Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Zum ^5. Juni im Oktober 1894 führten dann weiter; hatte jener sich namentlich durch seinen Dies hat auch die Sympathien für den Kaiser wieder belebt, doch sind Zum ^5. Juni im Oktober 1894 führten dann weiter; hatte jener sich namentlich durch seinen Dies hat auch die Sympathien für den Kaiser wieder belebt, doch sind <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228151"/> <fw type="header" place="top"> Zum ^5. Juni</fw><lb/> <p xml:id="ID_1403" prev="#ID_1402"> im Oktober 1894 führten dann weiter; hatte jener sich namentlich durch seinen<lb/> Mangel an diplomatischer Erfahrung und durch die unverzeihliche Behandlung<lb/> Bismarcks im Juni 1892 Vertrauen und Sympathien verscherzt, so begrüßte<lb/> man in Hohenlohe einen geschulten Diplomaten und einen alten Mitarbeiter<lb/> Bismarcks. Dies Vertrauen übertrug sich freilich keineswegs aus die wichtigsten<lb/> seiner Amtsgenossen. Erst mit deren Rücktritt zu Ende 1897 regte sich kräftiger<lb/> die Zuversicht, daß der neueste Kurs wieder in den alten einlenke; die kritischen<lb/> Erörterungen der Hamburger Nachrichten wurden sparsamer, und von Monat<lb/> zu Monat befestigte sich die beruhigende Überzeugung, die Leitung des Reichs<lb/> sei in guten Händen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1404" next="#ID_1405"> Dies hat auch die Sympathien für den Kaiser wieder belebt, doch sind<lb/> sie noch kaum auf der Hohe angelangt wie vor zehn Jahren. Der Grund<lb/> dafür liegt nicht nur darin, daß alte bittere Erfahrungen noch nachwirken,<lb/> sondern auch darin, daß der Gegensatz in dem Wesen des jetzigen Kaisers und<lb/> dem seines Großvaters außerordentlich ist. Man hat sich gewöhnt, die ehr¬<lb/> würdige Greisengestalt Wilhelms I. schlechtweg als das Musterbild eines<lb/> Kaisers zu betrachten, mit dem der Nachfolger unwillkürlich oder bewußterweise<lb/> fortwährend verglichen wird, und man vergißt ganz, in Wilhelm II. einen noch<lb/> Werdenden zu sehen, während Wilhelm I. der Nation als ein fertiger, an der<lb/> Schwelle des Greisenalters stehender Mann entgegentrat. Aber auch abgesehen<lb/> von diesem Unterschiede des Alters und der Entwicklungsstufe kann es nicht<lb/> leicht zwei verschiedenartigere Herrschergestalten geben. Der fürstliche Stolz,<lb/> das fürstliche Pflichtbewußtsein und die persönliche Liebenswürdigkeit sind beiden<lb/> gemeinsam. Aber Wilhelm I. war vor allem Preuße und Soldat. Die An¬<lb/> nahme der Kaiserkrone war ihm keineswegs die Erfüllung eines Herzens¬<lb/> wunsches, sondern eher ein Opfer; seine Bildung war rein militärisch, andre<lb/> Interessen lagen ihm anfangs fern. Das Große in ihm war gerade dies, daß er<lb/> doch in seine neuen Aufgaben völlig hineinwuchs, daß er mit unermüdlichem<lb/> Fleiße die verschiedensten Gegenstände bewältigte und ein wahrer Kaiser nach<lb/> dem Herzen seines Volkes wurde. So vermittelte er das wertvolle alte<lb/> Preußische Erbe dem neuen Deutschland. Dieser altpreußischen Tradition ent¬<lb/> sprach auch die Schlichtheit und Anspruchslosigkeit seiner Gewohnheiten und<lb/> seines Auftretens. Er that und sprach immer nur das, was gerade gethan<lb/> und gesagt werden mußte. Auch sein persönlicher Wille trat nur selten be¬<lb/> sonders hervor, so entscheidend er anch wirkte. Diese harmonische, abgeklärte<lb/> Ruhe seines Wesens war freilich erst das Ergebnis einer langen Gewöhnung,<lb/> einer ungeheuer» Erfahrung und einer beharrlichen Arbeit an sich selbst, die<lb/> Eigenschaft eines hohen Alters. Wie anders Kaiser Wilhelm II.! Ausgewachsen<lb/> unter den mächtigen Eindrücken der glorreichen Einheitskriege ist er vor allem<lb/> Deutscher und Kaiser, und er wird auch in Preußen fast immer als solcher<lb/> bezeichnet, während der Großvater auch nach 1871 in erster Linie König war</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0515]
Zum ^5. Juni
im Oktober 1894 führten dann weiter; hatte jener sich namentlich durch seinen
Mangel an diplomatischer Erfahrung und durch die unverzeihliche Behandlung
Bismarcks im Juni 1892 Vertrauen und Sympathien verscherzt, so begrüßte
man in Hohenlohe einen geschulten Diplomaten und einen alten Mitarbeiter
Bismarcks. Dies Vertrauen übertrug sich freilich keineswegs aus die wichtigsten
seiner Amtsgenossen. Erst mit deren Rücktritt zu Ende 1897 regte sich kräftiger
die Zuversicht, daß der neueste Kurs wieder in den alten einlenke; die kritischen
Erörterungen der Hamburger Nachrichten wurden sparsamer, und von Monat
zu Monat befestigte sich die beruhigende Überzeugung, die Leitung des Reichs
sei in guten Händen.
Dies hat auch die Sympathien für den Kaiser wieder belebt, doch sind
sie noch kaum auf der Hohe angelangt wie vor zehn Jahren. Der Grund
dafür liegt nicht nur darin, daß alte bittere Erfahrungen noch nachwirken,
sondern auch darin, daß der Gegensatz in dem Wesen des jetzigen Kaisers und
dem seines Großvaters außerordentlich ist. Man hat sich gewöhnt, die ehr¬
würdige Greisengestalt Wilhelms I. schlechtweg als das Musterbild eines
Kaisers zu betrachten, mit dem der Nachfolger unwillkürlich oder bewußterweise
fortwährend verglichen wird, und man vergißt ganz, in Wilhelm II. einen noch
Werdenden zu sehen, während Wilhelm I. der Nation als ein fertiger, an der
Schwelle des Greisenalters stehender Mann entgegentrat. Aber auch abgesehen
von diesem Unterschiede des Alters und der Entwicklungsstufe kann es nicht
leicht zwei verschiedenartigere Herrschergestalten geben. Der fürstliche Stolz,
das fürstliche Pflichtbewußtsein und die persönliche Liebenswürdigkeit sind beiden
gemeinsam. Aber Wilhelm I. war vor allem Preuße und Soldat. Die An¬
nahme der Kaiserkrone war ihm keineswegs die Erfüllung eines Herzens¬
wunsches, sondern eher ein Opfer; seine Bildung war rein militärisch, andre
Interessen lagen ihm anfangs fern. Das Große in ihm war gerade dies, daß er
doch in seine neuen Aufgaben völlig hineinwuchs, daß er mit unermüdlichem
Fleiße die verschiedensten Gegenstände bewältigte und ein wahrer Kaiser nach
dem Herzen seines Volkes wurde. So vermittelte er das wertvolle alte
Preußische Erbe dem neuen Deutschland. Dieser altpreußischen Tradition ent¬
sprach auch die Schlichtheit und Anspruchslosigkeit seiner Gewohnheiten und
seines Auftretens. Er that und sprach immer nur das, was gerade gethan
und gesagt werden mußte. Auch sein persönlicher Wille trat nur selten be¬
sonders hervor, so entscheidend er anch wirkte. Diese harmonische, abgeklärte
Ruhe seines Wesens war freilich erst das Ergebnis einer langen Gewöhnung,
einer ungeheuer» Erfahrung und einer beharrlichen Arbeit an sich selbst, die
Eigenschaft eines hohen Alters. Wie anders Kaiser Wilhelm II.! Ausgewachsen
unter den mächtigen Eindrücken der glorreichen Einheitskriege ist er vor allem
Deutscher und Kaiser, und er wird auch in Preußen fast immer als solcher
bezeichnet, während der Großvater auch nach 1871 in erster Linie König war
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