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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Groß-Germanien

weiß, daß der Krieg um Kuba ein Jnteressenkrieg ist, der schließlich nicht der
Gesamtheit, sondern wenigen Milliardären zu gute kommen wird. Das wird
aber bei der einmal gegebnen Sachlage für absehbare Zeit so bleiben. Und
deshalb wird der freie Amerikaner sich schwerlich dazu verstehen, seine teure
Freiheit, ja sein Leben für die Geldinteressen der Plutokraten aufs Spiel zu
setzen; er wird, kurz gesagt, niemals das für die europäischen Kontinentstaaten
nötige System der allgemeinen Wehrpflicht auf sich nehmen. Was aber die
berühmten amerikanischen Freiwilligenbataillone leisten können, haben sie in den
Treffen mit den Berufssoldaten auf Kuba noch nicht gezeigt; was sie nicht
leisten können, werden sie voraussichtlich noch öfter zu zeigen Gelegenheit
haben.

So also sieht der Bundesgenosse aus, mit dem John Bull die Welt
erobern will. Wir können nicht glauben, daß Chamberlain, der Mann der
Realpolitik, in Wirklichkeit der Meinung ist, durch dieses Bündnis in dem
künftigen Kampfe mit Nußland um die sogenannte Weltherrschaft den Sieg an
Englands Fahnen binden zu können. Hat der englische Staatsmann vielleicht
nur betonen wollen, daß England willens ist, aus seiner stolzen Isolirung
herauszutreten? Ist das patriotische Opfer, das er seinem Volke zuzumuten
in der Zwangslage ist, vielleicht der Verzicht auf diese Politik der Isolirung,
die nur den eignen Willen anerkennt und ihn in allen Weltfragen, ohne durch
Bündnisparagraphen gebunden zu sein, rücksichtslos gegen die Interessen andrer
durchgesetzt hat? Vor einiger Zeit ging das Gerücht durch die politische Presse,
daß die Insel Sansibar an Deutschland abgetreten sei; Lord Valfour zögerte
nicht, auf eine Jnterpellation hin dieses Gerücht als albern zu bezeichnen.
Wir sind ganz der Meinung des Herrn Ministers. Um ein bischen Sansibar,
das freilich in böser Stunde unsern Staatsmännern als sür die Entwicklung
unsrer ostafrikanischen Kolonie entbehrlich erschienen ist, wird sich der Kurs
des deutschen Staatsschiffs nicht im geringsten ablenken lassen.

Aber dieses Gerücht hat doch eine symptomatische Bedeutung, ebenso wie
die Nachricht, die in russischen Blättern spukte, daß Deutschland einen Hafen
an der syrischen Küste zur Wahrung seiner kleinasiatischen Interessen zu besetzen
gedächte. Beide Gerüchte sind Ahnungen der englischen und der russischen
Volksseele, daß zwischen beiden Völkern noch eine dritte Macht stehe, die in
dem zwischen beiden Weltmächten entbrennenden Kampfe von Bedeutung sein
werde. Diese Macht sind die mitteleuropäischen Militärstaaten, die Deutschland
als ihr Haupt anerkennen. Denn die Entscheidung in jenem angeblich um die
Weltherrschaft geführten Kampfe wird nicht in Seeschlachten fallen, sondern in
Landschlachten. In China ist England schon jetzt endgiltig durch Rußland
aus seiner Stellung gedrängt; der Bau der transsibirischen Eisenbahn und die
Besetzung Port Arthurs und Talienwans geben dort Rußland vor jeder andern
Macht ein absolutes Übergewicht, das auch durch ein etwaiges Bündnis Eng-


Groß-Germanien

weiß, daß der Krieg um Kuba ein Jnteressenkrieg ist, der schließlich nicht der
Gesamtheit, sondern wenigen Milliardären zu gute kommen wird. Das wird
aber bei der einmal gegebnen Sachlage für absehbare Zeit so bleiben. Und
deshalb wird der freie Amerikaner sich schwerlich dazu verstehen, seine teure
Freiheit, ja sein Leben für die Geldinteressen der Plutokraten aufs Spiel zu
setzen; er wird, kurz gesagt, niemals das für die europäischen Kontinentstaaten
nötige System der allgemeinen Wehrpflicht auf sich nehmen. Was aber die
berühmten amerikanischen Freiwilligenbataillone leisten können, haben sie in den
Treffen mit den Berufssoldaten auf Kuba noch nicht gezeigt; was sie nicht
leisten können, werden sie voraussichtlich noch öfter zu zeigen Gelegenheit
haben.

So also sieht der Bundesgenosse aus, mit dem John Bull die Welt
erobern will. Wir können nicht glauben, daß Chamberlain, der Mann der
Realpolitik, in Wirklichkeit der Meinung ist, durch dieses Bündnis in dem
künftigen Kampfe mit Nußland um die sogenannte Weltherrschaft den Sieg an
Englands Fahnen binden zu können. Hat der englische Staatsmann vielleicht
nur betonen wollen, daß England willens ist, aus seiner stolzen Isolirung
herauszutreten? Ist das patriotische Opfer, das er seinem Volke zuzumuten
in der Zwangslage ist, vielleicht der Verzicht auf diese Politik der Isolirung,
die nur den eignen Willen anerkennt und ihn in allen Weltfragen, ohne durch
Bündnisparagraphen gebunden zu sein, rücksichtslos gegen die Interessen andrer
durchgesetzt hat? Vor einiger Zeit ging das Gerücht durch die politische Presse,
daß die Insel Sansibar an Deutschland abgetreten sei; Lord Valfour zögerte
nicht, auf eine Jnterpellation hin dieses Gerücht als albern zu bezeichnen.
Wir sind ganz der Meinung des Herrn Ministers. Um ein bischen Sansibar,
das freilich in böser Stunde unsern Staatsmännern als sür die Entwicklung
unsrer ostafrikanischen Kolonie entbehrlich erschienen ist, wird sich der Kurs
des deutschen Staatsschiffs nicht im geringsten ablenken lassen.

Aber dieses Gerücht hat doch eine symptomatische Bedeutung, ebenso wie
die Nachricht, die in russischen Blättern spukte, daß Deutschland einen Hafen
an der syrischen Küste zur Wahrung seiner kleinasiatischen Interessen zu besetzen
gedächte. Beide Gerüchte sind Ahnungen der englischen und der russischen
Volksseele, daß zwischen beiden Völkern noch eine dritte Macht stehe, die in
dem zwischen beiden Weltmächten entbrennenden Kampfe von Bedeutung sein
werde. Diese Macht sind die mitteleuropäischen Militärstaaten, die Deutschland
als ihr Haupt anerkennen. Denn die Entscheidung in jenem angeblich um die
Weltherrschaft geführten Kampfe wird nicht in Seeschlachten fallen, sondern in
Landschlachten. In China ist England schon jetzt endgiltig durch Rußland
aus seiner Stellung gedrängt; der Bau der transsibirischen Eisenbahn und die
Besetzung Port Arthurs und Talienwans geben dort Rußland vor jeder andern
Macht ein absolutes Übergewicht, das auch durch ein etwaiges Bündnis Eng-


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[0506] Groß-Germanien weiß, daß der Krieg um Kuba ein Jnteressenkrieg ist, der schließlich nicht der Gesamtheit, sondern wenigen Milliardären zu gute kommen wird. Das wird aber bei der einmal gegebnen Sachlage für absehbare Zeit so bleiben. Und deshalb wird der freie Amerikaner sich schwerlich dazu verstehen, seine teure Freiheit, ja sein Leben für die Geldinteressen der Plutokraten aufs Spiel zu setzen; er wird, kurz gesagt, niemals das für die europäischen Kontinentstaaten nötige System der allgemeinen Wehrpflicht auf sich nehmen. Was aber die berühmten amerikanischen Freiwilligenbataillone leisten können, haben sie in den Treffen mit den Berufssoldaten auf Kuba noch nicht gezeigt; was sie nicht leisten können, werden sie voraussichtlich noch öfter zu zeigen Gelegenheit haben. So also sieht der Bundesgenosse aus, mit dem John Bull die Welt erobern will. Wir können nicht glauben, daß Chamberlain, der Mann der Realpolitik, in Wirklichkeit der Meinung ist, durch dieses Bündnis in dem künftigen Kampfe mit Nußland um die sogenannte Weltherrschaft den Sieg an Englands Fahnen binden zu können. Hat der englische Staatsmann vielleicht nur betonen wollen, daß England willens ist, aus seiner stolzen Isolirung herauszutreten? Ist das patriotische Opfer, das er seinem Volke zuzumuten in der Zwangslage ist, vielleicht der Verzicht auf diese Politik der Isolirung, die nur den eignen Willen anerkennt und ihn in allen Weltfragen, ohne durch Bündnisparagraphen gebunden zu sein, rücksichtslos gegen die Interessen andrer durchgesetzt hat? Vor einiger Zeit ging das Gerücht durch die politische Presse, daß die Insel Sansibar an Deutschland abgetreten sei; Lord Valfour zögerte nicht, auf eine Jnterpellation hin dieses Gerücht als albern zu bezeichnen. Wir sind ganz der Meinung des Herrn Ministers. Um ein bischen Sansibar, das freilich in böser Stunde unsern Staatsmännern als sür die Entwicklung unsrer ostafrikanischen Kolonie entbehrlich erschienen ist, wird sich der Kurs des deutschen Staatsschiffs nicht im geringsten ablenken lassen. Aber dieses Gerücht hat doch eine symptomatische Bedeutung, ebenso wie die Nachricht, die in russischen Blättern spukte, daß Deutschland einen Hafen an der syrischen Küste zur Wahrung seiner kleinasiatischen Interessen zu besetzen gedächte. Beide Gerüchte sind Ahnungen der englischen und der russischen Volksseele, daß zwischen beiden Völkern noch eine dritte Macht stehe, die in dem zwischen beiden Weltmächten entbrennenden Kampfe von Bedeutung sein werde. Diese Macht sind die mitteleuropäischen Militärstaaten, die Deutschland als ihr Haupt anerkennen. Denn die Entscheidung in jenem angeblich um die Weltherrschaft geführten Kampfe wird nicht in Seeschlachten fallen, sondern in Landschlachten. In China ist England schon jetzt endgiltig durch Rußland aus seiner Stellung gedrängt; der Bau der transsibirischen Eisenbahn und die Besetzung Port Arthurs und Talienwans geben dort Rußland vor jeder andern Macht ein absolutes Übergewicht, das auch durch ein etwaiges Bündnis Eng-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/506>, abgerufen am 23.07.2024.