem Undanke der Deutschen
gegen die Polen als Retter Wiens, auch von Armstasius Grün bitter beklagt,
geht angeblich noch um, obwohl längst geschichtlich erhärtet ist, daß Johann
Sobieski ein willkommner Mitstreiter, aber keineswegs der Held von 1683
gewesen ist. An der thörichten Verherrlichung der polnischen Freiheitshelden
trotz der wilden Wirtschaft ihrer Nachkommen von 1846, 1848 usw. krankte
ganz Deutschland noch lange. Doch ist weniger erinnerlich, daß deutsche
Dichter es möglich gemacht habe", sogar das Tschechentum zu preisen. Moritz


Grenzboten II 1898 (>5>
vom Deutschenhaß

und ein polnischer Minister bewies den besten Willen, das Deutschtum in Öster¬
reich mit gebundnen Händen den Slawen auszuliefern.

Daß es so weit kommen konnte, ist wesentlich eine Folge der vielen
Schwankungen und plötzlichen Schwenkungen in der innern Politik des Kaiser¬
staats, und wer die Zusammensetzung und die Führung der deutschfeindlichen
Heerscharen ins Auge faßt, kann nicht darüber im Zweifel sein, daß der er¬
bitterte Kampf vor allem der Hochburg des Protestantismus gilt. Überall
sieht mau katholische Geistliche eifrigst an der Arbeit, und es ist sicher nicht
zufällig, daß der Jesuitenorden, der bei der Gegenreformation in Böhmen,
Polen, Jnuerösterreich, Tirol sich mit so viel Ruhm bedeckt hat, eben jetzt in
Österreich so auffallend gehegt und gepflegt wird. Kein Wunder daher, daß
die Deutschen zum großen Teil sich Gambettas Losung angeeignet haben: I.ö
vlerieMsnw o'oft 1'causal. Indessen kann die Anwendung des Satzes nicht durch¬
weg als glücklich betrachtet werden. Ja, die Gegenreformation hat unendliches
Unheil über das Reich gebracht, doch ist das bei diesem Anlaß nicht gut zu
machen, und es wäre höchst unpolitisch, Deutsche zurückzuweisen, weil sie
Katholiken sind. Damit würde den Feinden nur Wasser auf die Mühle ge¬
führt. Ihnen liefern ohnehin unüberlegte Reden und Handlungen der soge¬
nannten Radikalen den Vorwand, alle Deutschen antiösterreichischer, nnti-
dhnastischer Gesinnung zu bezichtigen, und ihren Glauben wollen sich die
Tiroler und Oberösterreichcr ebenso wenig wie ihre Kaisertreue rauben lassen.
Es ist überhaupt nicht abzusehen, was Herr schönerer und sein — wie man
sagt besonders unter der Jugend sehr bedeutender — Anhang anstreben. Daß
ihre stürmischen Liebeswerbungen Deutschland nicht erwünscht kommen, ist
natürlich und hinlänglich dargethan; eine neue Auflage der vom Jahre 1848
her berühmten Herrschaft der Wiener „Aula" ist undenkbar, und so bleibt als
Rest des Liebäugelns mit der Kornblume und andern Wahrzeichen die Durch¬
löcherung der „Gemeinbürgschaft" der Deutschen Österreichs. Einig machen
konnte sie Graf Bcideni, aber einig zu bleiben wird augenscheinlich deu Deutschen
noch hente so schwer wie vor zweitausend Jahren.

Das Verschulden an den jetzigen beklagenswerten und gefährlichen Zu¬
ständen im deutschen Österreich darf also nicht den Regierenden allein auf¬
gebürdet werden. Für fremde Nationen und Natiönchen zu schwärmen war ja
ein Gebot des Liberalismus. Die Sage von dem Undanke der Deutschen
gegen die Polen als Retter Wiens, auch von Armstasius Grün bitter beklagt,
geht angeblich noch um, obwohl längst geschichtlich erhärtet ist, daß Johann
Sobieski ein willkommner Mitstreiter, aber keineswegs der Held von 1683
gewesen ist. An der thörichten Verherrlichung der polnischen Freiheitshelden
trotz der wilden Wirtschaft ihrer Nachkommen von 1846, 1848 usw. krankte
ganz Deutschland noch lange. Doch ist weniger erinnerlich, daß deutsche
Dichter es möglich gemacht habe», sogar das Tschechentum zu preisen. Moritz


Grenzboten II 1898 (>5>
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228157"/>
          <fw type="header" place="top"> vom Deutschenhaß</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1417" prev="#ID_1416"> und ein polnischer Minister bewies den besten Willen, das Deutschtum in Öster¬<lb/>
reich mit gebundnen Händen den Slawen auszuliefern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1418"> Daß es so weit kommen konnte, ist wesentlich eine Folge der vielen<lb/>
Schwankungen und plötzlichen Schwenkungen in der innern Politik des Kaiser¬<lb/>
staats, und wer die Zusammensetzung und die Führung der deutschfeindlichen<lb/>
Heerscharen ins Auge faßt, kann nicht darüber im Zweifel sein, daß der er¬<lb/>
bitterte Kampf vor allem der Hochburg des Protestantismus gilt. Überall<lb/>
sieht mau katholische Geistliche eifrigst an der Arbeit, und es ist sicher nicht<lb/>
zufällig, daß der Jesuitenorden, der bei der Gegenreformation in Böhmen,<lb/>
Polen, Jnuerösterreich, Tirol sich mit so viel Ruhm bedeckt hat, eben jetzt in<lb/>
Österreich so auffallend gehegt und gepflegt wird. Kein Wunder daher, daß<lb/>
die Deutschen zum großen Teil sich Gambettas Losung angeeignet haben: I.ö<lb/>
vlerieMsnw o'oft 1'causal. Indessen kann die Anwendung des Satzes nicht durch¬<lb/>
weg als glücklich betrachtet werden. Ja, die Gegenreformation hat unendliches<lb/>
Unheil über das Reich gebracht, doch ist das bei diesem Anlaß nicht gut zu<lb/>
machen, und es wäre höchst unpolitisch, Deutsche zurückzuweisen, weil sie<lb/>
Katholiken sind. Damit würde den Feinden nur Wasser auf die Mühle ge¬<lb/>
führt. Ihnen liefern ohnehin unüberlegte Reden und Handlungen der soge¬<lb/>
nannten Radikalen den Vorwand, alle Deutschen antiösterreichischer, nnti-<lb/>
dhnastischer Gesinnung zu bezichtigen, und ihren Glauben wollen sich die<lb/>
Tiroler und Oberösterreichcr ebenso wenig wie ihre Kaisertreue rauben lassen.<lb/>
Es ist überhaupt nicht abzusehen, was Herr schönerer und sein &#x2014; wie man<lb/>
sagt besonders unter der Jugend sehr bedeutender &#x2014; Anhang anstreben. Daß<lb/>
ihre stürmischen Liebeswerbungen Deutschland nicht erwünscht kommen, ist<lb/>
natürlich und hinlänglich dargethan; eine neue Auflage der vom Jahre 1848<lb/>
her berühmten Herrschaft der Wiener &#x201E;Aula" ist undenkbar, und so bleibt als<lb/>
Rest des Liebäugelns mit der Kornblume und andern Wahrzeichen die Durch¬<lb/>
löcherung der &#x201E;Gemeinbürgschaft" der Deutschen Österreichs. Einig machen<lb/>
konnte sie Graf Bcideni, aber einig zu bleiben wird augenscheinlich deu Deutschen<lb/>
noch hente so schwer wie vor zweitausend Jahren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1419" next="#ID_1420"> Das Verschulden an den jetzigen beklagenswerten und gefährlichen Zu¬<lb/>
ständen im deutschen Österreich darf also nicht den Regierenden allein auf¬<lb/>
gebürdet werden. Für fremde Nationen und Natiönchen zu schwärmen war ja<lb/>
ein Gebot des Liberalismus. Die Sage von dem Undanke der Deutschen<lb/>
gegen die Polen als Retter Wiens, auch von Armstasius Grün bitter beklagt,<lb/>
geht angeblich noch um, obwohl längst geschichtlich erhärtet ist, daß Johann<lb/>
Sobieski ein willkommner Mitstreiter, aber keineswegs der Held von 1683<lb/>
gewesen ist. An der thörichten Verherrlichung der polnischen Freiheitshelden<lb/>
trotz der wilden Wirtschaft ihrer Nachkommen von 1846, 1848 usw. krankte<lb/>
ganz Deutschland noch lange. Doch ist weniger erinnerlich, daß deutsche<lb/>
Dichter es möglich gemacht habe», sogar das Tschechentum zu preisen. Moritz</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1898 (&gt;5&gt;</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0521] vom Deutschenhaß und ein polnischer Minister bewies den besten Willen, das Deutschtum in Öster¬ reich mit gebundnen Händen den Slawen auszuliefern. Daß es so weit kommen konnte, ist wesentlich eine Folge der vielen Schwankungen und plötzlichen Schwenkungen in der innern Politik des Kaiser¬ staats, und wer die Zusammensetzung und die Führung der deutschfeindlichen Heerscharen ins Auge faßt, kann nicht darüber im Zweifel sein, daß der er¬ bitterte Kampf vor allem der Hochburg des Protestantismus gilt. Überall sieht mau katholische Geistliche eifrigst an der Arbeit, und es ist sicher nicht zufällig, daß der Jesuitenorden, der bei der Gegenreformation in Böhmen, Polen, Jnuerösterreich, Tirol sich mit so viel Ruhm bedeckt hat, eben jetzt in Österreich so auffallend gehegt und gepflegt wird. Kein Wunder daher, daß die Deutschen zum großen Teil sich Gambettas Losung angeeignet haben: I.ö vlerieMsnw o'oft 1'causal. Indessen kann die Anwendung des Satzes nicht durch¬ weg als glücklich betrachtet werden. Ja, die Gegenreformation hat unendliches Unheil über das Reich gebracht, doch ist das bei diesem Anlaß nicht gut zu machen, und es wäre höchst unpolitisch, Deutsche zurückzuweisen, weil sie Katholiken sind. Damit würde den Feinden nur Wasser auf die Mühle ge¬ führt. Ihnen liefern ohnehin unüberlegte Reden und Handlungen der soge¬ nannten Radikalen den Vorwand, alle Deutschen antiösterreichischer, nnti- dhnastischer Gesinnung zu bezichtigen, und ihren Glauben wollen sich die Tiroler und Oberösterreichcr ebenso wenig wie ihre Kaisertreue rauben lassen. Es ist überhaupt nicht abzusehen, was Herr schönerer und sein — wie man sagt besonders unter der Jugend sehr bedeutender — Anhang anstreben. Daß ihre stürmischen Liebeswerbungen Deutschland nicht erwünscht kommen, ist natürlich und hinlänglich dargethan; eine neue Auflage der vom Jahre 1848 her berühmten Herrschaft der Wiener „Aula" ist undenkbar, und so bleibt als Rest des Liebäugelns mit der Kornblume und andern Wahrzeichen die Durch¬ löcherung der „Gemeinbürgschaft" der Deutschen Österreichs. Einig machen konnte sie Graf Bcideni, aber einig zu bleiben wird augenscheinlich deu Deutschen noch hente so schwer wie vor zweitausend Jahren. Das Verschulden an den jetzigen beklagenswerten und gefährlichen Zu¬ ständen im deutschen Österreich darf also nicht den Regierenden allein auf¬ gebürdet werden. Für fremde Nationen und Natiönchen zu schwärmen war ja ein Gebot des Liberalismus. Die Sage von dem Undanke der Deutschen gegen die Polen als Retter Wiens, auch von Armstasius Grün bitter beklagt, geht angeblich noch um, obwohl längst geschichtlich erhärtet ist, daß Johann Sobieski ein willkommner Mitstreiter, aber keineswegs der Held von 1683 gewesen ist. An der thörichten Verherrlichung der polnischen Freiheitshelden trotz der wilden Wirtschaft ihrer Nachkommen von 1846, 1848 usw. krankte ganz Deutschland noch lange. Doch ist weniger erinnerlich, daß deutsche Dichter es möglich gemacht habe», sogar das Tschechentum zu preisen. Moritz Grenzboten II 1898 (>5>

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/521
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/521>, abgerufen am 23.07.2024.